Hamburg. Start-up Flaschenpost startet Lieferservice in Hamburg – und wird von Bestellungen überrannt. Der Markt gilt als lukrativ.
Wasser, Saft, Limo, Bier – das Heranschaffen von Getränken ist in der Skala der Lieblingstätigkeiten nicht gerade der größte Hit. Deshalb war Jana Schröder (Name geändert) auch richtig glücklich, als sie den Getränkelieferdienst Flaschenpost im Internet entdeckte, der kurz zuvor in Hamburg gestartet war. Die Mutter von zwei Kindern griff zum Handy, orderte gleich mehrere Kisten – und war zufrieden. „Faire Preise, keine Liefergebühren und innerhalb von zwei Stunden stand alles wie versprochen in der Wohnung“, sagt die Eimsbüttlerin. In den folgenden Wochen bestellte sie noch einige Male, bis der Getränkenachschub abrupt endete. Per Mail teilte Flaschenpost Ende November mit, dass die Familie in nächster Zeit nicht mehr beliefert werden könne – der Ansturm sei zu groß. Nicht gerade der Normalfall für ein Start-up, das erst knapp drei Jahre auf dem Markt ist.
„Wir sind in Hamburg extrem schnell gewachsen“, sagt Flaschenpost-Marketingvorstand Christoph Huesmann. Bereits in der ersten Woche wären täglich über hundert Bestellungen eingegangen. Als es immer mehr wurden, zogen die Manager am Unternehmenssitz in Münster die Notbremse und reduzierten kurzerhand das Liefergebiet in der Hansestadt. Hauptproblem: Fahrermangel. „Durch die Verkleinerung erreichen uns vorerst weniger Aufträge, sodass wir unser Versprechen in 120 Minuten zu liefern, einhalten können“, sagt der 27-Jährige.
780 verschiedene Artikel im Angebot
Vor dem Lager in einem Gewerbegebiet in Billbrook sind an diesem Morgen mehrere Dutzend Lieferwagen mit dem grünem Logo in langer Reihe geparkt. Drinnen in der 8000-Quadratmeter-Halle stehen auf der einen Seite die vollen Getränkekisten (nur Mehrweg und viel Glas), auf der anderen das Leergut. „Wir haben 780 verschiedene Artikel im Angebot“, sagt Standortleiter Roland Glunz. Es gibt ein Basis-Sortiment und regionale Hersteller, etwa Viva con Aqua, Astra oder Fritz-Kola. Zusätzlich sind Produkte wie Kaffee und Klopapier orderbar und ganz wichtig: Eiswürfel. 1500 Bestellungen kämen aktuell in der Woche rein, so Glunz. Zusammen gut 7200 Kisten. Ausgeliefert wird ab 9 und bis spätestens 23 Uhr, täglich außer sonntags. Seit einigen Wochen ist auch die Vorbestellung zum Wunschtermin möglich. „Ich war bislang noch nie zu spät“, sagt Djawad stolz. Der 23-Jährige ist einer von 78 Fahrern in Hamburg. Jetzt sucht Hamburg-Chef Glunz dringend weiteres Personal, um den Lieferradius auszubauen.
Hamburg ist nicht der erste Standort, an dem die Gründer von Flaschenpost nach dem Start auf die Bremse treten mussten. Schon in der ersten Testphase 2014 in Münster wurden sie mit Kundenanfragen überschwemmt, sodass sie ihr Experiment stoppten und das Konzept grundlegend überarbeiteten. 2016 kam der Neustart – mit funktionierender IT, geeignetem Lager und mehr Lieferwagen. „Dass Getränkelieferungen Sinn machen, ist jedem klar. Wir bringen den Service ins 21. Jahrhundert“, sagt Marketingchef Huesmann selbstbewusst. „Unser Schwerpunkt ist die Lieferung kleinerer Mengen an Privathaushalte.“ In der Gründungsstadt Münster liegt der Marktanteil nach seinen Angaben inzwischen bei 30 Prozent.
2017 expandierte Flaschenpost nach Köln
Die Mindestbestellmenge bei Flaschenpost liegt bei drei Getränkekisten, Liefergebühren gibt es nicht, auch keine Zuschläge fürs Bringen und Abholen in oberen Stockwerken. Weil Flaschenpost direkt bei den Herstellern kauft und den Großhandel umgeht, sind die Preise ähnlich wie in Supermärkten (ohne Lieferservice). Eine Kiste Coca-Cola (1 Liter/PET) kostet mit 12,99 Euro plus Pfand in Hamburg ähnlich viel wie in vielen Edeka-Märkten, Bismarck-Mineralwasser (0,75 Liter/Glas) ist mit 5,49 Euro aber 1,20 Euro teurer als bei Edeka (4,29 Euro). Die 24er-Kiste Astra-Urtyp dagegen mit 9,99 Euro zwei Euro billiger. Deutlich höher sind die Preise zumeist bei anderen Lieferservices.
2017 expandierte Flaschenpost nach Köln. Aus Sicht von Gründer Dieter Büchl, der inzwischen auf den Chefposten im Aufsichtsrat gewechselt ist, der Prüfstein fürs Konzept. Im vergangenen Jahr startete die Getränkelieferung per Mausklick im Rhein-Neckar-Raum, in Nordrhein-Westfalen und in Hannover. Im Moment sind die Transporter bundesweit von neun Standorten aus unterwegs. Hamburg kam im September 2018 dazu. Pro Woche liefert das Start-up insgesamt 250.000 Kisten aus. Mehr als eine Million Bestellungen waren es im vergangenen Jahr. Laut Unternehmensangaben ist das Geschäft in Münster und Köln profitabel.
Zahl der Mitarbeiter liegt bei 1500
Die Zahl der Mitarbeiter liegt mittlerweile bei 1500. „Unsere Fahrer werden sozialversicherungspflichtig beschäftigt“, sagt Marketing-Mann Huesmann, der seit 2017 im Unternehmen ist. Es gibt Studenten mit 450-Euro-Jobs, aber auch Voll- und Teilzeitbeschäftigte. Der Grundlohn liegt bei 10 Euro pro Stunde, über ein Bonus-System für Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit können die Fahrer bis auf 12,50 Euro kommen. Klar ist, dass Flaschenpost weiterwachsen will. 40 Städte habe das Unternehmen für die Expansionspläne im Blick. Möglich ist das durch weitere 20 Millionen Euro, die die Getränkelieferanten 2018 bei Investoren eingesammelt haben. Das Wachstum erinnere an Zalando, beschrieb einer der Geldgeber die Erwartungen.
Der Getränkemarkt ist lukrativ. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Mineralwasser, Erfrischungsgetränken, Bier und anderen Alkoholika liegt nach Berechnungen des Bundesverbands des Deutschen Getränkegroßhandels bei knapp 450 Litern im Jahr. Allein der Großhandel setzt jährlich 23 Milliarden Euro um. Allerdings waren die Erlöse in den vergangenen Jahren rückgängig. Nach dem heißen Sommer erwartet die Branche für 2018 bessere Zahlen. Parallel sinkt die Zahl der Getränkefachmärkte. Ende vergangenen Jahres waren es noch 9600 bundesweit. Newcomer Flaschenpost, mit klar digital ausgerichtetem Konzept, sorgt für Unruhe. „Die Unternehmen merken das und nehmen es ernst“, sagt Verbandsvorstand Günther Guder. Auch Andreas Vogel vom Verband des Deutschen Getränke-Einzelhandels sagt: „Geschäftsmodelle wie Flaschenpost werden Umsatzzuwächse erzielen.“ Der erfolgreiche Fachhandel reagiere darauf mit weiter zunehmender Serviceorientierung.
Händler punkten mit breiterem Sortiment
Die Münsteraner sind nicht die Einzigen, die Potenzial für einen Lieferservice sehen. So startete der Getränkehändler Hoffmann in Berlin sein Digitalangebot Durstexpress. Aus Köln kommt das Start-up Durst, das klassischen Getränkemärkten eine digitale Plattform bieten soll. Auch Amazon und Supermarktketten wie Edeka und Rewe mischen im Markt mit und setzen den etablierten Lieferservices zu.
„Wir bieten mit einem Sortiment von 2700 Artikeln deutlich mehr Vielfalt“, sagt Peter von der Marwitz, der seit 20 Jahren den Blue Getränke Handel in Hamburg betreibt. Mit zehn Fahrzeugen liefert er im Schnitt 12.000 Kisten im Monat aus. Normalerweise bringt er die Getränke am Tag nach der Bestellung. Für Sofort-Lieferungen berechnet Marwitz zehn Euro extra. Bange machen lassen will er sich nicht von der Start-up-Konkurrenz. Aber er beobacht den Wettbewerb genau. „Flaschenpost kann als bundesweit agierendes Unternehmen mit viel Kapital bei Preisverhandlungen ganz anderes auftreten.“ Erst im Herbst habe ein Lieferdienst in Hamburg aufgegeben.
Flaschenpost macht Tempo
Flaschenpost macht unterdessen Tempo in Hamburg. Im Moment werden die Innenstadt und Teile der angrenzenden Stadtteile beliefert. Wo genau lässt sich über eine Suchfunktion auf der Internetseite feststellen. „Wir arbeiten daran, unseren Service schnell überall anbieten zu können“, sagt Logistikchef Richard Heitkamp-Frielinghaus. Einen Termin nannte er nicht. Die Eimsbüttlerin Jana Schröder bestellt derweil beim Getränkemarkt um die Ecke. Trotz der Enttäuschung kann sie sich vorstellen, als Kundin zu Flaschenpost zurückzukehren. Auch, weil immer noch eine leere Flaschenpost-Getränkekiste bei den Schröders steht. „Die lässt sich nirgendwo anders abgeben.“