Berlin. Steuerfahndungs-Experte Frank Wehrheim sieht die Ermittler durch die Politik ausgebremst. Die Ära der Daten-CD-Käufe sei bald beendet.

Frank Wehrheim stand oft unangemeldet vor den Türen von Vermögenden. Er durchsuchte Arztpraxen, Villen und erstmals auch Vorstandsetagen von Banken. Die versteckten Papiere, die er in ausgehöhlten Stuhlbeinen, in Tresoren und Abrechnungsabteilungen fand, lösten Strafprozesse aus, die dem Staat Millionenbeträge an Steuergeld zurückbrachten. Wehrheim arbeitete 28 Jahre als Fahnder – zuletzt als Leiter einer Abteilung, die gegen Steuerhinterziehung von Banken am Finanzplatz Frankfurt vorging.

Heute ist er Steuerberater in Bad Homburg. Wehrheim veröffentlichte den Bestseller „Inside Steuerfahndung“, in dem er die Zerschlagung des Frankfurter Banken-Fahndungsteams und die Drangsalierung von Fahndern durch Verwaltung und Politik beschreibt. Im Interview spricht er über den Zerfall der bedeutendsten deutschen Steuerfahndung in Wuppertal

Herr Wehrheim, der Seitenwechsel von zwei Top-Steuerfahndern aus Wuppertal zum Beratungsunternehmen Deloitte schlägt hohe Wellen. Ex-NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans spricht davon, die neue Landesregierung fahreeine der besten Steuerfahndungs-Abteilungen der Republik gegen die Wand. Das „Handelsblatt“ schreibt von einem „Feiertag für Steuersünder“ – ist das nicht etwas übertrieben?

Der Abgang bundesweit renommierter Steuerfahnder in Wuppertal sorgt für Spekulationen.
Der Abgang bundesweit renommierter Steuerfahnder in Wuppertal sorgt für Spekulationen. © dpa | Oliver Berg

Frank Wehrheim : Nein, der Vorgang ist in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen. Und er hat meines Erachtens mit dem politischen Wechsel in NRW zu tun. Der ehemalige Finanzminister Walter-Borjans hatte nach dem Weggang des großen Steuerfahndungs-Experten Peter Beckhoff in Wuppertal die Nachfolgerin Sandra Höfer-Grosjean und Volker Radermacher installiert. Diesen guten Plan haben die Oberfinanzdirektion und das NRW-Finanzministerium nun geändert. So etwas geschieht nicht, ohne dass die Politik das einfädelt. Das erinnert mich an die Zerschlagung der Steuerfahndung in Frankfurt am Main, der ich früher angehörte.

Warum war gerade die Steuerfahndung Wuppertal so besonders?

Wehrheim: Das lag zum einen daran, dass der Behördenleiter der Steuerfahndung Wuppertal, Peter Beckhoff, fast alle CDs mit Daten von Steuerhinterziehern, die im Auftrag seines Finanzministers Walter-Borjans angekauft wurden, akribisch überprüft hat. Und er hat die ganzen Deals gemacht. Es wurden einige Millionen Euro für die CDs ausgegeben. Und es kamen viele Milliarden Euro für den deutschen Staat dadurch zurück.

Bundesweit wurden durch den Ankauf dieser CDs große Wellen von Selbstanzeigen ausgelöst. Die ermittelten Daten wurden über viele Jahre lang von Wuppertal an sämtliche Steuerfahndungsstellen der Bundesrepublik verteilt und wurden in den einzelnen Bundesländern bearbeitet. Wuppertal war praktisch der Motor und die Speerspitze der deutschen Steuerfahndung. Durch die Auswertung der CDs hat der Staat rund sieben Milliarden Euro Schwarzgeld von großen Steuerhinterziehern zurück geholt. Jetzt tritt die CDU-FDP-Regierung in NRW bei diesem Thema auf die Bremse.

Muss ich eine Steuererklärung machen?
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    Aber die CDs werden von Hehlern angeboten und der Staat verschafft diesen Kriminellen damit Einnahmen und Legitimation.

    Wehrheim: Da kann man geteilter Meinung sein. Für manche ist das Hehlerware, die der Staat erwirbt. Aber als ehemaliger Steuerfahnder bin ich der Meinung, dass es sich hier um eine Art Notwehr des Staates handelt, dem sonst Milliarden an Steuern entgehen, die dringend gebraucht werden. Der Ankauf der CDs hat ein Umdenken in breiten Bevölkerungsschichten bewirkt. Es ist nicht mehr einfach und schon gar nicht mehr schick, Steuern im großen Stil zu hinterziehen. Das Entdeckungsrisiko wurde immer größer. Außerdem wurde die Rechtmäßigkeit der Ankäufe höchstrichterlich bestätigt.

    Welche Beispiele gibt es für die Gängelung von Steuerfahndern durch die Politik?

    Wehrheim: In Frankfurt gab es einen entsetzlichen und in dieser Form einmaligen Vorgang: Dort wurden vier Steuerfahnder, die zuvor gegen große Banken und auch im Schwarzgeldskandal der CDU ermittelt hatten, mit nachweislich falschen Gutachten für verrückt erklärt und zwangspensioniert. In Hessen haben zwei parlamentarische Untersuchungsausschüsse versucht, zu klären, wer dafür verantwortlich war.

    Laut den mehrheitlich von der CDU verfassten Abschlussberichten konnte keine direkte Verbindung zwischen Ministerium und den Aktionen von Abteilungsleitern und Oberfinanzdirektion bei der Kaltstellung der Fahnder bewiesen werden. So ähnlich wird das in NRW sein. Man wird nicht beweisen können, dass der Minister gesagt hätte: „Setzen Sie da Leute vor die Tür.“ Man wird sich hinter Vorschriften und formellen Begründungen verschanzen. Aber das Ergebnis ist tragisch: Die Leute, die da gehen, nehmen eine große Bibliothek mit, ihre Erfahrung, ihr Wissen und Können ist für den Staat unwiederbringlich verloren.

    Warum sollen ausgerechnet diese Fahnder aus Wuppertal so unersetzlich sein?

    Wehrheim: Diese Leute sind einige der ganz wenigen Fahnder in Deutschland, die wissen, wie man strukturelle Steuerhinterziehung effektiv aufdeckt. Also nicht nur Einzelpersonen fasst, sondern ganze Banken und Verbünde von Finanzinstituten oder ganze Kanzleien überführt, die Steuerhinterziehungsmodelle für Superreiche auf höchstem Komplexitätsniveau entwickeln. Sie wissen, wie man Daten überprüft, wie man die Werthaltigkeit von Datensätzen einschätzt, und wie man solche Datensätze für den Staat erlangt. Das sind Fahnder, die für den Staat unglaublich wertvoll sind, weil sie mit ihrer Arbeit und ihrem Fachwissen für Milliarden Euro an Steuerrückzahlungen sorgen.

    Gibt es nicht überall gute Fahnder?

    Wehrheim: Nein, das ist sehr spezielles Know-how. Um solche Datensätze mit Zigtausenden Finanzdaten von Steuerhinterziehern auszuwerten braucht es viel Erfahrung, Fachwissen und Verschwiegenheit. Die Fahndung Wuppertal war eine hochspezialisierte, hocheffiziente Truppe, die Tausende Fälle für ganz Deutschland heranschaffte. Dieses Gebilde wird durch den Weggang der Fahnder unwiederbringlich zerstört.

    Die NRW-Landesregierung sagt aber, man werde potenzielle Käufe von CDs weiter ergebnisoffen prüfen.

    Mit dem Ankauf von Steuer-Daten hatten die Fahnder in Wuppertal bundesweit Erfolg.
    Mit dem Ankauf von Steuer-Daten hatten die Fahnder in Wuppertal bundesweit Erfolg. © dpa | Fredrik von Erichsen

    Wehrheim: Das werde ich mit Interesse verfolgen. In einem Jahr wissen wir mehr. Ich glaube aber, dass das nicht so sein wird. Da wird nicht mehr viel passieren.

    Zwei Fahnder sind zu einer Beratungsgesellschaft gewechselt, die auch Firmen bei der Steueroptimierung berät. War der Frust größer, oder die Anziehungskraft?

    Wehrheim: Beides wird zutreffen. Man kann als guter Fahnder in der Privatwirtschaft mindestens das dreifache Gehalt verdienen. Aber wenn jemand, der um die 50 Jahre alt ist, aus einer Verwaltung weggeht, für die er mit Herzblut gearbeitet hat, dann muss der Frust verdammt groß sein. Diese Spitzenbeamten muss man tief getroffen haben mit den vergifteten Vorschlägen, wie man sie in der Finanzverwaltung künftig umsetzen und weiter beschäftigen wollte.

    Ist damit die Ära der CD-Ankäufe in Deutschland beendet?

    Wehrheim: Ja, diese Ära geht zu Ende. Es würde mich wundern, wenn in Zukunft in dieser Form noch ermittelt wird. Die Angebote gibt es zwar noch, aber der politische Wille ist nicht mehr da. Das, was in NRW bislang ging, wird in Zukunft sicher nicht mehr gehen.

    Wohin wenden sich künftig die Daten-CD-Verkäufer und Geheimnisverräter?

    Wehrheim: Wahrscheinlich nicht mehr an die Steuerfahndung Wuppertal. Denn ohne den Rückhalt eines Ministers, ohne generelle politische Rückendeckung, geht so etwas nicht. Ich habe das in Hessen selbst erlebt: Die Daten lagen uns mehrfach vor, aber die Bearbeitung ist an der ausbleibenden Genehmigung des Finanzministeriums gescheitert. Solche Daten werden künftig vielleicht vermehrt anderen Staaten angeboten, oder auf dem Schwarzmarkt verkauft, für Erpressungen.

    Hätten Sie nicht auch überlegt, wenn Ihnen als Fahnder ein lukrativer Job in der Privatwirtschaft angeboten worden wäre?

    Wehrheim: Ich bin froh, dass ich früher Fahnder war und froh, dass ich heute in Pension bin, sodass ich als freier Mensch meine Meinung sagen kann.