Hamburg. Vorstandschef Johannes Bußmann erklärt, warum das Unternehmen deutlich mehr ausbildet und 42 Millionen Euro in Hamburg investiert

    und Volker Mester

    Ein Hamburger Unternehmen betreut fast ein Fünftel der weltweiten Flotte von Verkehrsflugzeugen: Lufthansa Technik ist der Marktführer im Geschäft mit der Wartung, Reparatur und Überholung von Passagier- und Frachtfliegern. Nach Sparprogrammen in der Verwaltung und in der Triebwerkssparte sowie der Schließung der Flugzeugüberholung am Standort Hamburg geht es bei der Lufthansa-Konzerntochter nun auch im Hinblick auf die Beschäftigtenzahl wieder aufwärts. Das Abendblatt sprach mit Johannes Bußmann, dem Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens.

    Herr Bußmann, am 5. Oktober wird es in Hamburg einen Luftfahrtgipfel geben. Thema sind die stark gestiegenen Verspätungen. Hat das Auswirkungen auf Lufthansa Technik? Werden Sie dabei sein?

    Johannes Bußmann: Auf dem Gipfel werden wir von Carsten Spohr, dem Chef der Lufthansa-Gruppe, gut vertreten. Wir sind aber in die Vorbereitungen eingebunden, denn die Verspätungen haben definitiv Einfluss auf unser Geschäft. Sie machen uns die Planung von Wartungsereignissen sehr viel schwerer. Ich ziehe meinen Hut vor unseren Mitarbeitern, die täglich bei den Abläufen improvisieren müssen, aber das kann keine Dauerlösung sein. Daneben sind viele von uns natürlich auch ganz persönlich von ineffizienten Abläufen im Luftverkehr betroffen, etwa wenn es um langwierige Sicherheitskontrollen am Flughafen geht. Ich bin überzeugt davon, dass sich dies mit modernen Scannern ohne Sicherheitseinbußen beschleunigen ließe, die Geräte müssen nur zugelassen werden. Das wünsche ich mir jedes Mal, wenn ich hier in Hamburg um 6 Uhr an der Passagierkontrolle warte – schließlich bin ich für jede Minute dankbar, die ich um diese Zeit länger schlafen kann.

    Die Lufthansa hat sich jüngst ein neues Design verpasst. Gefällt es Ihnen? Es ist ja umstritten ...

    Das ist normal, wenn man nach so vielen Jahren etwas ändert. Wenn Sie ein Flugzeug von uns auf dem Vorfeld gesucht haben, haben Sie immer nach dem gelben „Spiegelei“ geguckt. Ich finde das neue Design gut, extrem frisch und zeitgemäß. Aber umgewöhnen muss ich mich auch. Wir sind gerade dabei, das Design von Lufthansa Technik anzupassen, und werden das peu à peu einführen.

    Der Konzern wächst, bei Eurowings hat man nach der Air-Berlin-Pleite 77 Flugzeuge in die Flotte aufgenommen. Profitiert Lufthansa Technik davon?

    In den meisten Bereichen hat sich nicht viel verändert – mit einer Ausnahme: In der Wartung – das ist die Betreuung der Flugzeuge direkt am Gate und über Nacht – sind es halt sehr viele Flugzeuge mehr. Das ist schon eine sehr große Herausforderung und mehr Arbeit. Entsprechend haben wir das Personal an den Einsatzorten aufgestockt. Wir haben alle Auszubildenden und viele ehemalige Mitarbeiter von Air Berlin eingestellt. Die Wartung der Geräte aus diesen 77 Flugzeugen hatten wir aber schon vorher unter Vertrag.

    Vor einem Jahr sagten Sie dem Abendblatt, dass mittelfristig die Mitarbeiterzahl in Hamburg mit 7500 stabil bleiben soll. Nun haben Sie auf 8000 aufgestockt. Was ist das Geheimnis des Jobaufbaus?

    Das sind mehrere Faktoren. Erstens liegt es an Air Berlin, die ebenfalls Wartung machten und durch deren Insolvenz ein Anbieter wegfiel. Das haben wir aufgefangen. Zweitens haben wir relativ viele Verträge gewonnen, zum Beispiel übernehmen wir für British Airways jetzt die Wartung der Räder und Bremsen. Drittens investieren wir derzeit jedes Jahr rund 40 Millionen Euro im Bereich Innovation und Digitalisierung, der überwiegend in Hamburg stattfindet und kräftig zum Personalaufbau führt. Und viertens fahren wir die Anzahl der Auszubildenden deutlich nach oben, haben von Mitte 80 auf 160 erhöht. Wir wissen, dass in fünf bis sechs Jahren relativ viele Kollegen in den Ruhestand gehen. So lange dauert es aber auch, einen Mechaniker voll zu qualifizieren. Deshalb müssen wir jetzt mit einem langen Vorlauf anfangen. Mittelfristig wird sich die Mitarbeiterzahl in Hamburg zwischen 7500 und 8000 bewegen. Wenn wir weiterhin Aufträge gewinnen, kann sich das weiter positiv entwickeln.

    Wie läuft das Geschäft denn?

    Wir hatten uns das Ziel gesetzt, am Jahresende weltweit 5000 Flugzeuge technisch zu betreuen, nach 4556 im vorigen Jahr. Das werden wir voraussichtlich schaffen, bis heute sind wir schon bei rund 4900. Wir haben in allen Bereichen eine gute Geschäftsentwicklung – nur bei den Triebwerken sind wir deutlich unter Plan, weil einfach nicht genügend Material zum Beispiel für thermisch stark belastete Spezialschaufeln zur Verfügung stand. Wir konnten nicht so viele Triebwerke auseinander- und zusammenbauen, wie wir wollten. Da wird es in diesem Jahr weniger Umsatz geben als im Vorjahr. Das betrifft fast alle Triebwerkstypen.

    Mussten deswegen Flugzeuge am Boden bleiben, weil man bestimmte Teile nicht austauschen konnte?

    Ja, das ist so. Die Lage ist derzeit weltweit schwierig. Alle Kunden – nicht nur Lufthansa – fliegen derzeit mit deutlich mehr Reservetriebwerken. Normalerweise halten wir immer für jeden Typ mindestens ein Reservetriebwerk vor, für große Flotten auch mehrere. Für einzelne Flugzeugtypen haben wir heute kein einziges Reservetriebwerk mehr. Das heißt: Wenn da ein Vogel reinfliegt, gibt es keinen Ersatz mehr.

    Apropos Triebwerke: Für die neo-Antriebe zum Beispiel für den A320 machen Sie mit MTU einen Wartungsstandort in Polen auf. Lohnt sich das Geschäft in Deutschland nicht?

    Wir haben in Europa gesucht, weil wir für den europäischen Gesamtmarkt Kapazitäten anbieten wollen. Da spielen Lohnkosten natürlich eine Rolle, und die sind in Polen niedriger. Viele Leute wissen gar nicht, dass das Land seit vielen Jahren eine sehr luftfahrtaffine Industrie und hoch qualifiziertes Personal hat – auch dank vieler Hochschulen.

    Investieren Sie auch in Hamburg?

    Wir wollen für 42 Millionen Euro unsere Hydraulikwerkstatt mit deutlich mehr als 200 Mitarbeitern neu aufbauen. Dort werden Tausende Komponenten wie Druckzylinder, Hydraulikleitungen und die entsprechenden Computersteuerungen aus dem Flugzeug gewartet, repariert und anschließend getestet. Während die früheren Flugzeugtypen mit einem Systemdruck von umgerechnet gut 200 bar arbeiten, sind es bei neuen Modellen wie dem Airbus A350 oder Boeings 737 MAX fast 350 bar. Da ist dann richtig Dampf auf dem Kessel. Entsprechend brauchen wir in der ­Hydraulikwerkstatt neue Teststände und Zuleitungen, weil ein anderer Energiebedarf herrscht. Diese modernen Flugzeuge werden in einigen Jahren das Gros unserer Aufträge ausmachen. Daher haben wir uns zu dieser großen Investition entschlossen und werden die Fläche auf gut 9000 Quadratmeter fast verdoppeln. Anfang 2021 soll sie in Betrieb gehen.

    2015, im Jahr Ihres Amtsantritts, hat sich Lufthansa Technik ein Umsatzziel von umgerechnet 6,7 Milliarden Euro bis 2018 gesetzt. Müssen wir annehmen, dass Sie dieses Ziel verfehlen werden, nachdem der Umsatz 2017 erst bei 5,4 Milliarden Euro lag?

    Weil sehr viele unserer Verträge in Dollar abgeschlossen werden, hatten wir die Zielgröße intern in dieser Währung formuliert. In Dollar gerechnet werden wir das Ziel voraussichtlich nur um etwa 100 Millionen Euro verfehlen, aber der Dollarkurs ist in der Zwischenzeit erheblich gesunken.

    Die Luftfahrt gilt als sehr schwankungsanfälliger Markt, doch jetzt ist sie schon sehr lange in einer Wachstumsphase. Ist der nächste Abschwung nicht überfällig?

    Tatsächlich geht es schon seit zehn oder zwölf Jahren nach oben. Da wäre es fahrlässig, davon auszugehen, dass dies noch zehn Jahre so bleibt. Auf der anderen Seite steigern die großen Flugzeughersteller ihre Auslieferungsraten, was auch für uns tendenziell mehr Arbeit bedeuten wird.

    Macht Ihnen der zunehmende Protektionismus Sorgen?

    Zölle machen unser international stark vernetztes Geschäft nicht leichter. Derzeit sehen wir aber keine Abnahme des Luftverkehrs. Die Menschen reisen nicht weniger, sie reisen nur vielleicht woandershin als zuvor.

    Daten sind auch in der Flugzeugwartung das neue, große Geschäft, nachdem die Triebwerke und andere Bauteile immer umfangreichere Informationen über ihren technischen Zustand liefern. Wem gehören diese Daten eigentlich – den jeweiligen Herstellern oder den Fluggesellschaften?

    Wenn eine Airline ein Flugzeug kauft, legt sie sich für 20 oder 30 Jahre darauf fest. Vor diesem Hintergrund kann es nicht sein, dass die Daten den Herstellern gehören. Es muss einen Wettbewerb um Wartungsdienstleistungen geben können, der diese Daten verwendet. Außerdem reicht es noch nicht, sie so zu interpretieren, dass sie wertvolle Informationen über den Zustand von Flugzeugteilen liefern, man muss dann auch die entsprechenden Arbeiten ausführen können – in dieser Kombination liegt unser Vorteil. Schließlich kennen die Hersteller die Stärken eines Flugzeugs, wir kennen auch die Schwächen.

    Unbemannte Fluggeräte werden für die Branche immer interessanter. Haben Sie eigentlich privat eine Drohne?

    Nein, bisher nicht! Lufthansa Technik beschäftigt sich aber schon heute damit. So bieten wir die Prüfung für den „Drohnenführerschein“ an, der für etwas größere Geräte inzwischen Pflicht ist. Kommerziell werden Drohnen für uns in den nächsten Jahren noch keine große Rolle spielen. Aber eines Tages wird man sie zum Beispiel für die Kon­trolle von Stromtrassen und Pipelines oder für die Warenauslieferung einsetzen. Solche Fluggeräte werden ein erhebliches Gewicht haben, und sie müssen daher technisch so sicher sein wie bemannte Flugzeuge. Dafür sehen wir uns als Lösungsanbieter. Ich kann mir sogar vorstellen, dass wir große Drohnen in Lizenz produzieren. Entsprechende Kooperationsanfragen von Herstellern gab es bereits.