Nürnberg. In Nürnberg zeigt die weltgrößte Bio-Messe, wohin sich die Branche entwickelt. Es herrscht Optimismus. Doch es gibt auch Befürchtungen.
Wer wissen will, wo Bio heute steht, fängt am besten nochmal am Anfang an: bei der Rapunzel Naturkost AG. Sie mischten einst das Müsli in der Badewanne. Ihr Ökoladen in Augsburg, vor etwa 45 Jahren als einer der ersten Deutschlands eröffnet, hatte gerade mal 35 Quadratmeter. Heute hat allein ihr Messestand auf der weltgrößten Bio-Messe in Nürnberg (13. bis 16. Februar) schon fast die fünffache Größe – 190 Quadratmeter.
Man muss sich zu ihm durchwuseln, vorbei an den Geschäftsleuten in schicken Anzügen und Kleidern, an edel aufgemachten Ständen, die neuesten Produkte im besten Licht drapiert: kalorienreduzierte Hafer-Chia-Kekse ohne Zucker, kompostierbare knallrote Eislöffel aus Maisstärke, fruchtige Jackfruit-Chips. Jackfruit – beheimatet in Süd- und Südostasien – soll der neue Fleischersatz sein, die Chips schmecken süßlich, intensiv. Oder: der erste Berliner Wacholderbrand in Bioqualität, der Spree Gin.
In der Branche herrscht Optimismus. Mit Bio lässt sich seit Jahren gut verdienen. 2018 Jahr kauften Verbraucher in Deutschland Bio-Lebensmittel im Wert von 10,91 Milliarden Euro – das sind 5,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor, nennt der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) die aktuellen Zahlen der „BioBranche 2019“.
Damit ist Deutschland der mit Abstand größte Biomarkt in der Europäischen Union – und steht weltweit nach den USA an zweiter Stelle. 2017 hatte die Branche erstmals die Zehn-Milliarden-Euro-Marke geknackt.
Mancher fürchtet die „Lidlisierung“ von Bio
„Immer mehr Menschen wollen heimische Bauern ebenso stärken wie Klimaschutz, Biene und Feldhase, artgerechte Tierhaltung und die Gesundheit ihrer Familien und der Umwelt“, berichtet der BÖLW-Geschäftsführer, Peter Röhrig. Bio komme an, wovon auch die rund 40.000 Bio-Betriebe in Deutschland profitieren.
Rapunzel zum Beispiel ist heute mit gut 380 Mitarbeitern einer der führenden Bio-Hersteller Europas. Fast wäre es nicht so weit gekommen. Denn als bei Rapunzel gerade mal acht Leute arbeiteten, fanden das „einige aus der kleinen Arbeitsgemeinschaft schon zu viel“, erklären die Gründer. So hätten sie alle überlegt, das Wachstum zu stoppen oder auszusteigen und nach Italien zu gehen. Wann wird die Öko-Idee ausverkauft?
Die Frage beschäftigt die Branche aufs Neue, weil der Discounter Lidl Produkte von Bioland in seine Regale stellt. Es ist der erste Discounter mit einem Bio-Label, das strenger ist als EU-Bio. So mancher fürchtet nun die „Lidlisierung“ von Bio, den Preisdruck, den Ausverkauf der Ökoidee. Der Einkaufschef von Lidl Deutschland, Jan Bock, verteidigt dagegen die Kooperation: „Wir wollen Bio in die Mitte der Gesellschaft bringen.“
In Deutschland 1,5 Millionen Hektar biologisch beackert
Auch manche Bauern wittern in Bio neue Chancen. So mussten allein im Jahr 2017 rund 3100 von 267.000 Höfen dichtmachen. Gleichzeitig lässt sich mit Obst, Gemüse und Fleisch in Bioqualität mehr Geld verdienen. Erzielten Öko-Betriebe im Geschäftsjahr 2017/2018 im Schnitt knapp 65.000 Euro, so lag das Ergebnis konventioneller Höfe um rund 17.500 Euro darunter, wie eine Analyse des BÖLW ergab.
Die Konsequenz: 2018 stellten deutsche Bauern eine Fläche in der Größe von 150.000 Fußballfeldern auf Ökolandbau um. Insgesamt werden in Deutschland aktuell fast 1,5 Millionen Hektar Land biologisch beackert. Dies entspricht 8,9 Prozent der gesamten Landwirtschaftsfläche. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD vereinbart, den Öko-Landbau bis 2030 auf 20 Prozent auszuweiten.
Unterdessen steigt die Nachfrage insbesondere bei Lebensmittelhändlern, die ihr konventionelles Sortiment mit Öko ergänzen wollen – bei Discountern wie Lidl und Aldi bis hin zu Filialketten wie Edeka und Rewe. Sie verkauften 2018 bereits Bio-Produkte für 6,43 Milliarden Euro und erzielten damit knapp 59 Prozent des gesamten Bio-Umsatzes. Das ist ein Plus von 8,6 Prozent allein im vergangenen Jahr.
Menschen mit besseren Einkommen greifen eher zu Bio
Für die Zukunft stellt sich die Frage, ob dem Bio-Fachhandel, den Bio-Ketten und vor allem den Naturkostfachläden die Kunden weglaufen. So mancher befürchtet das, obwohl auch die Kleineren ihren Umsatz steigern konnten, wenngleich auch nur um 0,8 Prozent.
Bei allem Wachstum kommt die Bio-Branche aber doch nur langsam aus der Nische: Die Öko-Produkte machen am gesamten Lebensmittelmarkt gerade mal fünf Prozent aus. Manchen sind die Preise im Vergleich zu konventionellen Produkten schlichtweg zu teuer, wie eine Umfrage im Auftrag des Bundesagrarministeriums ergab. Danach greifen Menschen mit besseren Einkommen eher zu Bio-Produkten.
Ein Problem der Preisgestaltung liegt auch darin, dass die wahren Kosten nur selten in den Verkaufspreis einfließen. Wer weiß schon, was die Produktion eines Steaks wirklich kostet, wer denkt beim Einkauf schon an die Folgen für sein Trinkwasser oder für die Erderhitzung.
„Versteckte Kosten“ in vielen Lebensmitteln
Der Ökonom Tobias Gaugler von der Universität Augsburg hat diese „versteckten Kosten“ in seiner Studie „Was kosten Lebensmittel wirklich?“ errechnet und kommt zu dem Ergebnis: Eigentlich müssten die Verbraucher etwa für Milch von konventionell gehaltenen Kühen bis zu 30 Prozent mehr zahlen.
Warum? Bisher sei zum Beispiel nicht eingepreist, dass die konventionelle Landwirtschaft das Grundwasser besonders mit Nitrat belaste, dass der Aufwand, dieses dann zu Trinkwasser aufzubereiten, größer werde, erläutert der Wissenschaftler. Dafür komme derzeit die Allgemeinheit auf, genauso wie für Umweltschäden durch Treibhausgasemissionen oder zu hohen Energieverbrauch.