Hamburg . Bau für bis zu 100 Handwerksbetriebe ist erst zu 42 Prozent vermietet. Warum Firmen das neue Quartier nur zögerlich annehmen.
Julia Netz ist neben Dachdeckermeister Matthias Alms eine der Ersten, die in Hamburgs erste Meistermeile in Lokstedt am Offakamp eingezogen ist. Das 50 Millionen Euro teure Objekt wurde am Mittwoch offiziell eingeweiht. Netz betreibt in der Meistermeile eine kleine Bäckerei, in der Torten hergestellt werden, die die Kunden nach ihren Wünschen zusammengestellt haben. Teig und Füllungen können individuell ausgewählt werden.
„Wir sind froh über die größeren Räume, denn das bisherige Quartier im Lehmweg wurde zu eng“, sagt Netz. „Den Laden im Lehmweg nutzen wir nur noch zum Verkauf.“ Jetzt hofft die Inhaberin von Style Your Cake, dass noch andere Gewerke aus dem Lebensmittelhandwerk hier einziehen. Die übliche Konkurrenz im Handwerk soll in der Meistermeile durch partnerschaftliche Zusammenarbeit abgelöst werden, hofft Matthias Alms von Isohaus Bedachungen. Als er 2015 seine Firma gründete, wurde ihm das Konzept der Meistermeile schon vorgestellt. „Es hat mich von Anfang an überzeugt, deshalb war ich auch bereit, gleich einen Vorvertrag zu unterschreiben“, sagt Alms.
Sieben Jahre von der Idee bis zur Eröffnung
Bis er einziehen konnte, wurde seine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Allein von der Idee bis zur Grundsteinlegung im September 2017 vergingen rund fünf Jahre. Möglicherweise liegt es an der langen Planungs- und Realisierungszeit, dass zur Eröffnung am Mittwoch erst 42 Prozent der 11.500 Quadratmeter Werkstattfläche vermietet sind, obwohl die Handwerkskammer einst 70 Prozent anpeilte. An den Mietpreisen kann es nicht liegen: Denn der Quadratmeter kostet zwischen 7,70 Euro und 9,20 Euro (ohne Nebenkosten). Der Bauherr und Vermieter Sprinkenhof geht davon aus, dass die Vermietungsquote bald 57 Prozent erreicht, wenn schon versendete Mietverträge unterschrieben zurückkommen.
Bei der feierlichen Eröffnung mit dem Ersten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) waren alle Probleme der langen Entstehungsgeschichte vergessen. „Bei größeren Objekten gibt es immer Stolpersteine, aber dennoch ist hier ein einzigartiger Produktionsstandort für das Handwerk entstanden“, sagt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg. Vorbild war eine Meistermeile in München, die nach einem Jahr auch erst zu 50 Prozent vermietet war. „Wenn Handwerksbetriebe aus Platzmangel in das Umland abwandern, so ist das weder gut für das Gewerbesteueraufkommen noch für das Verkehrsaufkommen“, sagt Tschentscher. Deshalb habe der Senat das Projekt mit 35 Millionen Euro gefördert.
Platz für bis zu 100 Betriebe
Auf den ersten Blick sieht der 200 Meter lange Bau mit Klinkerfassade so aus, als würden dahinter Werbeagenturen und andere Dienstleister arbeiten. Neu an der Meistermeile ist, dass hier Handwerksbetriebe auf drei Etagen gestapelt werden. Bisher sind es die Firmen gewöhnt, sich fast ausschließlich im Erdgeschoss anzusiedeln. „Deshalb hätte das Erdgeschoss auch mehrmals vermietet werden können“, sagt Henrik Strate von der Handwerkskammer. „Jetzt müssen die Betriebe überzeugt werden, sich auch im zweiten oder dritten Geschoss anzusiedeln. Verfügbar sind vor allem noch Flächen zwischen 80 und 100 Quadratmetern. Die Quartiere werden im Rohbauzustand übergeben. „Dass wir nach individuellen Vorstellungen hier ausbauen konnten, fand ich gut“, sagt Tortenbäckerin Netz.
Bis zu 100 Betriebe können in die Meistermeile einziehen. Schon vertreten sind Dachdecker, Zimmerer, Elektroniker, Klavierbauer und viele andere Gewerke. „Wer sein Bad renovieren lassen will, findet hier alle Gewerke vom Installateur bis zum Fliesenleger“, sagt Stemmann. Die Glaserei Ziegert hat die Meistermeile genutzt, um sich zu vergrößern. Ihren bisherigen Standort in Osdorf musste das Unternehmen aufgeben, weil der Mietvertrag nicht verlängert wurde. Das Unternehmen bietet Fensterscheiben nach Maß, Küchenrückwände, Glastische und Spiegel an. Jetzt setzt die Glaserei auf die Vernetzung mit anderen Handwerksbetrieben, um so auch an neue Aufträge zu kommen.
Dieser Intention folgt auch das Start-up Aimotion. Die Firma entwickelt Licht- und Soundsysteme für ein vernetztes Zuhause. Licht und Musik gehen an, wenn der Bewohner sein Haus betritt. „Alles lässt sich per Schalter oder Smartphone steuern“, sagt Firmengründer Timo Lühmann. Seine Geschäftspartnerin Aileen Herpell findet das neue Quartier sehr repräsentativ. „Im Vergleich zu unserem alten Standort in Ottensen ist es ein Quantensprung.“