Berlin. Spotify geht an die Börse. Angeblich ist der Musik-Streamingdienst 20 Milliarden Dollar wert. Aber das ist nur eine Seite der Medaille.

Anfang des Jahres machte der amerikanische Musikverlag Wixen Music Publishing Schlagzeilen, der die Rechte an Songs von Musiker und Bands wie Neil Young, Santana und den Doors hält. Er verlangte von dem Musik-Streamingdienst Spotify 1,6 Milliarden Dollar.

Das Unternehmen habe 11.000 Songs des Verlags unrechtmäßig angeboten, heißt es in der Klageschrift. Pro Lied fordert Wixen von Spotify nun die stolze Summe von 150.000 Dollar.

Auf den ersten Blick scheint es so, als könnte – rein theoretisch – die Forderung auch in dieser Höhe eine gewisse Berechtigung haben. Es ist bekannt, dass Spotify Rückstellungen für Lizenzen gebildet hat, die man angeblich nicht zuordnen kann. Zudem ist der Markt der Streamingdienste, in dem Spotify Marktführer ist, mittlerweile der größte der Musikbranche.

Deutsche hören nach wie vor Musik auf CD und Vinyl

Allein im vergangenen Jahr wuchs er weltweit um 60,4 Prozent. In den USA sind Streamingdienste mit einem Marktanteil von 65 Prozent an den Umsätzen der Musikindustrie anderen Vertriebswegen wie Downloads und physischen Tonträgern meilenweit enteilt.

Nur in Deutschland liegen CDs – und neuerdings auch wieder verstärkt Vinyl-Schallplatten – mit einem Marktanteil von 45,5 Prozent vor den Streamingdiensten, die auf 34,6 Prozent kommen. Doch auch hierzulande wachsen die Online-Plattformen rasant.

An diesem Dienstag geht Spotify überdies an die Börse. Der Dienst, der 159 Millionen Nutzer in 61 Ländern hat, von denen 71 Millionen zahlende Abonnenten sind, wird künftig an der traditionsreichen New York Stock Exchange notiert sein.

Da der Börsengang mehrere Milliarden Dollar in die Kassen des Unternehmens spülen dürfte, sollte für etwaige Strafzahlungen genug Geld vorhanden sein. Spotify wurde auch schon vor der Klage von Wixen nachgesagt, Rechteinhaber bisher nicht ausreichend zu entlohnen.

Angeblich ist Spotify trotz Verlusten 20 Milliarden Dollar Wert

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Denn trotz hoher Umsätze kann noch niemand das tatsächliche Potenzial des noch sehr jungen Markts der Musik-Streamingdienste überblicken. Spotify, das 2006 gegründet wurde, hat in den zwölf Jahren seines Bestehens noch keinen einzigen Cent verdient. Schlimmer noch: Derzeit wachsen die Verluste schneller als die Erlöse.

So stiegen 2017 die Umsätze des Unternehmens um fast 39 Prozent auf 4,1 Milliarden Euro. Zugleich erhöhte sich aber das Minus um sagenhafte 130 Prozent auf 1,24 Milliarden Euro. Zwar resultiert der größte Teil der zusätzlichen Verluste aus einem Einmal-Effekt. Allerdings rutschte Spotify 2017 auch im operativen Geschäft noch tiefer in die roten Zahlen – und zwar von 349 Millionen auf 378 Millionen Euro.

Ob in der Branche kursierende Schätzungen seriös sind, nach denen der Streamingdienst dennoch 20 Milliarden Dollar wert sein soll, vermag niemand zu sagen.

Bei den Künstlern selbst kommt kaum etwas an

Hartwig Masuch, Chef des deutschen Musikrechteverwerters BMG, hält es jedenfalls für illusorisch, dass Wixen die geforderten 1,6 Milliarden Euro erhalten wird. Die Höhe der Forderung sei ein „PR Stunt“: Der Verlag wolle potenziellen neuen Klienten zeigen, „wie sehr er sich für seine Künstler engagiert“.

Entgegen des schlechten Rufs des Unternehmens profitieren schon heute Rechteverwerter beträchtlich von Spotify. Ungefähr 65 Prozent seiner Einnahmen soll der Dienst an Musikverlage und Musik-Label ausschütten. Zudem halten die großen Label an fast allen Musik-Online-Plattformen kleinere Anteile. So gehört Sony Music fünf Prozent des Dienstes – eine Beteiligung, die im Zuge des Börsengangs richtig wertvoll werden dürfte.

Dass dennoch mitunter kaum etwas bei den Künstlern ankommt, liegt laut Masuch auch dran, dass sich die Verträge einiger Musiker am analogen Zeitalter orientieren. Damals beanspruchten die Label bis zu 90 Prozent der Lizenzgebühren, um die Kosten für Herstellung, Lagerung und Transport der physischen Tonträger zu decken. Bei Streamingdiensten entfällt dies alles, was manche Label aber nicht daran hindert, an den althergebrachten Konditionen etwas zu ändern.

Apple Music macht Spotify Konkurrenz

Das zweite Problem von Spotify nach den hohen Aufwendungen für Rechteverwerter ist offenbar seine Kostenstruktur. Sie gilt in Branchenkreisen als ungewöhnlich hoch. Angeblich kostet jeder Mitarbeiter den Streamingdienst im Schnitt 100.000 Dollar im Jahr.

Und dann ist da noch der immer härter werdende Wettbewerb. Besonders das erst seit 2015 bestehende Apple Music sitzt Spotify im Nacken. Zwar hat der Musik-Ableger des Tech-Riesen Apple weltweit erst einen Marktanteil von 17 Prozent. Der von Spotify liegt bei 36 Prozent.

Allerdings wächst der Konkurrent aus dem kalifornischen Cupertino sehr schnell, der wohl auch von Erfahrungen profitiert, die er mit seinem iTunes-Store gemacht hat. Weitere Wettbewerber sind Amazon, QQ Music des chinesischen Internet-Riesen Tencent sowie das französische Deezer.

Google, Facebook und Microsoft galten als mögliche Interessenten

Mit Tencnets Musik-Tochter Tencent Music, der außer QQ Music noch zwei weitere Streamingdienste in China gehören, ging Spotify Ende 2017 eine Überkreuzbeteiligung ein. Zuvor war gemutmaßt worden, das Unternehmen könne an einen Internet-Riesen gehen, der selbst noch keinen Musik-Streamingdienst besitzt. Google, Facebook und Microsoft galten als mögliche Interessenten. Doch nach dem Börsengang dürfte sich diese Option vorerst erledigt haben.

Die Europäer wird es freuen, denn Spotify kommt aus Schweden. Es ist das einzige europäische Internet-Unternehmen, das in seinem Segment Weltmarktführer ist.