Michael Westhagemann über verspätete S-Bahnen, seine Skepsis gegenüber Tesla und eine neue Großansiedlung in Hamburg.

Seit mehr als einem Jahr ist Michael Westhagemann Hamburgs Wirtschafts- und Verkehrssenator. Im Abendblatt spricht der 62-Jährige frühere Siemens-Manager über die massiven Probleme auf den S-Bahn-Strecken und wie er diese lösen will. Er erklärt, warum er keinesfalls traurig darüber ist, dass Tesla sein erstes deutsches Elektroauto-Werk nicht in Hamburg errichtet – und warum er ein 365-Euro-Jahresticket beim HVV kategorisch ablehnt. Zudem macht er klar, dass er gerne über die aktuelle Legislaturperiode hinaus Senator bleiben würde. Aber auch unter einer Grünen-Bürgermeisterin Katharina Fegebank?

Welchen Job mögen Sie mehr – den des Verkehrs- oder den des Wirtschaftssenators?

Michael Westhagemann: Den als Wirtschaftssenator. Aber das Amt des Verkehrssenators macht mir auch viel Spaß, weil ich ja nicht nur Kritik einstecken muss, sondern mich auch in diesem Bereich intensiv mit Innovationen und Aufgaben, die direkt den Menschen zugutekommen, beschäftigen darf.

Fangen wir mit der Position des Wirtschaftssenators an. Was ist Ihnen hier besonders gut gelungen, und wo sehen Sie selbst noch Nachholbedarf?

Westhagemann: Wir haben gute Rahmenbedingungen für die Start-up-Szene geschaffen. Eines unser Vorzeigeprojekte ist dabei das Digital Hub Logistics in der Speicherstadt, der enorm gewachsen ist und international große Anerkennung findet. Auch bei der Robotik und Künstlichen Intelligenz sind wir auf einem sehr guten Weg. Vor allem bei innovativen, jungen Firmen in Zukunftsbereichen sind wir exzellent aufgestellt. Hier haben wir unter anderem Kooperationen mit der Start-up-Szene in Tel Aviv und Marseille geschlossen. Erst vor Kurzem wurde uns zudem vom Bitkom-Verband bescheinigt, dass wir bundesweit über die dynamischste Start-up-Szene im Bereich der Digitalisierung verfügen. Des Weiteren haben wir in den vergangenen Monaten viel getan, um moderne, innovative Antriebstechnologien voranzubringen. Hier liegt mir die Wasserstofftechnologie besonders am Herzen. Wir wollen eine Antwort auf die Frage finden: Wie bedienen wir künftig die Industrie, den Hafen und die Mobilität insgesamt mit Wasserstoff? Hier haben wir bereits viel Gutes auf den Weg gebracht – und das wollen wir unbedingt fortsetzen.

Und wo sehen Sie Nachholbedarf?

Westhagemann: Wir müssen noch dynamischer, noch schneller werden, um den Standort noch weiter voranzubringen. So ist die Nachfrage nach Flächen in unserem Digital Hub Logistics so groß, dass wir die Quadratmeterzahl möglichst zügig von 1200 auf 4500 Quadratmeter erhöhen müssen. Auch wollen wir das Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung auf Finkenwerder ausbauen. Gleiches gilt für den Hamburg Innovation Port in Harburg. Dazu kommen unsere 70 Einzelprojekte beim Thema Mobilität im Rahmen des Logistikkongresses ITS im Jahr 2021. Es gibt einfach unendlich viel zu tun, um Hamburgs Wirtschaft weiter nach vorne zu bringen.

Brandenburg hat jüngst die Ansiedlung des bekannten US-Elektroautopioniers Tesla vermeldet, Tausende Zukunftsjobs entstehen demnächst unweit der Hauptstadt. Auch Hamburg hatte Interesse. Sind Sie enttäuscht, dass das Werben um Tesla keinen Erfolg hatte?

Westhagemann: Nein, denn die Rahmenbedingungen, die sich Tesla vorgestellt hat, konnten wir nicht erfüllen. Das ist uns relativ schnell klar geworden. Denn ein Industriegebiet mit mehr als 300 Hektar Fläche, wie von Tesla gefordert, steht uns aktuell weder in Hamburg noch in der Metropolregion zur Verfügung. Zudem ging es ja auch um Subventionen – und die fließen nun mal vor allem im Osten der Republik. Ich bin aber nicht wirklich traurig, sondern eher skeptisch, ob die Arbeitsplatzerwartungen seitens Tesla auch erfüllt werden können.

Warum?

Westhagemann: Schauen Sie doch mal in die Produktionshallen von Tesla in den USA. Viele Beschäftigte sieht man da nicht. Auch das Geschäftsmodell von Tesla sehe ich eher skeptisch. Denn bisher kann ich nicht erkennen, wie das Unternehmen mit seinen Fahrzeugen Geld verdienen will. Ohnehin bin ich felsenfest davon überzeugt, dass die zukünftige Antriebstechnologie nach der reinen Batterie die Brennstoffzelle mit grünem Wasserstoff sein wird. Deshalb habe ich auf meiner jüngsten Reise nach Asien auch dafür geworben, dass sich ein asiatisches Unternehmen mit einer Brennstoffzellen-Fertigung möglichst in Hamburg niederlässt. Das ist auf mittlere Sicht die Zukunft.

Schaut man sich die Pläne der deutschen Autobauer an, so liest man kaum etwas von Brennstoffzellen, umso mehr von reinen Elektroautos. Kämpfen Sie hier nicht allein gegen Windmühlen, die sich längst unumkehrbar drehen?

Westhagemann: Ich würde mich darüber gerne mit VW-Chef Herbert Diess austauschen, der ja jüngst verkündet hat, dass er in den kommenden zehn Jahren den Wasserstoffantrieb für keine wirkliche Alternative zur Batterie hält. Denn das sehe ich anders. Letztlich haben viele Autobauer viel zu lange auf Verbrennungsmotoren gesetzt. Aber es gibt ja mit Mercedes, BMW und auch der Volkswagen-Konzerntochter Audi durchaus deutsche Autohersteller, die mit Nachdruck an der Brennstoffzelle arbeiten – und genau das ist aus meiner Sicht der richtige Weg.

Wie konkret sind die Gespräche in Asien wegen einer Neuansiedlung gewesen?

Westhagemann: Es sind erste Gespräche, aber ich habe durchaus ein ernsthaftes Interesse der Asiaten wahrgenommen.

Bedeutet das Aus für Tesla im Norden wegen der Flächenproblematik, dass die Metropolregion sich generell von Großansiedlungen verabschieden muss?

Westhagemann: Nein, ich bin mir sicher, dass wir in naher Zukunft mindestens eine Großansiedlung realisieren werden, mit der nicht nur viele, sondern auch anspruchsvolle Jobs verbunden sein werden. Genau so eine Großansiedlung würden wir gerne auf der nun neu ausgewiesenen Entwicklungsfläche in Steinwerder Süd realisieren.

Kommen wir zur Verkehrspolitik, zum öffentlichen Nahverkehr: Kennen Sie den Satz, den Hamburgs S-Bahn-Kunden an den Bahnhöfen derzeit am häufigsten hören?

Westhagemann: Welchen meinen Sie?

Wegen einer Signalstörung verkehren Ihre Züge auf diesem Streckenabschnitt leider unregelmäßig – können Sie unseren Lesern erklären, was das bedeutet?

Westhagemann: Diesen Satz hören vor allem die S-Bahn-Kunden, die auf der Linie S3 Richtung Harburg oder auf der S2/S21 Richtung Bergedorf unterwegs sind. Diese Strecken sollen schnellstmöglich qualitativ verbessert werden, denn viele der Ursachen sind altersbedingt. Aber auch Pfandsammler oder andere Personen im Gleis führen zu roten Signalen.

Immer mehr S-Bahnen kommen zu spät, fahren gar nicht oder sind restlos überfüllt. Was sind Ihre Pläne, um dies zu ändern?

Westhagemann: Wir haben gemeinsam mit der Deutschen Bahn einen Sieben-Punkte-Plan verabredet. So errichten wir unter anderem Zäune, die dafür sorgen sollen, dass sich weniger betriebsfremde Personen auf den Gleisen aufhalten und den Verkehr stören. Zudem werden Gleise und Weichen ausgetauscht sowie Stellwerke intensiver überprüft und erneuert. Im Zuge des Austauschs kommt es leider immer wieder zu Verzögerungen im S-Bahn-Verkehr. Es wurden bereits 40 Kilometer Gleis und 70 Weichen ersetzt. Weitere 180 Kilometer und bis zu 200 Weichen werden im kommenden Jahr folgen. Leider ist hier in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig investiert worden. Zudem hat die S-Bahn neue Bahnen bestellt, die vom Hersteller Bombardier nicht einwandfrei geliefert wurden, dort funktionierte unter anderem der Türeinstieg noch nicht richtig. Das ist aber nun zum Glück behoben. An allen anderen Problemen arbeiten wir gemeinsam mit ganzer Kraft. Wir wollen mittelfristig einen verlässlichen Fünf-Minuten-Takt an jeder Haltestelle in Hamburg einführen.

Bis wann?

Westhagemann: Bis Ende der 2020er-Jahre.

Um Menschen von der Straße auf die Schiene zu bringen, fordern Politiker und Klimaschützer für Hamburg ein 365-Euro-HVV-Jahresticket – was halten Sie davon?

Westhagemann: Gar nichts. Das wäre ein finanzielles Desaster für die Stadt. Denn dann könnten wir nicht weiter in dem Maße in neue Angebote investieren, wie wir es heute tun und in Zukunft tun müssen. Ein 365-Euro-Ticket würde die Stadt 400 Millionen Euro kosten – und das jedes Jahr. Dieses Geld würde dann für mehr Busse und Bahnen fehlen und für zusätzliche Angebote, für dichtere Takte. Es müsste an anderen Stellen im Haushalt gekürzt werden. Sollen wir das Geld etwa bei der Kinderbetreuung oder im Sozialbereich einsparen? Das kann doch niemand ernsthaft wollen. Der Nahverkehr würde dann ohnehin nur billiger werden – aber nicht besser.

Immer mehr Carsharing-Angebote kommen nach Hamburg. Jüngst hat VW angekündigt, weitere 1000 E-Autos auf Hamburgs Straßen zu bringen. Tragen diese Angebote tatsächlich zur Entlastung des Straßenverkehrs bei oder führen sie am Ende nicht nur zu noch mehr Staus?

Westhagemann: Mit Blick auf den ITS-Weltkongress 2021 testen wir aktuell in der Stadt viele verschiedene Mobilitätskonzepte – dazu gehört auch We Share von VW. Wir werden nach zwei, drei Jahren sehen, wie sich die Angebote auf Verkehr, Lärm und Luft auswirken. Dann werden wir jeweils entscheiden, wie es weitergeht. Wir wollen nicht die Innenstadt zusätzlich verstopfen, sondern Firmen und Bürgern die Möglichkeit geben, neue Mobilitätsangebote auszuprobieren. Übrigens arbeiten wir mit neuen Konzepten auch an einem weiteren Problem: den Herausforderungen des Onlinehandels. Diejenigen, die eifrig Waren online bestellen, sorgen dafür, dass unzählige Lastwagen mit Paketen in Hamburg unterwegs sind. Diese vielen Lieferfahrzeuge müssen in den nächsten Jahren auf umweltfreundliche Antriebe umgestellt werden. Da sind wir aber auf einem guten Weg.

Ein großes Ärgernis für viele Hamburger sind E-Roller. Sie fühlen sich von Spaßtouristen genervt, die damit Rennen austragen. Zudem stehen die Zweiräder überall herum, und ihre Ökobilanz ist auch mehr als fragwürdig. Halten Sie an dem Test mit den Spaßrollern fest oder wird er bald beendet?

Westhagemann: Ich habe mir diese Roller nicht gewünscht. Vorangetrieben und genehmigt hat sie das Bundesverkehrsministerium.

Warum verbieten Sie diese E-Roller nicht einfach wieder in Hamburg?

Westhagemann: Das kann ich überhaupt nicht. Diese Fahrzeuge sind zugelassen und müssen nicht von mir genehmigt werden. Ich gehe aber davon aus, dass sich dieses Thema in spätestens zwei Jahren gewandelt haben wird. Die Zahl der Anbieter und Roller wird sich sicherlich wieder reduzieren.

Würden Sie gerne Verkehrs- und Wirtschaftssenator nach den Wahlen zur Bürgerschaft 2020 bleiben?

Westhagemann: Ja, sicher.

Auch unter einer Grünen-Bürgermeisterin Katharina Fegebank?

Westhagemann: Wir warten den Wahlausgang erst mal ab. So lange ich der Meinung bin, dass ich etwas für Hamburg sinnvoll bewegen kann, habe ich große Freude an dieser verantwortungsvollen Aufgabe.