Berlin. Mehr Sicherheit, weniger Kosten: Das Auswerten großer Datenmengen eröffnet der Luftfahrt neue Chancen. Doch wem sollen sie gehören?

Marion Blanz tippt auf den Bildschirm ihres Tablets. Es öffnet sich ein Leitsystem, das 35 Rauten zeigt. Jede Raute steht für ein Flugzeug, das sich durch den deutschen Luftraum bewegt. Millimeter für Millimeter rücken die Symbole vorwärts.

Einen Fingertipp weiter öffnet sich der Fehlerbericht eines Airbus A321. Das Flugzeug schickt Daten im Fünf-Sekunden-Takt, bis zu anderthalb Terabyte pro Tag. In Echtzeit gibt es Auskunft über Position, Höhe, Geschwindigkeit. Und darüber, ob die Sauerstoffflaschen an Bord gefüllt sind, welche Temperatur die Bremsscheiben haben und ob es irgendwo im Flieger einen Defekt gibt. Die Daten können monatelang zurückverfolgt werden.

Riesiges Datenpaket liegt auf einem Server

Marion Blanz arbeitet für Lufthansa Technik. Der Dienstleister hat 26.700 Angestellte und kümmert sich unter anderem um die technische Betreuung, um Wartung und Überholung von rund 4500 Flugzeugen – 20 Prozent der Weltflotte.

Vor rund zwei Jahren hat das Unternehmen damit begonnen, einigen Maschinen einen digitalen Zwilling zu verpassen, den es Aviatar nennt. Während das echte Flugzeug fliegt oder am Boden steht, bildet sein Zwilling ein riesiges Datenpaket auf einem Server. Im günstigsten Fall sollen Flugzeug und Aviatar mehr als 25 Jahre lang ein Paar bilden, das sich ergänzt. Von der Produktion bis zur Außerdienststellung.

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    „Moderne Informationstechnologie, die Sensorik und das Verarbeiten großer Datenmengen machen es möglich, dass die Wartung eines Flugzeugs von einem starren oder ungeplanten Ereignis zu einem geplanten und individuellen wird“, sagt Johannes Bußmann. Er ist Chef von Lufthansa Technik und davon überzeugt, dass alle großen Passagiermaschinen dieser Welt künftig einen Zwilling bekommen werden. In einigen Jahren, so Bußmann, wenn die Abstimmung mit den Zulassungsbehörden abgeschlossen sei, „wird niemand mehr daran vorbeikommen“.

    Besseres Verständnis von Bauteilen und Material

    Die in Hamburg entwickelte Aviatar-Technologie steht beispielhaft für die Digitalisierung in der Luftfahrt. Experten zufolge hat sie das Potenzial, die Branche umzukrempeln. Mit ihr sind riesige Versprechen verbunden: Daten sollen Sicherheit und Zuverlässigkeit erhöhen, das Verständnis von Bauteilen und Materialien verbessern, für mehr Pünktlichkeit im Flugverkehr sorgen und die Standzeiten defekter Flieger verkürzen. Daten sollen Fortschritt bringen – für Passagiere, aber vor allem für Unternehmen.

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      Wie groß der wirtschaftliche Nutzen ist, lässt sich bisher nicht beziffern. Dafür sei es zu früh, sagt Bußmann. Doch der Vorstandsvorsitzende von Lufthansa Technik nennt ein Beispiel, das die Fantasie anregt: Es handelt von Zündkerzen – kleinen Bauteilen eines Triebwerks, die nur ab und an gebraucht werden. Die Digitalisierung macht es Bußmann zufolge möglich, die Zündmomente einzeln mitzuzählen. So werde aus dem Austausch der Kerzen nach Vorhersage ein Tausch nach Verschleiß. „Pro Motor und Jahr kann man dadurch etwa 10.000 Euro einsparen“, sagt Bußmann. Vergleichbare Flugzeug-Komponenten gebe es zu Hunderten.

      Wissenschaftler ist für größtmögliche Transparenz

      Neben der Industrie setzt auch die Wissenschaft auf Fortschritte durch Daten. Professor Rolf Henke vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) nennt die Digitalisierung einen „Türöffner in eine völlig neue Welt der Luftfahrt“. Ingenieure und Konstrukteure könnten davon ebenso profitieren wie Forscher.

      Deshalb plädiert er für größtmögliche Transparenz. „Ich bin dafür, die Daten der Zwillinge auch zu den Komponenten-Herstellern zurückzuspielen, damit sie künftige Produkte besser machen können“, sagt Henke. Oder zu Atmosphärenforschern, um Neues über Turbulenzbänder oder Winde zu erfahren. „Und wenn wir die Daten dann auch noch mit Satelliten- oder Radardaten kombinieren, die wir schon haben“, so Henke, „dann ergeben sich weitere faszinierende Möglichkeiten.“

      Laut Informationen des Internationalen Luftfahrtverbandes gibt es täglich fast 27.000 Flugzeugbewegungen allein über Europa, Tendenz steigend. Bis 2031 soll die Zahl der weltweit verkehrenden Passagiermaschinen auf etwa 32.000 anwachsen.

      Weil der Wert ihrer Daten so groß sein könnte, ist bereits jetzt eine heftige Diskussion darüber entbrannt. „Wir werden die Frage beantworten müssen, wem die Daten gehören“, sagt Bußmann, der auch Mitglied im Präsidium des Bundesverbandes der Luft- und Raumfahrtindus­trie ist. Seiner Meinung nach müssten die Informationen den Fluggesellschaften gehören. Sie sollten entscheiden, was mit ihnen geschieht. „Denn am Ende sind sie für die Sicherheit des Luftverkehrs verantwortlich. Ich weiß aber, dass es auch andere Meinungen gibt.“

      Hersteller wollen Datensammler einbauen

      Ab Herbst dürfte die Daten-Debatte noch mehr Zündstoff bekommen. Dann wollen die Flugzeug-Hersteller, von denen es mit Airbus und Boeing weltweit nur zwei bedeutende gibt, laut Bußmann einen zentralen Datensammler in ihre Maschinen einbauen.

      Theoretisch könnten sie dann aus dem Fundus schöpfen und in neue Geschäftsfelder vordringen. Johannes Bußmann: „Die Hersteller könnten aber auch versuchen, ein Datenmonopol zu errichten und die Weitergabe zu blockieren. Das sollte man unter allen Umständen verhindern.“