Hamburg. Hamburger Safthersteller Kale & Me expandiert zwei Jahre nach Auftritt in TV-Show kräftig. Kooperation mit Elbe-Obst aus dem Alten Land
Es ist sinnvoll, manchmal auf seine Kinder zu hören. Ulf Wittlich, Geschäftsführer von Elbe-Obst im Alten Land, bekam vor zwei Jahren von seinen Töchtern den Tipp, sich die Gründer-Show „Die Höhle der Löwen“ auf Vox anzuschauen, weil ihn ein Start-up mit Namen Kale & Me interessieren könnte. Die junge Hamburger Firma präsentierte in der TV-Sendung ihr Konzept von kalt gepressten, schonend haltbar gemachten Saft-Mixturen, die hauptsächlich online vertrieben wurden. Wittlich sah, recherchierte ein wenig und lud „Kale & Me“-Mitgründerin Annemarie Heyl zum Vortrag in seinen Rotary-Club nach Buxtehude ein – eine Rede mit Folgen.
Die anschließende Liaison von Traditionsunternehmen und Start-up, die konventionell mit der Lieferung von Äpfeln an Kale & Me durch Elbe-Obst begann, hat sich rasch intensiviert, denn die ungleichen Partner entdeckten, dass sie viel voneinander lernen, also von der Zusammenarbeit profitieren können. Den bislang größten Schritt gehen sie jetzt mit der Gründung des gemeinsamen Tochterunternehmens Nordsaft GmbH. Elbe-Obst und Kale & Me haben zum Einstand zu gleichen Teilen insgesamt fast 300.000 Euro investiert, um die Säfte des Start-ups autonom herstellen zu können. Vorher hatte Kale & Me in der Nordheide produziert und dafür einmal wöchentlich die Anlagen einer Mosterei gemietet. Das Joint Venture mit Elbe-Obst wird die Produktion flexibler und kostengünstiger machen und soll dem expandierenden Jungunternehmen weiteren Schub geben.
In einer Halle von Elbe-Obst in Horneburg trifft sich Ulf Wittlich (53) mit Annemarie Heyl (31) und Konstantin Timm (28), die Kale & Me (Kale ist das englische Wort für Grünkohl) 2015 zusammen mit David Vinnitski (27) gegründet haben, zum Start der Produktion von Nordsaft. Erstmals werden die neuen Anlagen getestet: Edelstahltanks, in denen die kalt gepressten Säfte gekühlt, zwischengelagert und gemischt werden, eine hydraulische Saft-Bandpresse sowie eine fast vollautomatische Abfüllanlage.
Eine Premiere ist es auch für die neue Produktreihe, die Kale & Me auf den Markt bringt, um künftig in Supermärkten vertreten zu sein: drei Mix-Säfte auf Apfelbasis unter dem Label „Natürlich nordisch“, die preislich günstiger sein werden (Preisempfehlung: unter vier Euro für 0,5 Liter) als die sieben für Saftkuren (320 Milliliter für 4,50 Euro) und die drei mit Ingwer beziehungsweise Cayennepfeffer scharf gewürzten Shots (100 Milliliter für 3,50 Euro). Insgesamt 18 überwiegend regionale Zutaten werden von Kale & Me in unterschiedlichen Kombinationen verarbeitet. Alle Säfte werden nach Pressung und Abfüllung im HPP-Verfahren (High Pressure Processing), also unter Hochdruckpressung, schonend haltbar gemacht. Dieser letzte Produktionsschritt erfolgt extern, weil sich das Investment für eine HPP-Maschine noch nicht rentieren würde.
„Kale & Me ist ein interessantes Start-up, das einen guten Job macht“, sagt Ulf Wittlich. „Sie bedienen eine kleine, feine Nische, indem sie hochqualitative Säfte fast von Hand herstellen. Ihre Produkte haben mit Säften aus der Massenproduktion nichts zu tun.“ Doch es ist nicht das geschätzte Produkt, das Kale & Me für den Elbe-Obst-Geschäftsführer so interessant macht, sondern vor allem das Know-how der Newcomer in der Onlinevermarktung.
Auf den ersten Blick haben beide Geschäftsfelder wenig miteinander zu tun. Doch es gab von Anfang an einen gemeinsamen Nenner: „Beide Partner glauben daran, dass sich Synergien ergeben“, so Wittlich. Er fügt hinzu: „Ein Großteil der „Kale & Me“-Säfte hat einen Apfelanteil, und als Lieferant sind wir aufgeschlossen gegenüber den Plänen des Partners.“ Elbe-Obst ist eine 1968 gegründete Erzeugergemeinschaft, der mehr als 300 Apfelbauern im Alten Land angehören. Elbe-Obst übernimmt für sie zentral die Lagerung, Sortierung, Verpackung und Vermarktung ihrer Produkte für den Großhandel, das sind im Schnitt jährlich 180.000 Tonnen Äpfel oder 90 Prozent des Umsatzes. Die restlichen zehn Prozent entfallen auf Birnen und Beeren. Elbe-Obst verhandelt als größter Verbund dieser Art mit Handelsketten und dem Großhandel direkt. „Wir wissen aber auch, dass wir künftig online mehr werden machen müssen. Dabei geht es selbstverständlich nicht einfach um eine Neugestaltung der Website, sondern um tieferes Verständnis der Onlinevermarktung und zum Beispiel die Frage, wie wir neue Zielgruppen direkt erreichen“ – also um Wissen, das der Juniorpartner in kurzer Zeit bereits entwickelt hat.
Kale & Me entstand zufällig, gewissermaßen am Wohngemeinschaftstisch. Annemarie Heyl und Konstantin Timm lernten sich 2014 in Kapstadt kennen, wo sie zur gleichen Zeit studierten. Beide wollten eine Saftkur machen und entdeckten dabei das doppelt schonende Verfahren von Kaltpressung und Hochdruck-Konservierung. Zurück in Deutschland überzeugten die beiden Konstantins Kommilitonen David Vinnitski vom Projekt. Die drei begannen 2015 mit geringem Startkapital, viel Learning by Doing und reichlich Enthusiasmus. Letzterer überzeugte auch zwei Investoren, sich am Hamburger Start-up zu beteiligen, was für den Anfang sehr half. Den Durchbruch brachte schließlich „Die Höhle der Löwen“ bei Vox. Zwar reichte es nicht zum „Gewinn“ von viel Risikokapital, doch die TV-Sendung war bestes Marketing für die Produkte.
„Die ‚Höhle der Löwen‘ hat unglaublich geholfen, was unsere Liquidität anbelangt. Direkt nach der Sendung bekamen wir Bestellungen über 50.000 Flaschen – das war viermal so viel wie vorher“, erzählt Annemarie Heyl. Inzwischen sei man im Jahresschnitt bei 25.000 Flaschen wöchentlich, Tendenz steigend.
Kale & Me hat heute 21 Mitarbeiter, die Firma sitzt in einem Büro nahe des Baumwalls und hat auch sonst beste Aussichten. Nordsaft bietet Kapazitäten für die Produktion von bis zu 25.000 Flaschen in täglich zwei Schichten. Angestrebt wird die Auslastung der Maschinen mit 80.000 Flaschen an vier Tagen. Dazu wird es nötig sein, künftig auch in Supermärkten präsent zu sein. In einigen Edeka-Märkten, im Winterhuder Rewe von Holger Stanislawski und in Bio-Märkten ist Kale & Me bereits vertreten. Die drei neuen, gerade zertifizierten „Natürlich nordisch“-Säfte, die aktuell in der Testphase in drei Edeka-Märkten in Eppendorf, Harvestehude und in der HafenCity sind, sollen für eine weitere Verbreitung sorgen. Annemarie Heyl: „Zurzeit vertreiben wir 95 Prozent unserer Säfte online. Wir wollen im Einzelhandel, in richtig guten Supermärkten, die zu unseren Produkten passen, so zulegen, dass wir auf ein Verhältnis von 50:50 kommen.“
Selbst ein kalt gepresstes Apfelmus ist denkbar
Bereits nach einem Jahr erwirtschaftete Kale & Me Gewinne, seither wird konsequent reinvestiert. Den schnellen Erfolg führt Annemarie Heyl darauf zurück, dass im Unternehmen „nicht alles totgeredet“ worden sei.
Eine Frage des gegenseitigen Vertrauens und Respekts ist auch das Joint Venture mit Elbe-Obst. Mehr Umsatz von Kale & Me wird Nordsaft als selbstständige Produktionseinheit für beide profitabel machen. Als nicht minder erstrebenswert sehen die Partner aber den Wissenstransfer. Kale & Me mit seiner individuellen Logistik und der internationalen Belieferung von Endverbrauchern möchte vom Know-how und den Kontakten des Palettenlogistikers Elbe-Obst profitieren, der Geschäfte in großem Stil abwickelt. Beide wollen regen Austausch über Praktika von Mitarbeitern der jeweiligen Vertriebsteams fördern sowie Workshops und Coachings veranstalten.
Auch die Entwicklung gemeinsamer Produkte kann Annemarie Heyl sich gut vorstellen: „Warum nicht ein natürliches kalt gepresstes und unter Hochdruck konserviertes Apfelmus als ernsthafte Konkurrenz zu Konservenware?“, fragt sie. Und nicht ausgeschlossen ist auch ein Nebeneffekt, der nicht im Businessplan vorkommt: dass das Ganze Modellcharakter für die Kooperation von Traditionsunternehmen und Start-ups bekommen könnte.