Hamburg. Nach der Insolvenz des Händlers wartet Hamburger vergeblich auf seinen Audi – obwohl er den Fahrzeugbrief hat.
Wer die Internetseiten des Hamburger Autohauses Willy Tiedtke besucht, findet hier keinen Hinweis auf irgendwelche einschneidenden Veränderungen: Das Unternehmen ist nach eigener Darstellung weiterhin ein „besonders leistungsstarker Vertragshändler“, im Gebrauchtwagen-Markt werden aktuell 407 Fahrzeuge aufgelistet.
Doch die Firma hat in der vergangenen Woche einen Insolvenzantrag gestellt – und für Kunden wie Andreas Heuer *) klingt die Selbstdarstellung von Tiedtke nun wie reiner Hohn. Denn Heuer hat wenige Tage vor der Insolvenz einen Kaufvertrag für einen gebrauchten Audi unterschrieben, er hat rund 20.000 Euro gezahlt und daraufhin die Fahrzeugpapiere erhalten.
„Sogar die Nummernschilder habe ich schon zu Hause, denn am Sonnabend sollte ich das Auto abholen können“, sagt Heuer. „Aber dann sagte man mir, dass die Firma das Fahrzeug wegen der Insolvenz nicht herausgeben darf.“ Für ihn ist das ein Schock: „Ich hatte die laienhafte Vorstellung, dass mir das Auto ja schon gehört, wenn ich die Papiere in der Hand habe, und es dann auch mitnehmen kann.“
Heuer ist verärgert über die Unsicherheit
Bei Willy Tiedtke versprach man ihm, dass sich die Rechtsabteilung melden würde, was aber nicht geschehen sei. „Ich hinterlasse Rückrufbitten im Callcenter, aber auch das ohne Ergebnis.“ Heuer ist verärgert über die Unsicherheit: „Es geht hier um unser Familienfahrzeug – und ich habe den Wagen ja nicht bei einem Hinterhof-Händler gekauft, sondern bei einem renommierten Autohaus.“ Zwar sei die Rede davon, dass der Geschäftsbetrieb bei Willy Tiedtke weiterlaufe, aber für Fälle wie diesen gelte das offenbar nicht.
Allerdings sei den Mitarbeitern des Händlers nichts vorzuwerfen, wenn sie den Audi nicht auslieferten, sagt Kerstin Föller, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg: „Das Autohaus war nach dem Insolvenzantrag nicht mehr verfügungsberechtigt.“ Weil der Kunde aber bereits die Fahrzeugpapiere habe, zähle das Auto nicht zur Insolvenzmasse: „Die Papiere dienen als Eigentumsnachweis, und mit ihnen kann das Auto problemlos von den anderen Gebrauchtwagen, die bei dem Händler stehen, unterschieden werden.“
Nur müsse sich der Käufer in dieser Situation von sich aus an den Insolvenzverwalter beziehungsweise den gerichtlich bestellten Sachwalter wenden, der die Herausgabe des Autos veranlassen werde. Anders sähe es aus, wenn der Kunde das Auto zwar bezahlt, aber noch nicht die Fahrzeugpapiere erhalten habe: „Dann hat der Käufer Pech gehabt.“ Er kann dann nur noch hoffen, später wenigstens einen Teil des Kaufpreises aus der Insolvenzmasse zurückzuerhalten. Vom Unternehmen hieß es dazu, man werde nun jeden Einzelfall eines Kaufvertrags rechtlich prüfen, was jedoch noch einige Tage in Anspruch nehmen könne.
Imageproblem des Diesel-Antriebs
Mit rund 300 Beschäftigten zählt Willy Tiedtke zu den 100 größten Autohändlern in Deutschland. Das im Jahr 1935 gegründete Unternehmen ist die Nummer drei unter den Volkswagen-Händlern in Hamburg und hat außerdem die VW-Konzernmarken Audi und Skoda im Programm.
Nach Einschätzung von Branchenkennern hat Tiedtke genau wie zahlreiche andere Autohäuser Schwierigkeiten mit dem Rückkaufwert von Diesel-Leasingfahrzeugen bekommen: Die Händler müssen die Wagen nach Vertragsende zu festgelegten Preisen zurücknehmen. Doch am Gebrauchtwagenmarkt sind Autos mit Dieselmotor derzeit zu diesen Preisen nicht mehr verkäuflich, sodass die Händler erhebliche Verluste hinnehmen müssen.
Das Imageproblem des Diesel-Antriebs angesichts der Diskussion über Fahrverbote zeigt sich auch in diesen Zahlen: Nach Angaben des Kraftfahrt-Bundesamts lag der Anteil von Diesel-Pkw an den Neuzulassungen im September bei 29,3 Prozent – vor einem Jahr waren es 36,3 Prozent und vor zwei Jahren sogar noch 44,6 Prozent.
Mehr Insolvenzverfahren
Zwar sieht man bei Willy Tiedtke gute Chancen dafür, dass die Standorte des Unternehmens – mit neuen Eigentümern – bestehen bleiben können. „Die entsprechenden Gespräche mit namhaften Interessenten aus der Automobilbranche verlaufen derzeit ermutigend“, hieß es dazu. Doch es ist zu befürchten, dass Fälle wie der von Andreas Heuer in den nächsten Monaten bundesweit zunehmen werden.
Wie die WirtschaftsWoche unter Berufung auf den Insolvenzdienstleister STP-Portal berichtete, hat sich die Zahl der Insolvenzverfahren im Bereich „Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen“ in den ersten neun Monaten 2018 bereits auf 1943 gegenüber 1890 Verfahren im Vorjahreszeitraum erhöht. Und selbst der Bundesverband freier Kfz-Händler (BVfK) ist nicht zuversichtlich, wie Verbandschef Ansgar Klein dem Abendblatt sagte: „Der BVfK rechnet mit einer weiteren Zunahme der Insolvenzen im Kfz-Gewerbe.“
*) Name geändert