Hamburg. Energieversorger BEV war lange ein günstiger Anbieter. Jetzt erhöht er den Grundpreis um bis zu 277 Prozent – trotz laufenden Vertrags.

Günstig kann ganz schnell teuer werden. Das erleben derzeit einige Tausend Kunden aus Hamburg, die ihren Strom über die Bayerische Energieversorgungsgesellschaft (BEV) beziehen. „Wir haben seit Ende letzten Jahres sehr viele Beschwerden zu diesem Unternehmen bekommen“, sagt Jan Bornemann von der Verbraucherzentrale Hamburg (vzhh).

Es gehe vor allem um massive Preiserhöhungen um bis zu 277 Prozent beim Grundpreis, die Anfang Februar wirksam werden sollen. Der Grundpreis ist eine monatliche Gebühr, die unabhängig vom Verbrauch anfällt. Auch die Kilowattstunde soll mehr kosten.

Fast drei Viertel aller Beschwerden im Energiebereich gegen BEV

„70 Prozent aller Beschwerden im Energiebereich betreffen die BEV Energie“, sagt Tiana Preuschoff von der Verbraucherzentrale Niedersachsen, die sich als sogenannter Marktwächter um Kundenärger bei Energieunternehmen kümmert. Folglich laufen dort besonders viele Beschwerden auf.

„Der Fokus der Beschwerden hat sich geändert“, sagt Preuschoff. „Ging es bisher um Probleme mit der Rechnungslegung und nicht ausgezahlten Boni, steht jetzt die Preiserhöhung innerhalb der Preisgarantie in der Kritik.“ Nach Einschätzung der Expertin sind diese Preiserhöhungen vor Ablauf der Vertragsperiode überhaupt nicht zulässig.

BEV zahlte hohe Boni und landete so weit vorn bei Vergleichsportalen

Lange Zeit sicherte sich die BEV mit hohen Boni im ersten Vertragsjahr vordere Plätze auf den Ranglisten der Vergleichsportale Verivox und Check24. Das hat immer wieder Verbraucher dazu ermuntert, bei dem Versorger abzuschließen. Die Vergleichsportale signalisierten zudem eine hohe Kundenzufriedenheit mit der BEV. Auf seiner Internetseite schreibt die BEV von mehreren Hunderttausend Kunden, Branchenkenner sprechen von mehr als 500.000.

Inzwischen bieten beide Vergleichsportale die Tarife von BEV jedoch nicht mehr an. „Das Unternehmen hat uns Mitte Dezember gebeten, seine Tarife nicht mehr zu vermitteln“, sagt Dagmar Ginzel, Sprecherin von Verivox. „Aber wenn unsere Kunden Probleme mit der BEV haben, können sie sich weiterhin an uns wenden.“

Hamburger Verbraucherschützer rät zu Kündigung

Die betroffenen Verbraucher sind in einer schwierigen Situation. „Sie können der Preiserhöhung widersprechen“, sagt Bornemann. Denn BEV spricht von einer „vorzeitigen freiwilligen Erhöhung“. Zudem solle auch dem Lastschriftverfahren widersprochen werden, sagt der Verbraucherschützer.

Stattdessen sollte ein Dauerauftrag mit der bisherigen Rate eingerichtet werden, um mit den Zahlungen nicht in Verzug zu kommen. „Vorsorglich sollte man zum Ende der Vertragslaufzeit bei BEV kündigen und sich einen neuen Anbieter suchen“, rät Bornemann.

Bei vorzeitiger Kündigung kann der Bonus verloren gehen

Wer sich nicht weiter mit BEV streiten möchte, kann auch sein Sonderkündigungsrecht nutzen. „Die Kündigung muss spätestens dann beim Versorger vorliegen, wenn die Preiserhöhung in Kraft tritt“, sagt Preuschoff – und per Einschreiben geschickt werden.

Bei einer vorzeitigen Kündigung verlieren die Kunden allerdings einen Teil ihres Bonus. Dieser ist an die einjährige Vertragsdauer geknüpft. „Für welche Variante man sich entscheidet, hängt vom Einzelfall ab“, sagt Preuschoff.

BEV reagiert auf Fragen nicht

Die BEV reagierte auf Fragen des Abendblatts nicht. Auf der Internetseite Verbraucherschutz, die aber nichts mit den Verbraucherzentralen zu tun hat, erklärt sich das Unternehmen zu eher unkritischen Fragen. Dort wird die Preiserhöhung so begründet: „Die Geschäftsführung sah sich zu diesem Schritt verpflichtet, da die Beschaffungskosten in den vergangenen zwei Jahren an der Leipziger Strombörse EEX um durchschnittlich mehr als die Hälfte (50,88 Prozent) gestiegen sind.“

Zwar erhöhten laut einer Analyse von Check24 zuletzt bundesweit 529 von 834 Grundversorgern die Preise. Die Verteuerung betrug im Durchschnitt allerdings lediglich 5,1 Prozent.

Auch bei Gas von BEV gibt es Probleme

Nicht nur Stromkunden sind vom ungewöhnlichen Geschäftsgebaren der BEV betroffen. Marco M. wechselte im Mai 2018 als Gaskunde zu BEV. „Der Tarif war günstig. Es wurde ein Sofortbonus von 120 Euro und ein Neukundenbonus von 15 Prozent auf den Energiepreis versprochen“, sagt er. Außerdem sei die Bewertung auf dem Vergleichsportal Verivox gut gewesen.

Doch schon zum 1. Februar, also noch vor Ablauf der zwölfmonatigen Preisgarantie, sollen der Preis für die Kilowattstunde Erdgas um 20,8 Prozent auf 5,51 Cent und der monatliche Grundpreis um 138 Prozent auf 31,89 Euro steigen. „Das Unternehmen versucht offenbar, mit den überteuerten Preisen die Kunden zu Sonderkündigungen zu bewegen, damit sie den Anspruch auf den Bonus verlieren“, sagt M. Er hat von seinem Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht und spart beim neuen Anbieter dennoch.

Kunden sollen Tarife vergleichen – Vorsicht bei Boni

Hamburger Stromkunden der BEV können zu Anbietern wechseln, die nach dem Vergleich von Verivox deutlich günstiger sind, dazu zählt auch Vattenfall mit dem Tarif Easy12-Strom. „Wir raten nicht nur nach der maximalen Einsparung zu gehen, sondern sich auch mit dem Anbieter zu beschäftigen“, sagt Bornemann.

Gibt es bereits viele Beschwerden zu einem Unternehmen, so findet man das im Internet schnell heraus, etwa auf der Seite Reclabox. Verbraucherschützer raten vor allem zu Stadtwerken. „Es lohnt sich, Tarif und Grundpreis zu vergleichen. Wenn die Einsparung im ersten Jahr nur auf den Boni beruht, dann ist schon Vorsicht geboten“, sagt Bornemann.

Bundesnetzagentur untersucht BEV

Inzwischen hat die Bundesnetzagentur ein Aufsichtsverfahren gegen BEV eingeleitet. „Dabei geht es aber nicht um die jüngsten Preiserhöhungen“, sagt Michael Reifenberg von der Bundesnetzagentur. „Die Beschwerden über das Unternehmen wegen intransparenter Zwischenabrechnungen und nicht eingehaltener Anforderungen an Rechnungen für Energielieferungen haben sich gehäuft.“

Für die Preisgestaltung der Versorger ist die Behörde nicht zuständig. Verbraucherschützer hatten die BEV bereits Ende 2017 abgemahnt, weil die Firma für einige Kunden mitten im Jahr die Abschläge erhöht und das mit einer neuen Zählerablesung begründet hatte. Diese Ablesung hatte es laut der Verbraucherschützer nie gegeben.

Vergleich von BEV mit Hamburger Firma Care-Energy

Thomas Engelke, Teamleiter Energie und Bauen beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, sagt: „Nach Care-Energy fällt mit der BEV ein weiterer neuer Stromanbieter mit einem fragwürdigen Geschäftsmodell auf.“

Der Hamburger Energieanbieter hatte unter Umgehung der Umlage für erneuerbare Energien (EEG) besonders günstige Tarife angeboten und musste 2017 Insolvenz anmelden.