Berlin. Wie fliegen wir in der Zukunft? Das Abendblatt hat sich auf der Luftfahrtmesse ILA umgeschaut – und stellt die wichtigsten Innovationen vor

Spielte sich die Szene auf einer Autobahn ab, würde der Verkehrsfunk wohl melden: „Achtung in Berlin-Schönefeld. Ein Geisterfahrer kommt Ihnen entgegen.“ Allerdings ist der Teilnehmer in der Luft und nicht auf der Straße unterwegs. Ein Pilot fliegt mit seinem Kampfjet sechs anderen Maschinen entgegen. Es sind spektakuläre Manöver, die über dem Flughafen der Hauptstadt in diesen Tagen zu sehen sind. Mehr als 1000 Aussteller haben zur Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) geladen. Weniger spektakulär und eher ruhig und besonnen geht es in den Hallen zu. Wer sich auf einen Streifzug begibt und mit Experten spricht, kann in die Zukunft des Fliegens abtauchen. Das Abendblatt stellt fünf Ideen vor, die die Luftfahrt von morgen prägen könnten.

Lufttaxis ersetzen U- und S-Bahnen

Die Mobilität in den Städten steht vor einer Revolution. Das denken zumindest Visionäre, die den Nahverkehr zum Abheben bringen wollen. Der Besuch im Restaurant, Theater und beim Fußballspiel könnte bald statt mit U- und S-Bahn mit Lufttaxis zurückgelegt werden. Im Stau stehende Autofahrer werden überflogen.

Der Luftfahrtkonzern Airbus stellt auf der ILA erstmals ein 1:10-Modell seines CityAirbus vor. Das Fluggerät soll senkrecht starten und landen können, mit einer Reisegeschwindigkeit von 120 Kilometer pro Stunde unterwegs sein und eine Reichweite von bis zu 60 Kilometer haben. „Das klingt zwar nach Science-Fiction – ist es aber nicht“, sagt Programmleiter Marius Bebesel. „Noch in diesem Dezember wollen wir den Erstflug machen.“

Der Demonstrator ist aus Metall, um ihn leichter verändern zu können. Künftig sollen mehr Teile aus Kohlefaserverbundwerkstoffen (CFK) hinzukommen. Das Gewicht von 2,2 Tonnen könnte so um etwa eine halbe Tonne sinken. Acht Elektromotoren treiben ihn an. Sie sitzen in einer runden Ummantelung, sodass Passagiere beim Einsteigen auch nicht gegen sich drehende Rotoren laufen und sich schwer verletzen können. Weil das Fluggerät über dicht besiedelten Gebieten eingesetzt wird, würden bei der Sicherheit keine Kompromisse gemacht, sagt Bebesel: „Selbst bei einem sehr unwahrscheinlichen Ausfall eines Motors könnte der CityAirbus sicher weiterfliegen. Fallen zwei Motoren aus, könnte er sicher landen. Aber dieser Fall ist extrem unwahrscheinlich.“

Der CityAirbus ist zwar leiser als ein Hubschrauber, aber in 100 Meter Entfernung immer noch rund 75 Dezibel laut. Das ist so laut wie ein Auto, das mit 100 Kilometer pro Stunde fährt. Mit Ausmaßen von acht mal acht Metern ist er kleiner als der kleinste Hubschrauber. Der Demonstrator wird unbemannt fliegen. Über ein Programm, das bei Gefahren ausweicht, verfügt er nicht. „Ein Pilot überwacht die Maschine von einer Bodenstation. Wenn ein Schwarm Vögel auftaucht, kann er eingreifen“, sagt Bebesel. In den ersten richtigen Tests soll später allerdings ein Pilot den CityAirbus lenken. Er kann dann drei Passagiere befördern. Später soll die Maschine autonom fliegen, sodass der CityAirbus Platz für vier Fluggäste bietet. Derzeit werde mit Städten verhandelt, Dubai und Singapur gelten als Interessenten. „Ein Pilotprojekt könnte ab 2022 starten“, sagt Bebesel. Etwa zehn Heliports müssten zur Verfügung stehen, um das System vernünftig durchzuspielen.


Das E-Flugzeug kommt

Das elektrische Fliegen vorantreiben wollen drei Schwergewichte der Branche. Im vergangenen November schlossen sich der Triebwerksbauer Rolls-Royce, der Technologiekonzern Siemens und Airbus zusammen. Sie wollen ein elektrisches Flugzeug entwickeln – immerhin in Teilen. Beim E-Fan X wird an einem Bae146-Regionaljet für bis zu 100 Passagiere eines der vier herkömmlichen Triebwerke durch einen elektrischen Motor ersetzt. Er kann auf zwei Arten angetrieben werden: mit einer Batterie oder einer Gasturbine mit integriertem Generator.

„2020 soll dieser Technologiedemonstrator das erste Mal in Toulouse abheben“, sagt Projektleiter Olivier Maillard. Allerdings gibt es noch verschiedene Herausforderungen. So muss die Technik damit klarkommen, dass die Energie aus zwei verschiedenen Quellen kommt. Und die sehr hohen elektrischen Spannungen können zu Problemen führen. „In den nächsten fünf Jahren fliegen sicherlich elektrisch angetriebene Flugzeuge für zehn bis 20 Passagiere“, sagt Maillard. Ab 2030 rechnet er mit dem Einsatz von Jets mit bis zu 100 Passagieren. Ob Airbus in dieses Segment eingreift, ist offen. Die A320-Familie ist eher für die Kategorie 150 Passagiere und mehr ausgelegt. Bei kleineren Regionaljets ist die jüngst erworbene Mehrheitsbeteiligung Bombardier Spezialist.

Ein preiswürdiger Schritt auf dem Weg zum elektrischen Flugzeug gelang Forschern aus Hamburg. Seit 15 Jahren tüfteln sie an der Entwicklung von Brennstoffzellen. Nun ist einem Airbus-Team im Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) auf Finkenwerder ein Durchbruch gelungen. Sie entwickelten ein System, das die mit Kerosin betriebene Hilfsturbine (APU) im Heck ersetzen kann – und zwar emissionsfrei. „In zehn Jahren könnte es so weit sein“, sagt Programmchef Barnaby Law. Der Demonstrator H2T treibt durch seine neuartige Konstruktion mit dem Strom aus der mit Wasserstoff betriebenen Brennstoffzelle ein elektrisches Minitriebwerk an, das letztlich Energie für Klimaanlage oder Generator liefert. So kann eine mit Kerosin betriebene APU ersetzt werden, die am Boden zur Stromversorgung gebraucht wird. Rund drei Prozent Sprit lassen sich so sparen. Die Erfindung erhielt in diesem Jahr den Innovationspreis der Deutschen Luftfahrt des Bundeswirtschaftsministeriums. Allerdings gibt es noch ein Problem: Zwar ist Wasserstoff leichter als Kerosin, nimmt aber mehr Volumen ein. Entsprechend muss die Konfiguration des Flugzeuges geändert werden.

Neue Flügel, die hochklappbar sind

Auf der Piste in Schönefeld steht eine Langstreckenmaschine, die durch eine ungewohnte Flügelform auffällt. Die äußeren Enden ragen im Vergleich zu herkömmlichen Flügeln weiter nach vorn. Dieser A340 dient als Fluglabor. Airbus testet mit mehr als 20 Partnern und massiv gefördert von der EU sogenannte Laminarflügel. Sie haben eine sehr glatte Oberfläche ohne Verbindungsstellen. Dadurch soll die Luft ruhiger über die Tragfläche geführt werden, sodass weniger Verwirbelungen entstehen. Die Reibung soll um 50 Prozent, der Treibstoffverbrauch und die Emissionen sollen um fünf Prozent sinken. Bisher sind im Blade-Projekt 60 von 168 geplanten Flugstunden absolviert. „Wir haben die Ziele übererfüllt“, sagt Axel Flaig, Forschungs- und Technologiechef von Airbus für zivile Flugzeuge.

Der Blade-A340 verfügt übrigens über eine Besonderheit: einen Insektenschutz. Beim Start knallen die kleinen Tiere immer wieder gegen die Flügel und sorgen später in der Luft für erhöhten Widerstand. Nun wird beim Abheben ein Schild als Insektenprellbock ausgefahren, den man später einfahren kann. Die Verwirbelungen sinken. In die Serienproduktion integriert wird die Insektenfalle wohl aber nicht. Die Laminarflügel haben aber eine gute Chance, bei einem Nachfolger der vor allem in Hamburg gefertigten A320-Familie zum Standard zu gehören. Und wahrscheinlich werden die Flügel auch länger. „Der nächste Schritt ist, dass die Spannweite erhöht wird und die Flügelspitzen hochklappbar sind“, sagt Flaig. Liebherr erhielt von Boeing vor einigen Jahren den Auftrag, eine solche Technik zu entwickeln. Die erhöhte Spannweite bietet den Vorteil des höheren Auftriebs bei geringerem Spritverbrauch, verursacht auf den Flughäfen allerdings ein Platzproblem: Für die üblichen Parkbuchten wird das Flugzeug zu breit. Da könnte der Klappflügel die Lösung sein. Flaig: „Man kann davon ausgehen, dass man diese Technik bei der nächsten A320-Generation sehen wird.“ In rund zehn Jahren könnte ein Nachfolger des Airbus-Verkaufshits vorgestellt werden.

Drohnen für viele Aufgaben

Wenn etwas in den Privatgärten surrt und brummt, müssen das längst keine Bienen und Hummeln mehr sein. Die Drohne feiert einen Siegeszug bei Privatleuten. Und auch immer mehr Firmen und Behörden sollen auf sie fliegen, allerdings ist die Gesetzeslage für den Einsatz sehr restriktiv. Das brandenburgische Unternehmen Sitebots wirbt für den Einsatz seiner Multikopter, zum Beispiel um einen Überblick über Brandherde zu erhalten, Menschen per Wärmebildkamera zu suchen oder Windräder zu kontrollieren. Bis zu 100 Minuten können sie in der Luft bleiben, rund zwei Kilometer weit fliegen.

In andere Dimensionen stößt die Drohne Zephyr mit ihren mindestens 25 Meter Spannweite vor. „Wir halten mit 14 Tagen nonstop in der Luft den Weltrekord für ein unbemanntes Fluggerät“, sagt Verkaufschef Nigel Chandler. Die neue Generation des Airbus-Produkts soll bei Bedarf sogar bis zu 30 Tage ohne Zwischenlandung fliegen. Angetrieben wird Zephyr mit Strom aus Solarzellen. Die Drohne fliegt in rund 20 Kilometer Höhe. Mit Kameras und Radar ausgestattet. kann sie die Erde auch durch Wolken sehen und Bilder in hoher Auflösung machen. Für den militärischen Einsatz wichtig ist ihre Abhörfunktion. Interessant ist sie als Funk-Übertragungsstation in einsamen Gegenden, in denen Satelliten fehlen.


Unbemannte Rettungsmissionen

Der Camcopter des österreichischen Unternehmens Schiebel sieht aus wie ein Minihubschrauber. Er ist gut drei Meter lang, wiegt rund 200 Kilogramm und kann von einer Kontrollstation aus bis zu 200 Kilometer Entfernung gesteuert werden – denn ein Pilot ist nicht an Bord. „Er kann bis zu sechs Stunden in der Luft bleiben, mit Zusatztanks sogar bis zu zehn Stunden“, sagt Programmmanager Raffael Balogh.

Eingesetzt wird er vor allem beim Militär, um feindliches Gebiet auszukundschaften. Aber auch im zivilen Bereichen gibt es Einsatzmöglichkeiten. Geeignet sei er beispielsweise bei der Bergrettung. Der Camcopter dringt dabei in schwer zugängliche Regionen vor. Gesteuert werden kann er auch von einem anderen Hubschrauber. Zusammen mit Airbus verlief ein solcher Verbundeinsatz von unbemanntem und bemanntem Fluggerät vor wenigen Tagen sehr erfolgreich. Wenn der Camcopter den Vermissten aufgespürt hat, kann die Hubschrauber-Crew dann zielgerichtet den nächsten Landeort aufsuchen, um die Person zu retten. Zusammen mit einer Hilfsorganisation habe man eine Rettungsmission bereits erfolgreich gestaltet, als der Camcopter von einem Schiff gesteuert wurde, so Balogh: „Wir haben sehr viele Flüchtlinge mit dem System aus dem Mittelmeer geholt.“