Hamburg. In der Hansestadt gibt es mehr als 53.000 unbesetzte Stellen. Das Problem wird sich in den nächsten Jahren weiter verschärfen

    Die Hamburger Betriebe lassen nichts unversucht, um Fachkräfte zu gewinnen: Im Hotel Basler Hof werden Menschen mit Handicap eingestellt. „Sie arbeiten in der Näherei, im Housekeeping und im Service“, sagt Hoteldirektorin Regina Grünewald. Für die Branche ist das eher unüblich. Die Hamburger Hochbahn setzt alles daran, dass künftig mehr Frauen die Busse lenken. „Wir machen Schnuppertage für Frauen in unserem Betriebshof Langenfelde“, sagt Constanze Dinse von der Hamburger Hochbahn. Die Innung Sanitär, Heizung, Klempner organisiert eine außerbetriebliche Ausbildung, von der jährlich bis zu 15 Schulabgänger profitieren, die zunächst keinen Ausbildungsbetrieb finden, weil sie – gemessen an ihrem Zeugnis – nicht die besten Voraussetzungen mitbringen.

    Es sind viele kleine Schritte, mit denen Unternehmen versuchen, frei werdende Stellen neu zu besetzen. Doch die Zeitspanne zwischen dem Ausscheiden eines Mitarbeiters und der Wiederbesetzung der freien Stelle wird immer größer, wie eine Statistik der Arbeitsagentur Hamburg zeigt. Danach ist bei Altenpflegern der Fachkräftebedarf in Hamburg am größten. Rund sechs Monate (180 Tage) dauert es, bis eine freie Stelle wieder besetzt ist (siehe Grafik). Tatsächlich ist die Zeitspanne länger, „denn die Statistik zählt die Tage erst, ab dem die Stelle unbesetzt ist“, sagt Knut Böhrnsen, Sprecher der Arbeitsagentur Hamburg. Doch ausgeschrieben werden die Stellen zumeist schon Wochen oder Monate zuvor. Fünf Monate dauert es, bis ein neuer Anlagenmechaniker für Sanitär, Heizung, Klimatechnik gefunden oder in der Gastronomie eine Stelle wieder besetzt ist.

    Unter den 20 am stärksten nachgefragten Berufen sind vor allem gewerbliche Berufe – während vor Jahren der Fachkräftemangel vor allem bei den akademischen Berufen sichtbar wurde. Diese Entwicklung bestätigt auch eine Untersuchung der Handelskammer Hamburg. Bereits heute fehlen den Hamburger Betrieben 44.000 beruflich Qualifizierte und 9400 Akademiker, zusammen also mehr als 53.000 Fachkräfte. Vor drei Jahren waren die Zahlen mit 16.000 und 6300 noch deutlich geringer. Bis 2030 wird der Engpass bei den beruflich Qualifizierten um 43 Prozent auf dann 63.000 Fachkräfte steigen, die dann den Unternehmen fehlen. Zusätzlich werden dann fast 14.000 Akademiker von den Firmen gesucht, so die Prognose der Kammer.

    Das produzierende Gewerbe hat es dabei am schwersten. 56 Prozent der Unternehmen in der Hansestadt benötigen mehr als zwei Monate, um freie Stellen wieder zu besetzen. Rund viereinhalb Monate dauert es, bis neue Fachkräfte in der Fahrzeug-, Luft- und Schiffbautechnik oder der Lebensmittelverarbeitung gefunden sind. Vorrangig geht es dabei darum, Ersatz für Mitarbeiter zu finden, die altersbedingt aus dem Job ausscheren. Im Schnitt ist in Hamburg jedes zweite Unternehmen vom Fachkräftemangel betroffen, weil es mehr als zwei Monate nach neuen Mitarbeitern suchen muss. Zum Vergleich: Dieses Problem hatten vor einem Jahr erst jedes dritte und vor drei Jahren lediglich jedes vierte Unternehmen.

    Die Tendenz ist klar, der Fachkräftemangel verschärft sich in Hamburg. „Für die Unternehmen ist die duale Berufsausbildung nach wie vor die beste Möglichkeit, um Fachkräfte zu gewinnen“, sagt Handelskammer-Vizepräses André Mücke. Mehr als die Hälfte der Unternehmen begegnen dem Engpass mit einer Erhöhung der Ausbildungsaktivität und indem sie versuchen, als Arbeitgeber attraktiver zu werden

    Das Handwerk ist gleichermaßen betroffen „Unsere Betriebe spüren inzwischen, dass der Fachkräftemangel da ist“, sagt Oliver Hinrichs, Hauptgeschäftsführer der Innung Sanitär, Heizung, Klempner. „Die Firmen pflegen ihr Personal, was zu weniger Fluktuation führt, und sie investieren in die Ausbildung, weil Personalgewinnung mit Stellenanzeigen kaum etwas bringt.“ Obwohl wegen der demografischen Entwicklung und dem Trend zum Studium weniger Azubis zur Verfügung stehen, „sind wir mit der Ausbildungsbilanz zufrieden“, sagt Hinrichs. Pro Jahr werden mit leicht steigender Tendenz 240 bis 260 Anlagenmechaniker in verschiedenen Fachrichtungen ausgebildet. Zudem werden zehn bis 15 Azubis in einer überbetrieblichen Ausbildung zur Gesellenprüfung geführt. „Über Praktika gelingt es in vielen Fällen, die Azubis noch während der Ausbildung in einen Lehrbetrieb zu bringen“, sagt Hinrichs. Fachkräfte über Umschulungen zu gewinnen gelingt dem Klempner-Gewerk dagegen kaum. „Die Zahlen sind rückläufig“, sagt Hinrichs. Im Alter von mehr als 30 Jahren entscheide sich kaum noch einer für diesen Beruf, der auch körperlich herausfordernd sei.

    „Pflegen & Wohnen“ zahlthöhere Ausbildungsvergütung

    Auch in der Altenpflege steht die Ausbildung an erster Stelle. 47 Berufseinsteiger haben gerade ihre Ausbildung beim Hamburger Pflegeheimbetreiber „Pflegen & Wohnen“ begonnen. „Das resultiert auch aus einer intensiven Kooperation mit den Stadtteilschulen“, sagt die stellvertretende Personalleiterin Gabi Steffens. Erhöht wurde die Ausbildungsvergütung, schon im ersten Jahr gibt es 1060 Euro pro Monat. Für die Altenpflege sollen aber auch Quereinsteiger aus anderen Berufen gewonnen werden. Vor allem für Arbeitslose bietet sich hier eine Chance. „Bei unseren Umschulungen ist die Altenpflege ein Schwerpunkt“, sagt Arbeitsagentursprecher Böhrnsen. „Wir haben da keine Altersgrenzen, aber entscheidend ist die Motivation.“ Denn in der Regel dauert eine Umschulung 21 Monate.

    Unter den Top 20 der am längsten unbesetzten Stellen finden sich auch Busfahrer. Doch bei der Hamburger Hochbahn dauert es nicht knapp fünf Monate, bis eine Stelle neu besetzt ist. „Von 240 offenen Stellen in diesem Jahr haben wir 200 bereits wieder besetzt“, sagt Pressesprecherin Dinse. Das Unternehmen setzt auf eine eigene schnelle Ausbildung. Innerhalb von drei Monaten können Interessenten, die den Pkw-Führerschein haben, Busfahrer werden. Sie erhalten vom ersten Tag an das Brutto-Einstiegsgehalt von 2262 Euro. Die Vergütung steigt dann regelmäßig und erhöht sich um Zuschläge im Fahrdienst. „Wir bieten auch für Frauen, die sich beruflich verändern wollen, spezielle Schnupperkurse an“, sagt Dinse.

    Auch in der Gastronomie suchen die Arbeitgeber nach neuen Wegen, um Fachkräfte zu gewinnen. „In einigen Bereichen ist ein Anlernen möglich, im Service oder an der Rezeption sicherlich eher als bei einem Koch“, sagt Ulrike von Albedyll, Landesgeschäftsführerin der Dehoga. Künftig wolle die Branche auch stärker Langzeitarbeitslose gewinnen. Mit sogenannten Kompetenzfeststellungen, wie sie schon für Flüchtlinge genutzt werden, sollen die Berufschancen der Jobsuchenden ausgelotet werden. Potenzial schlummert auch bei arbeitslosen Fachkräften aus der Gas­tronomie. Laut Arbeitsagentur kommen auf 100 unbesetzte Arbeitsplätze in der Branche 234 Arbeitslose.

    Es kann viele Gründe geben, warum Jobsuchende und Arbeitgeber nicht zusammenkommen. Die Dehoga-Chefin vermutet, dass viele der Jobsuchenden gar nicht wieder in die Gastronomie zurückkehren wollen. Die Arbeitsagentur verweist auf mögliche gesundheitliche Einschränkungen, das Alter der Bewerber oder spezielle Erwartungen des Arbeitgebers, die dazu führen, dass die Anforderungen der Stellengesuche nicht erfüllt werden können.

    Dass es mehr Jobsuchende als unbesetzte, freie Stellen gibt, ist auch in zahlreichen anderen Berufen der Fall. In der Altenpflege und bei Klempnern aber gibt es fast keine Arbeitslosen.

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