Hamburg. Hamburgs Börsenpräsident Friedhelm Steinberg im Abendblatt-Interview über automatisierte Geldanlagen und den schwächelnden DAX.
Aktienbesitzer blicken seit einigen Monaten besorgt in ihre Depots – denn die Kurse fallen. Wie geht es weiter an der Börse? Und welche Auswirkungen haben neue Technologien auf die Kurse? Ein Gespräch mit Börsenpräsident Friedhelm Steinberg.
Zum Jahresende 2017 sagten Sie, wir lebten „in einer der besten Börsenwelten seit Langem“. Würden Sie das heute, nachdem der Deutsche Aktienindex (DAX) um 800 Punkte gefallen ist, auch noch so vertreten?
Friedhelm Steinberg: Die Konjunktur läuft immer noch sehr erfreulich, und die Unternehmensergebnisse sind entsprechend gut. Außerdem sind die Zinsen noch immer sehr niedrig. Insofern gilt die Aussage unverändert. Nur ist ein Risiko deutlicher hervorgetreten, auf das ich damals schon hingewiesen hatte: Das politische Umfeld hat sich verschlechtert, schon wegen der von US-Präsident Donald Trump losgetretenen Handelskonflikte. Solche Unsicherheiten sind nicht gut für den Aktienmarkt; sie haben auch erheblich negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Situation in unserem Land.
Sechs Jahre in Folge hat der DAX zugelegt. Wird 2018 wieder ein Jahr mit Verlusten?
Steinberg: Sollte Trump eine Einigung im Handelsstreit mit China erzielen, kann es schnell um einige Hundert DAX-Punkte nach oben gehen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass der DAX die 13.000 Punkte, mit denen wir in das Jahr 2018 gestartet sind, bis Ende Dezember wieder erreicht. Allerdings erwarte ich auch keinen drastischen Einbruch der Kurse. Schließlich ist unglaublich viel Kapital da, das nur auf gute Anlagechancen wartet. Angesichts der Niedrigzinsen haben wir einen echten Anlagenotstand – so etwas habe ich in 40 Jahren Berufspraxis am Finanzmarkt nicht erlebt.
Ist es für Privatpersonen dennoch ratsam, jetzt in Aktien zu investieren?
Steinberg: Für langfristig orientierte Anleger ist das auch jetzt sinnvoll – vorausgesetzt, man tut es mit Geld, das man nicht in wenigen Jahren unbedingt für etwas anderes braucht. Am besten investieren Privatanleger in regelmäßigen Abständen über einen längeren Zeitraum. Sie sind insgesamt dann eher auf einer sichereren Seite.
Sollte man dazu vor allem auf deutsche oder auf europäische Aktien setzen?
Steinberg: Ich würde über Investment-Fonds oder Indexfonds, sogenannte ETFs, in einen weltweiten Aktienkorb investieren, wie ihn der Index MSCI World darstellt, um das Risiko besser zu streuen. Nebenbei bemerkt hat der Haspax, der Index für Hamburger und andere norddeutsche Aktienwerte, über die zurückliegenden fünf oder sechs Jahre tendenziell besser abgeschnitten als der DAX. Aber leider gibt es keine Fonds oder Zertifikate mehr, die den Haspax abbilden.
2017 soll die Zahl der Aktionäre in Deutschland leicht zugenommen haben. Spürt die Börse Hamburg das an ihrem Geschäft?
Steinberg: Nein, leider nicht. Ich kann nicht erkennen, dass die Aktienkultur in Deutschland wirklich Fortschritte macht. Die Risikoabneigung ist immer noch sehr groß. Die Chancen, die die Börse bietet, werden weiterhin vorwiegend von Großanlegern genutzt, viele davon aus dem internationalen Raum. Deutlich mehr als 50 Prozent der Aktien von börsennotierten deutschen Unternehmen sind ja inzwischen in ausländischer Hand. Solche Großanleger aber nutzen eher das Xetra-Handelssystem der Deutschen Börse, während wir mehr den Privatanleger ansprechen.
Warum sind die Privatanleger weiter so zurückhaltend?
Steinberg: Das hat sicher mit der Mentalität, einer starken Risikoscheu, zu tun. Die Menschen nehmen einen Vermögensverlust von zwei Prozent pro Jahr durch die Inflation bei niedrigen oder überhaupt nicht vorhandenen Zinsen lieber hin als das Risiko eines einmaligen Kursrückgangs von zehn Prozent am Aktienmarkt. Dabei belegen Statistiken, dass sich schon bei einer Anlagedauer von zehn Jahren praktisch immer eine positive Rendite ergibt. Wahrscheinlich spielt aber auch die Finanzmarktregulierung eine Rolle. Es ist den Banken ja zuletzt noch viel schwerer gemacht worden, ihre Kunden zu Wertpapieranlagen zu beraten. Auf diese Weise verkehrt sich der angebliche Verbraucherschutz ins Gegenteil.
Technologietitel wie Google, Amazon oder Apple haben sich jüngst extrem viel besser entwickelt als der Gesamtmarkt. Ist das aus Ihrer Sicht eine Übertreibung?
Steinberg: Tatsächlich haben sich die Bewertungen dieser Titel weit von allen üblichen Marktdurchschnitten abgesetzt.
Aber solche Unternehmen zeigen eben auch ein starkes Wachstum, und sie haben ein praktisch nicht limitiertes Geschäftsmodell. Vor allem aber sind auch ihre Bilanzen solide, sie verfügen über Hunderte Milliarden an Geldvermögen in der Kasse. Das alles trägt dazu bei, dass die drei wertvollsten amerikanischen Konzerne inzwischen mehr wert sind als sämtliche 30 DAX-Titel zusammen. Und diese Entwicklung ist noch nicht am Ende.
Was halten Sie von Anlagerobotern, die immer mehr Anlagegeld verwalten – und profitiert auch die Börse Hamburg davon?
Steinberg: Ich sehe diesen Trend nicht nur positiv. Weil solche Roboter – jedenfalls derzeit noch – starre mathematische Modelle nutzen, kann das die ohnehin immer größeren Ausschläge am Aktienmarkt noch verstärken, denn die zugrunde liegenden Computerprogramme werden sich alle ähnlich verhalten. Bei wirklich intelligenten, selbstlernenden Systemen stehen wir noch ganz am Anfang. Auch andere automatisierte Modelle sind nicht ungefährlich. Das Geld der Kunden fließt heute zunehmend in börsennotierte Indexfonds, die ETFs, die den Markt passiv abbilden. Wir sind übrigens gerade dabei, unser Geschäft auch mit solchen Produkten auszubauen, wobei uns der Zusammenschluss mit der Börse Düsseldorf zusätzlich hilft.
Seit vielen Jahren experimentiert die Börse Hamburg mit neuen Handelsplattformen für Finanzprodukte oder Wirtschaftsgüter. Welches ist die jüngste Idee?
Steinberg: Wir arbeiten an einer Art Versteigerungsplattform für kleine und mittelgroße Windenergieanlagen und sind hierfür sehr optimistisch. Es gibt gute Aussichten, noch in diesem Jahr ein Volumen zwischen 20 Millionen und 40 Millionen Euro umzusetzen. Außerdem errichten wir mit Nachdruck einen Erstmarkt für geschlossene Fonds.
Im vergangenen Jahr startete unter dem Dach der Börse Hamburg ein Handel mit Schuldscheinen und einer für Geldanlagen in Container. Wie haben sich diese beiden Ideen bewährt?
Steinberg: Leider war für beides der Zeitpunkt nicht günstig: Wer Schuldscheine mit attraktiver Verzinsung hält, will sie nicht verkaufen – und der Marktführer für Containeranlagen ist insolvent. Wir sind aber überzeugt, dass beides mittelfristig doch noch ein interessantes Geschäft werden kann. Außerdem haben wir eine Reihe weiterer Ideen.