Berlin.

Jeder dritte Mitarbeiter soll als Leiharbeiter beschäftigt sein. Der Arbeitsvertrag unterliegt irischem Recht. Bei Krankheit oder Schwankungen im Geschäft wissen sie nicht, was am Monatsende auf der Lohnabrechnung steht. Und im Zweifel droht ihnen die Versetzung zu einem anderen Standort quer durch Europa. Dies sind die typischen Arbeitsbedingungen bei Ryanair. Doch den deutschen Piloten des irischen Billigfliegers reicht es. „Weitere Verhandlungen machen für uns hier keinen Sinn mehr“, sagt Ingolf Schumacher, Tarifexperte der Vereinigung Cockpit (VC). Am Freitag streiken die Piloten ab 3 Uhr morgens für 24 Stunden, zeitgleich mit ihren Kollegen aus Irland, Belgien und Schweden. Es wird der größte Ausstand in der Geschichte der Airline.

Bei der Urabstimmung setzten 96 Prozent auf Streik

Es dürfte ein wahrer Chaostag werden: Kurz nach dem Streikaufruf der Pilotengewerkschaft reagiert Ryanair drastisch und streicht den Flugplan zusammen. Am Freitag entfallen 250 Flüge von und nach Deutschland. Betroffen sind bis zu 55.000 Passagiere. Den Betroffenen will Ryanair den Ticketpreis erstatten oder einen Ersatzflug anbieten. Wegen des Streiks in den drei anderen Ländern hatte der Billigflieger bereits 146 der 2400 geplanten Flüge abgesagt. Ein Warnstreik im Dezember war noch weitgehend folgenlos verpufft.

Den Piloten geht es ums Geld sowie um verlässliche Arbeitsbedingungen, die sie erstmals in Tarifverträgen festschreiben wollen. Ihnen fehlen Tabellen für höhere Löhne bei steigender Erfahrung, vergleichbare Einkommen an allen Standorten und Mitspracherecht bei der Einsatzplanung. „Die Kollegen haben überhaupt keinen Einfluss darauf, ob sie viel oder wenig arbeiten“, sagt VC-Präsident Martin Locher. Nur über eines sind die Ryanair-Piloten froh: Nach fünf Tagen in der Luft haben sie vier Tage frei. Das ist selten in der Branche. Ryanair kenne die Forderungen seit Dezember und sei bislang nicht ernsthaft darauf eingegangen.

Der Billigflieger wolle kein Papier unterschreiben, das zu höheren Personalkosten führe, sagen die Gewerkschafter. Bis zuletzt habe es kein verbessertes Angebot gegeben. Bei einer Urabstimmung stimmten 96 Prozent für den Streik. „Für die nun eingetretene Eskalation trägt alleine Ryanair die Verantwortung“, sagt Locher.

Ryanair-Manager Kenny Jacobs nennt den Streik hingegen „ungerechtfertigt“, mit nicht einmal 40 Stunden Vorlauf zu kurzfristig angekündigt. Der Marketing-Chef verweist auf „exzellente Arbeitsbedingungen“ bei der Airline. Piloten verdienten mindestens 30 Prozent mehr als bei der Lufthansa-Billigtochter Eurowings. Ryanair führt Auszüge aus Gehaltsabrechnungen an: Demnach verdient ein Kapitän im Jahr 200.000 Euro. Nach Gewerkschaftsangaben kommt ein Co-Pilot dagegen auf ein sogenanntes Garantiegehalt von 40.000 Euro, als Kapitän seien rund 110.000 Euro drin. An zehn deutschen Flughäfen beschäftigt Ryanair 400 Piloten. Wie viele in der Gewerkschaft organisiert sind, gibt die VC nicht preis. Tarifexperte Schumacher bleibt vage. Der Organisationsgrad sei „sehr hoch, wie bei anderen Airlines“. Nur in Baden-Baden hätten die Piloten zugesagt, ihren Dienst anzutreten, erklärt Ryanair-Manager Jacobs.

Seit einem Jahr fassen Gewerkschaften Fuß bei Europas größtem Billigflieger. 2017 war für Ryanair ein Krisenjahr. Nicht wegen der Geschäftszahlen, denn mit einem um zehn Prozent auf 1,45 Milliarden Euro gestiegenen Gewinn steht die Fluggesellschaft glänzend da. Doch die Airline musste 20.000 Verbindungen streichen. Offiziell wegen Fehlern in der Personalplanung. „Dieses Chaos ist auf unser eigenes Handeln zurückzuführen“, gestand Firmenchef Michael O’Leary ein. Oder, wie es in der Branche heißt: weil Piloten wegen der schlechten Arbeitsbedingungen zur Konkurrenz überliefen. Seitdem haben sich Piloten und Flugbegleiter europaweit verbündet.

Der angekündigte Streik der Ryanair-Piloten in Deutschland trifft bei den Kollegen der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (Ufo) auf Zustimmung: „Ufo unterstützt den Streik der Kollegen der VC als legitimes letztes Mittel, den Arbeitgeber zu substantiellen Zugeständnissen zu bewegen“, sagte Vorstandsmitglied Christoph Drescher dieser Redaktion. Auch Ufo dringt auf bessere Arbeitsbedingungen: höhere Löhne, mehr Transparenz und Mitbestimmung sowie das Ende von Leiharbeit. Laut Ryanair verdienen Flugbegleiter im Schnitt 40.000 Euro im Jahr. „Uns liegen andere Zahlen vor“, entgegnet Drescher. Die 500 von Deutschland aus eingesetzten Flugbegleiter hätten Jahreseinkommen von 25.000 bis 30.000 Euro. „Ryanair liegt damit am unteren Ende, eindeutig.“ Ufo will bis zum Monatsende Forderungen formulieren. Bisher zeige sich Ryanair als „sachlicher“ Gesprächspartner, sagt Gewerkschafter Drescher.