Berlin. Unter den Handelsketten Aldi und Lidl ist ein Streit um die niedrigsten Preise ausgebrochen. Das drückt die ohnehin niedrigen Margen.
Zu den Eigenschaften von Top-Managern zählt meist auch das Talent, Geschäftsrisiken glaubwürdig kleinreden zu können – so, als wären sie nur vorüberziehende Schönwetterwolken. Auch Klaus Gehrig greift gerne zu diesem Trick.
Über den Konkurrenten Aldi sagte der Chef der Schwarz-Gruppe und oberste Lidl-Chef bei einer Veranstaltung Mitte März: „Wenn es Aldi nicht gäbe, wäre Lidl eingeschlafen. Wir brauchen uns.“ Das klingt aufgeräumt. Aber die Wahrheit ist: Gehrig ist bereits hellwach. Die schlummernde Rivalität zwischen den beiden großen deutschen Discountern ist wieder aufgeflammt.
Seit Wochen liefern sich die Lebensmittelhändler einen erbitterten Streit um den niedrigsten Preis – seit Neuestem auch bei Markenartikeln. Mit einer Rabattaktion nach der anderen kämpfen Aldi und Lidl um Kunden und um das höchste Gut auf dem Discountermarkt: das Image, der Billigste zu sein.
Lidl vs. Aldi: Die Marktmacht der Discounter schwindet
Ein Unterbietungswettbewerb, der die ohnehin niedrigen Margen im Lebensmittelhandel weiter nach unten drückt. Die Schlacht kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Zunehmend schwindet die Marktmacht der Discounter. Es gilt zu bestehen neben Supermärkten, die den Wocheneinkauf zum Erlebnis umgedeutet haben, und neben immer mächtiger werdenden Bio-Ketten.
Anfang Februar setzte Aldi das erste Ausrufezeichen: Der Discounter senkte den Preis für die 1,25-Liter-Flasche Coca-Cola von 99 auf 79 Cent. Ein grundlegender Bruch mit der bisherigen Strategie des Discounters. Zwar hat Aldi schon 2015 Markenartikel in sein Sortiment aufgenommen. Auf Sonderangeboten hat er aber bislang verzichtet.
Aldi und Lidl wollen Kunden mit Fertigsoßen locken
Nun aber sieht der Kunde auch in Aldi-Filialen und auf Prospekten schrill bunte Schilder mit „Knallerpreisen“ und „Wochenaktionen“ für Nutella, Toffifee oder Chio Chips.
Lidl hingegen versteht sich seit jeher als der Discounter, der Marken zu Billigpreisen anbietet. Als Aldi den Cola-Preis senkte, passierte das Naheliegende: Lidl zog nach, hat den Preis mit 77 Cent noch unterboten. Derlei Beispiele gibt es mittlerweile genügend. Aktuell lockt Aldi die Kunden mit Fertigsoßen der Marke Knorr Fix zum Preis von 55 Cent statt 85. Bei Lidl wiederum gibt es Maggi-Fix-Fertigsoßen für 44 Cent.
Die Marken hinter No-Name-Produkten
Von Aldi Nord heißt es auf Nachfrage über den Strategiewechsel: Ziel sei es, die „Preisführerschaft im Lebensmitteleinzelhandel weiter zu stärken“. Dass ihr Einstieg in das Rabattgeschäft bei Markenartikeln einen Unterbietungswettbewerb auslösen würde, dürfte dem Aldi-Management in Mülheim und Essen klar gewesen sein. Offenbar sieht man sich dennoch dazu gezwungen.
Der Blick in die Zahlen zeigt – vor allem bei Aldi Nord lief es zuletzt schlecht. Erstmals in seiner mehr als 50-jährigen Firmengeschichte schrieb der Discounter 2018 in der Bundesrepublik rote Zahlen. Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel, beobachtet, dass die Lidl-Rabattaktionen „für Aldi zum Problem geworden“ seien. „Das Preisimage von Aldi hat sich verschlechtert.“ Das habe sich auch beim Umsatz bemerkbar gemacht, sagt Rüschen.
Zunehmend unruhig dürfte es auch in der Lidl-Zentrale in Neckarsulm zugehen. Das zeigt auch der unerwartete Abgang von Lidl-Chef Jesper Hojer vor wenigen Tagen. Über die Hintergründe wird in der Branche bislang spekuliert. Gut möglich, dass ihm ein überzeugendes Konzept fehlte, dem Konkurrenten Aldi die Stirn zu bieten.
Neue Präsentation der Backwaren
Auch Lidl bekräftigt auf Nachfrage „in der aktuellen Preisdiskussion den Anspruch auf Preisführerschaft“. Klaus Gehrig ließ Mitte März durchblicken, dass er dieses Ziel mit allen Mitteln verfolgen werde. Man müsse „aggressiver werden“ und sogar „Mittel für die Zukunft hinterfragen“, sagte der Manager. Das bedeutet wohl, manch eine dringend nötige Investition – wie etwa die ins Digitalgeschäft – muss sich unterordnen.
Einen Investitionsstau aber dürfen sich weder Lidl noch Aldi erlauben. Längst verläuft die Frontlinie zwischen beiden Discountern nicht mehr nur beim Preis. Auch beim Service und der Einrichtung der Läden lässt der eine dem anderen keinen Vorsprung.
Derzeit stellt Aldi etwa seine Präsentation der Backwaren in den Filialen um – und kopiert dabei Lidl. Aldi hatte auf Backautomaten gesetzt. Riesige Kästen, aus denen Brezel und Brötchen per Knopfdruck herausschießen. Lidl hingegen hatte auf freundliche Holzregale gesetzt, mit Blick in die Aufbackstube im Hintergrund. Das kam beim Kunden besser an. Aldi wiederum hat es früh verstanden, Bio-Ware ins Sortiment aufzunehmen, hier versucht Lidl derzeit nachzubessern.
Konkurrenz durch Supermarktketten Rewe und Edeka
All das kostet Geld – die Gesellschafter von Aldi Nord etwa stellten zuletzt fünf Milliarden Euro für die Modernisierung der Filialen bereit. Summen in dieser Höhe dürften künftig nicht mehr locker sitzen. Aldi und Lidl müssen sich zunehmen gegen die großen Supermarktketten behaupten. Supermärkte: So erfolgreich sind Edeka und Rewe mittlerweile.
Das zeigen aktuelle Zahlen des Marktforschungsinstituts Edge by Ascential, über die das „Handelsblatt“ am Donnerstag berichtet hat. Demzufolge sind die Umsätze der großen Discounter im vergangenen Jahr um zwei Prozent gestiegen, 2019 sollen es nur noch 1,9 Prozent sein. Die Umsätze von Supermarktketten wie Edeka und Rewe hingegen hätten 2018 um 9,1 Prozent zugelegt. Und Rewe-Chef Lionel Souque hat bereits angekündigt, man werde Aldi keine Preisführerschaft bei Markenartikeln überlassen.
Die Ketten stellen ihr Geschäft zudem breiter auf und sorgen sich mehr um den Umweltschutz. Edeka will Biomärkte unter der Marke „Naturkind“ eröffnen. Real will hingegen Plastiktüten für Obst und Gemüse abschaffen, bei Rewe wurde schon länger mit umweltfreundlichen Verpackungen experimentiert.
Der Kunde darf sich freuen
Und noch eine Entwicklung bedroht die Discounter: „Aldi und Lidl laufen mit ihrer Strategie, näher an die Supermärkte zu rücken, Gefahr, eine Lücke im unteren Preissegment zu reißen“, beobachtet Marco Atzenberger von dem Kölner Handelsinstitut EHI.
Ein deutliches Signal sei der Versuch des russischen Supermarktes Mere in Leipzig, in den deutschen Markt einzutreten. In Zwickau eröffnet demnächst eine zweite Filiale. Es ist noch nicht ausgemacht, wer in diesem Kampf bestehen und wer verlieren wird. Nur ein Gewinner steht schon fest: der Kunde, der sich über die günstigen Preise freuen kann.
(Anja Stehle)