Sydney/Hamburg. Flugzeugbauer kämpft mit Schwierigkeiten der Zulieferer bei der A320-Familie – trotzdem könnte die Produktionsrate erneut erhöht werden

    Wer in den vergangenen Wochen am oder auf dem Gelände von Airbus auf Finkenwerder war, dem sind die Vielzahl der abgestellten Flugzeuge aufgefallen. An vielen Stellen parken Maschinen, die fertig aussehen, denen aber nicht ganz unwichtige Teile fehlen: die Triebwerke. Wie viele dieser „glider“ (Segelflugzeuge) auf dem Werksareal herumstehen, wollte der europäische Flugzeugbauer zuletzt auf Anfrage nicht sagen. Bis am Sonntag aus dem fernen Sydney in Aus­tralien die Nachricht kam – und das war Sache des neuen Verantwortlichen.

    Bis Ende Juni werde man 100 Exemplare der A320-Familie produziert haben, die nicht ausgeliefert werden können, weil die Triebwerke fehlen, sagte Guillaume Faury am Rande der Jahreskonferenz des Linienluftfahrt-Verbandes IATA. Bisher war in der Spitze von 60 Maschinen die Rede gewesen. 100 geparkte Maschinen sind Rekord. Sie sollen an allen vier Endmontagestandorten des Kurz- und Mittelstreckenjets stehen, der Großteil davon in Toulouse und Hamburg.

    „Das ist eine herausfordernde Situation, ganz eindeutig“, sagte Faury der Nachrichtenagentur Bloomberg, und verursache auch höhere Kosten. Der Franzose ist seit Februar Chef der zivilen Flugzeugsparte von Airbus, zu der das Hamburger Werk mit seinen 12.500 Beschäftigten gehört. Die Produktion der A320-Familie ist der Schwerpunkt am Standort, derzeit sind 30 von gut 50 gefertigten Maschinen im Monat made in Finkenwerder.

    Der Hamburger Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt hält die Lage für sehr angespannt. „Das ist eine dramatische Situation. 100 ist schon eine Hausnummer“, sagte er dem Abendblatt. Ein Auslieferungsstau in diesem Ausmaß sei höchstens vergleichbar mit den 90er-Jahren, als Boeing die nächste Generation der 737 auf den Markt brachte. Offenbar habe der Hersteller Pratt & Whitney die Entwicklung der neuen Triebwerke unterschätzt. Die US-Amerikaner entwickelten erstmals einen Motor, der nicht direkt angetrieben wird, sondern durch ein Untersetzungsgetriebe. Das senkt die Drehzahl und den Kerosinbedarf und gilt als Riesentechnologiesprung. Der um rund 15 Prozent gesenkte Treibstoffbedarf ist das beste Verkaufsargument der neo-Reihe, für die Airbus noch mehr als 5700 Bestellungen im Auftragsbuch hat.

    Die Triebwerke von Pratt & Whitney sorgten allerdings von Beginn an für Probleme. Ende 2015 verhinderte ein Kühlungsproblem die Erstauslieferung. Der eigentlich vorgesehene Erstkunde Qatar Airways sprang ab, die Lufthansa ein und erhielt die Maschine im Januar des nächsten Jahres. In der Folgezeit kam es immer wieder zu technischen Problemen und Lieferverzögerungen.

    Mitte Februar dieses Jahres gab die Europäische Flugsicherheitsbehörde EASA eine dringliche Lufttüchtigkeitsanweisung heraus – das ist nach dem sofortigen Grounding die höchste Gefahrenstufe. Maschinen mit kurz zuvor ausgelieferten Triebwerken mussten nach spätestens drei weiteren Flügen am Boden bleiben, wenn beide Motoren aus mehreren beanstandeten Serien stammen. Abheben durften sie erst nach einem Triebwerkswechsel wieder. Betroffen waren etwa 40 Flugzeuge. Es hätte „Ereignisse mit der hinteren Nabe des Hochdruckverdichters gegeben“, teilte Airbus damals mit. Vereinfacht gesagt können Vibrationen im Triebwerk entstehen. Die Lager werden stark belastet, im Extremfall können sich Teile lösen und das Triebwerk mechanisch beschädigen.

    Pratt & Whitney stoppte daraufhin für knapp drei Monate die Belieferung von Airbus. Als das Problem gelöst war, wurden zunächst Maschinen mit den Aggregaten versorgt, die wegen der EASA-Anordnung am Boden gelassen worden waren. Bei Airbus kamen die ersten Triebwerke Ende April wieder an. Seitdem fahre das System wieder hoch, es habe sich allerdings einiges an Maschinen angestaut, so ein Airbus-Sprecher.

    Trotz der Probleme hält Faury an dem im Januar ausgegebenen Ziel von 800 ausgelieferten Flugzeugen in diesem Jahr fest. „Wenn die Triebwerkshersteller ihre Pläne erfüllen können, werden auch wir uns sehr eng an unsere Pläne halten“, sagte Faury. Die Marke 800 zu erreichen, sei generell noch möglich, sagt Großbongardt – allerdings dürfe kein weiteres Problem dazu kommen, sonst werde es eng. Zumal nach der Triebwerksmontage noch einige Arbeiten zu erledigen sind. Es folgen Systemtests, Nacharbeiten und mehrere Testflüge – zweieinhalb Wochen seien das Minimum für dieses Prozedere. Bei Airbus geht man von einem „anspruchsvollen Sommer“ aus. Dass man in kurzer Zeit eine Vielzahl von Maschinen an den Kunden bringen könne, habe man aber schon häufiger bewiesen. Im vergangenen Dezember waren es 127 Stück.

    Hamburg erhält eine vierte Fertigungslinie für A320

    Wenn es nach den Wünschen von Faury geht, könnten es bald regelmäßig mehr Jets sein. Der Konzern ist derzeit dabei, die Rate der A320-Familie von 50 pro Monat auf 60 Mitte nächsten Jahres hochzufahren. Hamburg erhält in diesem Zuge eine vierte Endmontagelinie. Derzeit würden in Studien Raten von 70 und 75 pro Monat untersucht. „Eine Rate von 75 würde uns neue Möglichkeiten eröffnen, aber so weit sind wir noch nicht“, sagte Faury der Nachrichtenagentur Reuters. Der Hochlauf auf 60 sei die derzeitige Herausforderung. Zumal bei einer Rate von 75 die Begeisterung zumindest bei den Triebwerksherstellern nicht besonders groß sein dürfte. Denn auch CFM, der zweite Motorenhersteller für die neos, hängt dem Zeitplan zwei Monate hinterher.