Hamburg. Bis zu 50 Firmenübernahmen im Jahr managt der Deutschland-Chef von Amplifon von Hamburg aus. Eigenes Hörsystem entwickelt.

Er braucht noch keins, er hört noch gut. Doch Matthias Rolinski weiß die Vorzüge der winzigen Hörgeräte dennoch zu nutzen. „Ich trage sie auf Messen in einer sehr lauten Umgebung und habe sie mit meinem Smartphone gekoppelt, um mich besser mit den Anrufern zu verständigen“, sagt der Geschäftsführer der Amplifon Deutschland GmbH. So verpasst er kein Telefonat im Messetrubel und versteht den Anrufer auch viel besser.

Rolinski hat viel um die Ohren. Das italienische Unternehmen Amplifon wächst durch Übernahmen. In Hamburg hat es mittlerweile 48 Fachgeschäfte. Insgesamt 60 kann sich der Deutschlandchef in der Hansestadt in den nächsten zwei bis drei Jahren vorstellen. Nach eigenen Angaben ist Amplifon jetzt schon Marktführer in Hamburg.

In Hamburg hat Amplifon 300 Beschäftigte

Bis zu 50 Firmenübernahmen mit rund 80 Geschäften sind es in einem Jahr allein in Deutschland, die Rolinski zu managen hat. Denn die neuen Standorte werden nicht an Franchisenehmer übergeben, sondern als eigene Filialen geführt.

„Wir haben eine eigene Integrationsabteilung, um uns intensiv um die Firmen zu kümmern“, sagt Rolinski. Das Ziel ist, dass möglichst viele Mitarbeiter im Unternehmen bleiben, denn Hörakustiker sind gefragte Fachkräfte. „Für den Kunden ist entscheidend, dass sein Ansprechpartner bleibt, weniger der Name an dem Fachgeschäft“, sagt Rolinski. „Über 90 Prozent der Mitarbeiter bleiben nach der Übernahme bei uns.“ Allein in Hamburg beschäftigt das Unternehmen 300 Frauen und Männer.

Die Branche steht vor einem tiefgreifenden Wandel. Finanziell schlagkräftige Unternehmen wie Amplifon profitieren von einem zersplitterten Markt, der etwa dem der Augenoptiker von vor drei Jahrzehnten entspricht. 60 Prozent der Firmen haben maximal fünf Angestellte. Die Inhaber sind meist älter und verkaufsbereit oder wollen sich dem wachsenden Druck in der Branche nicht länger stellen.

Hörmeister verkaufte an Amplifon

Doch das ist nicht immer so. In Hamburg hatten zwei Jungunternehmer die eigene Kette Hörmeister mit 24 Filialen aufgebaut. Jedes Jahr eröffneten sie drei neue Geschäfte - bis sie 2016 von Amplifon übernommen wurden, die zu diesen Zeitpunkt 20 Geschäfte in der Hansestadt hatten. „Wir standen vor der Wahl, größer zu werden, um konkurrenzfähig zu bleiben oder zu verkaufen“, sagte Hörmeister-Gründer Frank Burghardt damals.

Mindestens doppelt so viele Filialen wie bisher hätten er und sein Geschäftspartner Erik Berg eröffnen müssen. Finanziell wäre das ein riskanter Kraftakt gewesen.

Rund 40 Prozent des Marktes wird von den Ketten wie Kind, Geers oder eben Amplifon bestimmt. 510 Fachgeschäfte hat die Kette in Deutschland. Damit hat sich die Zahl der Filialen innerhalb von zwei Jahren fast verdoppelt. In zwei bis drei Jahren sollen es insgesamt 800 sein. Der Markt wächst: 2017 wurden 1,2 Millionen Hörsysteme in Deutschland verkauft. 2020 sollen es bereits 1,4 Millionen sein.

Kunden werden immer jünger

Die Hörgeräte werden immer kleiner und passen inzwischen auch direkt in das Ohr. Die unsichtbare Technik soll helfen, dass sich immer weniger Menschen mit der Verringerung des Hörvermögens abfinden. „Ein Hörverlust ist irreparabel“, sagt Marianne Frickel, Präsidentin des Bundesinnung der Hörakustiker (biha). Deshalb sei es wichtig, frühzeitig mit der Hörsystemversorgung zu beginnen und so den Hörverlust, der auch eine Demenz befördern könne, auszugleichen. In Deutschland gibt es derzeit etwa 5,4 Millionen Menschen mit einer indizierten Schwerhörigkeit. Tendenz steigend. Aber erst 3,5 Millionen Menschen tragen ein Hörsystem. Rolinski setzt vor allem auf das Geschäft mit den Babyboomern und darauf, dass die Kunden künftig jünger werden. Jetzt liegt das Durchschnittsalter bei 68 Jahren, wenn ein Hörsystem gekauft wird. Vor zehn Jahren waren es 72 Jahre.

Eigenes Hörsystem mit großen Herstellern entwickelt

Nur vier große Hersteller wie Phonak aus der Schweiz oder GN Resound aus Dänemark bestimmen den Markt für Hörsysteme. Künftig möchte Amplifon auch eine Eigenmarke vertreiben. „Wir suchen uns das Beste bei allen Herstellern heraus und lassen dann die Hörsysteme von ihnen unter unserer Eigenmarke produzieren“, sagt Rolinski. In Verbindung mit einer App haben die Kunden zudem die Möglichkeit, das Hörsystem nach ihren individuellen Bedürfnissen anzupassen. „Deutschland wird der zweite Markt nach Italien sein, wo wir mit der Eigenmarke starten. Wir beginnen in Hamburg.“ Damit sollen vor allem die Kundenbindung und die Markenbekanntheit gestärkt werden.

Noch verbrauchen die Hörgeräte ziemlich viele Batterien. Neue Modelle sind in einer kleinen Schale, die an den Computer mit einem USB-Stecker angeschlossen wird, aufladbar. Die Hörsysteme werden immer ausgefeilter, können sich mit Fernseher oder Telefon verbinden, Nebengeräusche im Restaurant herausfiltern. Die Geräte passen sich dem jeweiligen akustischen Umfeld wie etwa einer Bahnhofsdurchsage sowie den individuellen Vorlieben des Nutzers an.

Die erste Amplifon-Filiale war ein umgebauter Bus

Das hat allerdings auch seinen Preis. Zwar geben die gesetzlichen Krankenkassen bis zu 1500 Euro für zwei Hörgeräte dazu. Für anspruchsvolle Geräte reichen die Zuzahlungen des Kunden aber von rund 800 Euro bis 2100 Euro pro Ohr, wie aus einer Preisübersicht bei Amplifon hervorgeht. Es gibt aber auch Hörgeräte, die zuzahlungsfrei sind oder bei denen die Zuzahlung bei 110 Euro beginnt. Im Preis inbegriffen sind eine sechsjährige Rundumbetreuung und eine individuelle Hörgeräteanpassung sowie weitere Serviceleistungen. Es dauert zwei bis drei Monate bis ein Hörgerät nach dem Kauf auf den Nutzer richtig eingestellt und angepasst ist. Gut ein Drittel der Kunden entscheidet sich in der Branche für ein zuzahlungsfreies Gerät, wie aus einer aktuellen biha-Studie hervorgeht. 66 Prozent sind zu Zuzahlungen bereit.

Amplifon wurde nach dem zweiten Weltkrieg im Jahr 1950 von dem Engländer Charles Holland zusammen mit seiner Frau in Mailand gegründet. Während eines längeren Krankenhausaufenthaltes wegen eines kriegsbedingten Knalltraumas begann der gelernte Radiotechniker nach Lösungen für eine Hörhilfe zu suchen. Die erste Filiale war ein umgebauter Bus mit mobilem Verkaufsservice für Amplifon-Hörgeräte. Erst in den 1990er Jahren begann die internationale Expansion mit ersten Geschäften in Spanien, der Schweiz und den USA. Nach dem Börsengang 2001 kamen Filialen in Ägypten, Ungarn, Großbritannien, Deutschland in vielen weiteren Ländern hinzu. In diesem Jahr hat Amplifon 30 Fachgeschäften in China übernommen. Insgesamt ist das Unternehmen in 29 Ländern aktiv.

„Wir bieten internationale Karrieren an“

Die internationale Ausrichtung ist auch ein Trumpf bei der Ausbildung des eigenen Nachwuchses. „Wir bieten internationale Karrieren an“, sagt Rolinski selbstbewusst. 2017 wurde in Hamburg ein eigenes Ausbildungszentrum gegründet. 260 Hörgeräteakustiker werden dort ausgebildet. Besonders beliebt ist ein Auslandsaufenthalt in Neuseeland oder Australien.