Hamburg. Der Flugzeugbauer profitiert von der Auftragsflut für die A320-Familie. Das Werk auf Finkenwerder zählt nun knapp 14.000 Beschäftigte.
Das Auftragsbuch für die A320-Familie ist gut gefüllt. Fluglinien warten noch auf mehr als 6300 Exemplare des Flugzeugs von Airbus. Hamburg ist für den europäischen Konzern der wichtigste Fertigungsort für das Programm. Mehr als die Hälfte der Maschinen werden an der Elbe zusammengebaut. Um die Auftragsflut abzuarbeiten, wird die Produktion hochgefahren – und das Personal kräftig aufgestockt.
„Wir haben seit Ende Juni 2018 knapp 1000 Mitarbeiter im Single-Aisle-Bereich eingestellt“, sagte Airbus-Sprecherin Martina Jürgens dem Abendblatt. „Single Aisle“ wird in der Branche die A320-Familie aufgrund ihres Kabinenlayouts bezeichnet: Die Maschinen haben nur einen Gang (aisle) in der Mitte, Großraumflugzeuge haben hingegen zwei Gänge. Eingestellt wurden vor allem Struktur- und Ausrüstungsmechaniker, Maler/Lackierer sowie Ingenieure mit verschiedenen Profilen. Zusätzlich seien Arbeitskräfte aus dem A380-Programm hinzugestoßen. Das größte Passagierflugzeug der Welt soll 2021 letztmals gebaut werden. Für einige Hunderte Beschäftigte auf Finkenwerder muss daher nach und nach eine neue Aufgabe gefunden werden. Insgesamt ist das Werk zuletzt stark gewachsen. „Am Standort Hamburg sind derzeit knapp 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt“, sagte Jürgens. Ende 2017 waren es noch rund 12.700.
Zwei neue Entwicklungen kommen dem Werk zugute. Fluggesellschaften ordern immer häufiger die größte Version der A320-Familie, den A321. Dieser wird fast ausschließlich – abgesehen von einer geringen Stückzahl am US-Standort Mobile – in Hamburg gebaut. In Toulouse (Frankreich) und Tianjin (China) werden nur kleinere Maschinen gebaut. Zudem kann der Jet nun durch die spritsparenden neo-Triebwerke und den Einbau von Zusatztanks auch auf Langstrecken eingesetzt werden – beides sorgt für mehr Arbeit auf Finkenwerder.
Der A321 wurde jahrelang nur in Hamburg endmontiert
Senator Michael Westhagemann (parteilos) zeigte sich auf Abendblatt-Anfrage erfreut: „Airbus ist eine industrielle Erfolgsgeschichte und einer der wichtigsten und attraktivsten Arbeitgeber in Hamburg. Dass jetzt noch weitere Arbeitsplätze dazukommen, stärkt den Standort nachhaltig und bringt Sicherheit für die Zukunft.“
Im Juni 2018 nahm der MDAX-Konzern nach einem längeren Testlauf die vierte Endmontagelinie offiziell in Betrieb. Sie wurde eingerichtet, um den Produktionshochlauf zu schaffen. Im Herbst 2015 hatte der Flugzeugbauer beschlossen, die Fertigungsrate von damals konzernweit 43 Maschinen pro Monat bis Mitte dieses Jahres auf 60 Exemplare zu erhöhen. Das Ziel wurde mittlerweile erreicht. Die Mitarbeiter werden zum einen benötigt, um die höheren Stückzahlen zu schaffen. Zum anderen ist die Arbeit komplexer geworden.
Früher orderten die Fluggesellschaften vor allem A320-Maschinen. Mittlerweile wird immer häufiger die sieben Meter längere große Schwester A321 bestellt – und das beschert dem Werk auf Finkenwerder mehr Arbeit. Fast alle dieser Maschinen sind made in Hamburg. Seit dieser Flugzeugtyp 1992 zum ersten Mal an der Elbe zusammengeschraubt wurde, stammten jahrzehntelang sogar alle dieser Modelle aus der Hansestadt. Erst mit der Einweihung des vierten Airbus-Flugzeugwerks in Mobile (USA) 2015 kam ein weiterer Standort für den A321 hinzu. Allerdings stößt die eine Endlinie dort nur vier Maschinen der A320-Familie pro Monat aus. Im ersten Halbjahr seien es in Mobile nur „eine Handvoll A321“ gewesen, sagte der seit April amtierende Airbus-Vorstandschef Guillaume Faury am Mittwoch bei der Vorstellung der Halbjahreszahlen. Das Gros komme aus Hamburg. Insgesamt lieferte der Konzern bisher knapp 2000 Stück des 44,51 Meter langen Jets aus.
Komplexe Ausstattung treibt Arbeitsstunden nach oben
„Beim A321 gibt es einen ganz anderen Variantenreichtum“, sagte der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. Vor fünf Jahren stellte Airbus ein neues Layout für das Flugzeug vor. Die Passagiertüren wurden neu angeordnet, es gab Anpassungen am Rumpf. Dadurch steigt die Zahl der maximal möglichen Passagiere von 220 auf bis zu 244.
Kurz darauf präsentierte der Boeing-Rivale den A321LR. Das Kürzel LR steht für „Longrange“, also eine längere Reichweite. Normalerweise befindet sich das Kerosin in den Tragflächen. Durch drei Zusatztanks im Frachtraum kann der LR-Flieger bis zu 7400 Kilometer am Stück fliegen. „Das Tanksystem muss zusätzlich eingebaut werden. Und die Kabinenausstattung ist viel komplexer“, sagt Großbongardt. Denn der Konzern drängt mit einem eigentlich für die Kurz- und Mittelstrecke konzipierten Flugzeug in den Langstreckenmarkt vor. Nonstop-Flüge von Deutschland bis an die Nordostküste der USA sind beispielsweise möglich. Gibt es in Single-Aisle-Flugzeugen häufig nur eine Klasse in der Kabine, sollten es auf Langstreckenflügen schon mindestens zwei Klassen sein. „Ein Business-Sitz ist komplizierter einzubauen als ein Economy-Sitz“, sagte Großbongardt. Zudem müsse das Entertainmentsystem an Bord bei langen Flugzeiten ebenso hochwertiger sein wie die Küchen, in denen statt Brötchen nun Menüs aufgewärmt werden müssen.
Die Airlines haben zudem eine sehr große Auswahl bei der Kabinenausstattung, sodass die Zahl der möglichen Konfigurationen kräftig klettert. Diese Individualisierung treibt auch die Arbeitsstunden nach oben. Beispielsweise können mittlerweile auch größere Handgepäckfächer eingebaut werden. Die Grundlagen dafür werden aber schon sehr früh in der Montage mit der Auswahl der richtigen Halter gelegt.
Neue Version kann bis zu 8700 Kilometer weit fliegen
Der Variantenreichtum wird in Zukunft noch weiter steigen. Vor wenigen Wochen kündigte Airbus an, den A321XLR auf den Markt zu bringen. Im Jahr 2023 soll er im Liniendienst fliegen. Durch einen permanenten Tank im hinteren Bereich des Frachtraums und einem zusätzlich möglichen im Frachtraum vor den Flügeln soll eine maximale Reichweite von 8700 Kilometern erreicht werden. Der Treibstoffverbrauch pro Sitz soll um bis zu 30 Prozent gegenüber der Vorgängergeneration des Wettbewerbs – einer Boeing 757, die 2005 letztmals ausgeliefert wurde – sinken. Das ist angesichts vermutlich steigender Kerosinpreise für Fluggesellschaften ebenso ein starkes Argument für den Kauf wie auch der mögliche Einsatz auf bisher undenkbaren Routen mit einem Jet der A320-Familie: Von Hamburg wären beispielsweise Nonstop-Flüge nach Chicago machbar, von Rom könne man New York oder von Tokio Sydney ohne Zwischenlandung erreichen.
Airbus erwartet für die A320-Familie weiterhin eine hohe Nachfrage. Schon jetzt seien bis 2024 alle Bauplätze ausgebucht, sagte Faury. Die monatliche Rate für die Single-Aisle-Klasse soll von 60 Flugzeugen auf 63 Stück im Jahr 2021 steigen. Noch in diesem Jahr will der Konzern mit Zulieferern über eine weitere Ratensteigerung auf 70 Maschinen pro Monat sprechen. Großbongardt hält diese Rate aber von den Marktprognosen und dem realen langfristigen Bedarf nicht gedeckt. Er sieht die Gefahr einer Überproduktion. Schließlich erlebe die Luftfahrt seit zehn Jahren einen Superzyklus. Irgendwann müsse es zu einem Einbruch kommen. „Eine nächste Branchenkrise wäre bei einer noch höheren Rate kaum mehr abzufedern“, sagte Großbongardt. Als Konsequenz sei ein Jobabbau dann unvermeidlich.
Ob es so weit kommt, werden die nächsten Jahre zeigen. Zunächst einmal soll der Standort Hamburg weiter wachsen, wie Jürgens ergänzte: „Wir werden in diesem Jahr noch mehr Personal einstellen.“