Berlin. Ex-Verfassungsgerichtspräsident Papier hält den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig. Die Wohnungswirtschaft kritisiert Berlin.

Die Hauptstadt ist zum Experimentierlabor für Mieten geworden. Zunächst brachte im Frühjahr eine Initiative ein Volksbegehren auf den Weg, das vorsah, private Immobilienunternehmen zu enteignen. Binnen kurzer Zeit sammelten die Organisatoren die für die Petition nötigen 77.000 Stimmen. Dann legte der von SPD, Linke und Grüne geführte Berliner Senat mit einem Mietendeckel nach.

Die Berliner rot-rot-grüne Regierung legt bei dem Gesetzesvorhaben ordentlich Tempo vor, schon Mitte Oktober soll der Entwurf beschlossene Sache sein. Doch ob das Gesetz jemals in Kraft treten wird, ist fraglich. Denn ein neues Rechtsgutachten zeigt: Der Mietendeckel wäre verfassungswidrig.

Mietendeckel: Müller zuversichtlich, Wohnungswirtschaft teilt aus

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller geht nicht davon aus, dass der geplante Mietendeckel Investitionen in den Wohnungsbau stoppt. „Ich erkenne, dass da jetzt Unsicherheit da ist, die dazu führt, dass manche - auch nicht alle - Investitionen zurückstellen“, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag während der Besichtigung mehrerer Neubauprojekte.

Die Wohnungswirtschaft GdW teilte dagegen aus. Für Wohnungswirtschaftspräsident Axel Gedaschko sind die Berliner Probleme hausgemacht: „Berlin hat wohnungsbaupolitisch so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann“, sagte Gedaschko unserer Redaktion. Erst habe die Hauptstadt ihre eigenen Wohnungen „nahezu verramscht“, dann die Fördergelder nicht für den Wohnungsbau genutzt.

„Miete am Kurfürstendamm war ein schöner Traum“

Andere Metropolen wie Hamburg hätten gezeigt, dass es auch anders gehe. Im Verhältnis zur Bevölkerung baue Berlin lediglich ein Viertel an Sozialwohnungen wie die Hansestadt. „Keine andere Stadt Deutschlands hat den sozialen Wohnungsbau so brutal sträflich vernachlässigt wie Berlin“, sagt Gedaschko. Fünf bis acht Jahre habe die Hauptstadt verschlafen, sagt Gedaschko. Jetzt empöre sich die Berliner Regierung „über die Folgen des eigenen Handelns.“

Ist der Mietendeckel verfassungswidrig? Darum geht s

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    Dass der Mietendeckel wohl verfassungswidrig ist, sieht Gedaschko positiv: „Es wäre ein schöner Traum, dass sich jeder am Kurfürstendamm eine große Wohnung mieten kann. Aber man muss erkennen, dass das bauwirtschaftlich auf Dauer nicht gut gehen kann.“

    Mietendeckel - Das ist die Idee dahinter:

    • Ab 2020 sollen die Mieten für fünf Jahre lang eingefroren werden.
    • Abhängig vom Baujahr der Immobilie sollen Mieter nur noch zwischen 3,92 Euro bis 9,80 Euro für den Quadratmeter Wohnraum zahlen.

    Länder haben laut Gutachten gar nicht die Gesetzgebungskompetenz

    Zu diesem Schluss kommt der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, der im Auftrag des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) das Gutachten verfasst hat. Die 17-seitige rechtsgutachtliche Stellungnahme liegt unserer Redaktion vor. Das Gutachten im Wortlaut zum Berliner Mietendeckel.

    Laut Papier haben die Bundesländer demnach gar nicht die Gesetzgebungskompetenz, um einen Mietendeckel einzuführen. Denn das soziale Mietrecht fällt laut dem Gutachten in den Bereich des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und somit in die Zuständigkeit des Bundes.

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    Mietendeckel würde Mietpreisbremse aushebeln

    Der Bund hat von dieser Kompetenz auch bereits Gebrauch gemacht: Seit 2015 gilt in Deutschland die Mietpreisbremse. Die ehemalige Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) verschärfte das Instrument kurz vor ihrem Wechsel ins Brüsseler EU-Parlament noch, ihre Nachfolgerin Christine Lambrecht (SPD) verständigte sich jüngst mit Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf eine Verlängerung der Mietpreisbremse bis 2025.

    Die Mietpreisbremse sieht unter anderem vor, dass in Gebieten mit einem Mangel an bezahlbaren Wohnraum, die Miete binnen dreier Jahre um maximal 15 Prozent erhöht werden darf. Ein Mietendeckel nach Berliner Vorbild würde diese Regelung aushebeln, denn eine Erhöhung wäre bei eingefrorenen Mieten nicht mehr möglich.

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    Bundesrecht schlägt Landesrecht

    Das ist nach Auffassung Papiers unzulässig: „Landesverfassungsrecht kann die grundgesetzliche Kompetenzverteilung weder sprengen noch zu deren Auslegung etwas beitragen“ heißt es in der Stellungnahme des ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Oder anders ausgedrückt: Bundesrecht schlägt Landesrecht.

    Überraschend dürfte diese Erkenntnis auch für die Berliner Regierung nicht kommen. Sie berief sich daher bisher darauf, dass Mietangelegenheiten seit der Föderalismusreform im Jahr 2006 Ländersache seien.

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    Soziales Mietrecht sei im BGB angesiedelt

    Das sieht Papier anders: In der damaligen Begründung für die nötige Änderung des Grundgesetzes sei vom Wohnungsmietrecht und Mietpreisrecht „gerade nicht die Rede“ gewesen, schreibt der Gutachter. Stattdessen sei das soziale Mietrecht im BGB angesiedelt – für Papier eine bewusste Entscheidung, bei der damaligen Änderung.

    Auch das Berliner Argument, dass der Mietendeckel gar nicht das bürgerliche Recht des BGBs berühre, da es sich um ein verwaltungsrechtliches Vorgehen handelt, entkräftet Papier: „Diese rein begrifflich oder gar terminologisch orientierte Differenzierung ist für die grundgesetzliche Kompetenzanordnung (...) grundsätzlich belanglos.“

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    Mieten haben sich in Berlin nahezu verdoppelt

    In der Hauptstadt ist die Stimmung der Mieter besonders angespannt, im April demonstrierten 35.000 Menschen gegen überteuertes Wohnen.

    In den letzten zehn Jahren hat sich der durchschnittliche Berliner Quadratmeterpreis nahezu verdoppelt: Von durchschnittlich 5,59 Euro im Jahr 2008 auf 11,09 Euro pro Quadratmeter im vergangenen Jahr, wie das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung mitteilte.

    Politisch ist das Thema Mieten hochumstritten. Während sich beispielsweise Grünen-Chef Robert Habeck positiv zum Thema Enteignung äußerte, steht für FDP-Chef Christian Lindner fest, dass die „allermeisten Vermieter fair“ seien.