Hamburg. Katharina Daube leitet in fünfter Generation einen Familienbetrieb – dabei wollte die 54-Jährige eigentlich lieber ins Hotelgewerbe.

Der Duft von Berlinern zieht durch das Haus. Heute früh, als sie gegen 6 Uhr angefangen hat, roch es nach frischen Brötchen. Dann irgendwann nach Brot, jetzt nach Berlinern. Doch Katharina Daube nimmt den Geruch kaum wahr. „Wenn man so lange hier arbeitet …“, sagt sie und der Rest des Satzes hängt in der Luft wie der Duft nach Backwaren. Sie ist damit groß geworden. Als Kind hat sie im Hinterhof der Bäckerei ihrer Eltern gespielt, als Zehnjährige sonnabends in der Backstube geholfen und später als Teenager im Verkauf gearbeitet. Aber übernehmen wollte sie den Betrieb nie, wirklich nie. Hatte sie doch all die Jahre miterlebt, wie sich ihre Eltern abrackern mussten. Wie die Familie zurückstecken musste, der Betrieb an erster Stelle stand.

Trotzdem, oder gerade deswegen: Als sie im Unternehmen gebraucht wurde, weil ihr Vater schwer erkrankte, war sie zur Stelle – und ist geblieben. Bis heute. Nun führt Katharina Daube das Familienunternehmen „Daube backt ...“ nicht nur in fünfter Generation, sie ist auch gerade zur Obermeisterin der Bäcker-Innung Hamburg gewählt worden und setzte sich in der Wahl gegen Konkurrent Thomas Effenberger (Effenberger Vollkornbäckerei) durch. Dabei ist die 54-Jährige selbst keine Bäckerin. Sie hat nach der Schule eine Ausbildung im Hotel gemacht und sich dann, nach dem Einstieg ins Familienunternehmen, als Verkaufsleiterin fortbilden lassen, um den Betrieb führen zu können.

Mit Katharina Daube werden die Bäcker in der Hansestadt zum ersten Mal seit Gründung der Innung 1883 von einer Frau angeführt. Ein Meilenstein in der Geschichte eines Handwerks, das lange Zeit ein reiner Männerberuf war. Doch langsam setzt in der Branche ein Wandel ein. Fast jeder fünfte Bäckereibetrieb wird heutzutage von einer Frau geführt.

Nicht ihr erster Posten in der Branche

Als Katharina Daube den Betrieb nach dem Tod ihres Vaters 1996 mit gerade Anfang 30 übernahm, war sie eine Ausnahme. Ein bisschen so wie heute als Frau an der Spitze einer Innung. Auch wenn dieses „Frauen-Männer-Ding“ für sie persönlich keine Rolle spielt. „Viel entscheidender ist doch, dass man so ein Amt engagiert ausfüllt.“ Es ist nicht ihr erster Posten in der Branche. Schon seit Jahren sitzt sie in der Tarifkommission und ist Vorsitzende des Prüfungsausschusses. Außerdem war sie lange im Vorstand der Innung und vor ihrer Wahl zur Obermeisterin zwei Jahre lang Stellvertreterin. Daher weiß sie, was sie erwartet, dass es nicht nur darum geht, die Innung zu repräsentieren und ihre 29 Handwerksbäckereien zu vertreten, sondern, dass es um mehr geht. Die Zukunft der Branche.

Denn obwohl der Jahresumsatz im deutschen Bäckerhandwerk im Jahr 2017 auf 14,48 Milliarden Euro stieg und sich der durchschnittliche Umsatz pro Betrieb von 1.218.000 Euro auf 1.276.000 erhöhte, sinkt die Zahl der Handwerksbäckereien. Derzeit gibt es noch rund 11.350 Betriebe – Mitte der 1990er-Jahre waren es mehr als doppelt so viele. Einer der Hauptgründe: Der Branche fehlt der Nachwuchs. Die Zahl der Azubis hat sich innerhalb des letzten Jahrzehnts nahezu halbiert.

Und niemand könnte das besser verstehen als die Frau, die einst selbst nicht ins Bäckereihandwerk wollte. Die die Arbeitsbelastung abgeschreckt hat. Die lieber eine Ausbildung im Hotel gemacht hat, weil sich das interessanter und vielseitiger anhörte. Sie winkt ab. So tickt man eben als junger Mensch, direkt nach der Schule, mit 16 oder 17 Jahren. Das war damals und ist heute so. Vielleicht sogar mehr als jemals zuvor. „Angesichts zunehmender Abiturientenzahlen hat das Handwerk immer öfter das Nachsehen“, so Katharina Daube. Ihre Tochter hat selbst studiert, ihr Sohn gerade damit begonnen. „Sie sollen selbst entscheiden, ob sie mal in den Betrieb einsteigen oder nicht“, so der Vorsatz der Daubes. Katharina Daube führt das Unternehmen gemeinsam mit ihrem Mann Frank (54). Er war einst Polizist, ist dann in den Bäckereibetrieb eingestiegen und hat eine Lehre und den Meister gemacht. Mit 35 Jahren.

Beruf muss attraktiver werden

In der Familie hatte man Glück, dass der Betrieb von Generation zu Generation weitergegeben werden konnte. Doch diese Familienübergabe wird immer mehr zum Einzelfall. Erst im Juli haben die Daubes den Betrieb eines Kollegen aus Bergedorf übernommen, der keinen Nachfolger gefunden hat. Heute arbeitet der Besitzer zwei Tage bei ihnen in der Backstube.

Der Beruf muss attraktiver werden. Das hat sich Katharina Daube vorgenommen und sich zusammen mit der Tarifkommission für eine Erhöhung der Vergütung für Auszubildende eingesetzt. Damit kommen Lehrlinge im Bäckerhandwerk jetzt im ersten Jahr auf 565 Euro. Fast 30 Euro mehr als zuvor. Verglichen mit dem Durchschnitt für alle Auszubildenden in Handwerk, Industrie und Handel liegen sie jedoch weiter knapp 200 Euro darunter – das Mittel liegt dort bei 876 Euro. Gehälter wie diese hält Daube in der Bäcker-Branche jedoch nicht für machbar.

Schon jetzt spürt man in der Branche die Auswirkungen der steigenden Energie- und Rohstoffkosten sowie die jüngsten Lohnerhöhungen für die Beschäftigten des Bäckerhandwerks. Viele Bäckereien haben bereits die Preise erhöht. Die anderen werden folgen, auch Daubes. Vermutlich um zwei bis drei Cent werden die Brötchen teurer, Kuchen um circa zehn Cent. „Die gestiegenen Rohstoffkosten haben nur zu einem geringen Teil mit dem heißen Sommer zu tun. Sie werden viel mehr von Agrarspekulanten in die Höhe getrieben“, kritisiert die neue Obermeisterin. Die Akzeptanz der Kunden sei zwar groß, stoße aber dann an ihre Grenzen, wenn jemand selbst knapp bei Kasse sei.

Kaum noch Wachstumspotenzial

Katharina Daube merkt immer öfter, dass einige Kunden nur bis Mitte des Monats bei ihr und ihren Kollegen einkaufen – und in den zwei Wochen danach Brot und Brötchen beim Discounter holen. Weil es dort billiger ist. Zehn Filialen, vor allem im Nordosten Hamburgs, betreibt die inhabergeführte Bäckerei & Konditorei L. Daube inzwischen, außerdem vier Stände auf Wochenmärkten. Hinzu kommen Großkunden wie Hotels und Gastronomiebetriebe, die Daube mit Brot und Brötchen versorgt. Rund 30 Prozent des Umsatzes stammen inzwischen von Großkunden. Tendenz steigend. „Das ist ein Bereich mit Wachstumspotenzial“, sagt Daube.

Das Filialgeschäft ist es derweil nicht mehr. Katharina Daube schüttelt wie zur Bestätigung den Kopf. Sie legt viel Wert auf das Miteinander, den persönlichen Umgang. Jedem Mitarbeiter hat sie zu Weihnachten eine Karte geschickt. Handgeschrieben. Mit einem Gedicht und einem Dank. „Die Mitarbeiter sind das Herzstück unseres Unternehmens. Ohne sie ginge es nicht“, sagt die 54-Jährige.

Sie hat heute einen langen Tag, wieder einmal. Auf dem Tisch stehen ein paar Berliner, noch nicht angerührt. Überall im Haus duftet es inzwischen nach Keksen. Heute Abend, wenn sie Feierabend macht, merkt man nichts mehr davon. Dann riecht es nur noch nach Reinigungsmittel. Aber nur ein paar Stunden lang. Kurz nach Mitternacht beginnt in der Backstube wieder die Arbeit. Dann kommt der Duft zurück.