München.
Ein bisschen unscheinbar sieht dieses Stück Zukunft schon aus: etwas größer als eine Konservendose, knapp 3,2 Kilo schwer, gleichmäßige Grate auf der Außenseite, silberglänzend – ein Elektromotor. Aber was für einer. 40 PS hat dieser Prototyp, den Andreas Faass aus dem Regal genommen hat. Ein vergleichbarer Verbrennungsmotor wäre nicht nur mindestens fünfmal so groß, er wäre auch völlig ungeeignet für das, woran sie hier in Haus 31 des Siemens-Forschungsstandorts Neuperlach in München arbeiten: neue, extrem leise und sparsame Antriebe für Flugzeuge. Und an einem neuen Geschäftsfeld für den Konzern.
Faass ist Chefentwickler eines Projekts, das Siemens gemeinsam mit dem europäischen Luftfahrtkonzern Airbus vorantreibt. Bis 2022 sollen die Siemens-E-Antriebe fertig sein. Bei Airbus arbeitet ein Team an einem passenden Flugzeug. Faass pendelt zwischen der Prototypenentwicklung in Neuperlach und dem knapp fünf Kilometer entfernten Airbus-Forschungsstandort Ottobrunn, wo der Rest des Teams sitzt.
Die ersten Flugzeuge mit dem neuen Antrieb werden Faass zufolge spätestens 2030 abheben. Sie sollen Platz für bis zu 100 Passagiere bieten und eine Reichweite von 1000 Kilometern haben, Flüge von Hamburg nach Venedig wären möglich. Ein Airbus A320 bietet heute bis zu 180 Passagieren Platz.
Und die neuen Maschinen werden anders aussehen, als die Flugzeuge, die heute unterwegs sind. Schließlich können viele kleine Motoren entlang der Tragfläche montiert werden, dort, wo es aerodynamisch günstiger ist als darunter, wie heutzutage. So ist auch kein Seitenleitwerk mehr nötig, eine Rechts- oder Linkskurve kann über die Elektromotoren gesteuert werden. Ein weiterer Vorteil: E-Motoren sind verschleißarm, anders als heutige Turbinen.
Bereits jetzt sind kleinere Maschinen mit neuartigem Elektromotor zu Testzwecken im Einsatz. Allerdings muss ein Flugzeug gar nicht abheben, um Daten zu sammeln. Eine Etage unter Faass’ Prototypenfertigung lässt Siemens im Testlabor fliegen, dem Reich von Markus Bauer. Im Raum stehen drei Bildschirme nebeneinander – das Flugfeld; davor das Cockpit: ein hochlehniger Stuhl und ein kleinerer Bildschirm. Hier lässt sich per Maus mit einer Flugsoftware starten und manche Pirouette drehen. Hinter einem Fenster befindet sich der Teststand: Ein großer verkabelter Kasten, an dem vorn ein matt-silbriges rundes Teil angebracht ist – ein Rekordmotor mit 350 PS/260 kW. Er misst etwa 40 Zentimeter im Durchmesser und ist gut 15 Zentimeter hoch. Der vergleichbare klassische E-Motor wäre um ein Vielfaches größer.
Fliegt der Pilot mit seinem virtuellen Flieger einen Looping, wird der Motor im Teststand nebenan in Echtzeit entsprechend belastet. Und die angeschlossenen Rechner sammeln Daten, denn der Motor ist vollgestopft mit Sensoren – so entstehen etwa 30 Millionen Datenpakete pro Flug, wie Testleiter Bauer sagt. Die Daten werden dann mit künstlicher Intelligenz analysiert und geben den Entwicklern Hinweise, was wie verbessert werden könnte.
Mit dem Motor, der gerade getestet wird, könnte ein Vier- bis Sechssitzer fliegen, sagt Bauer. Für ein echtes Passagierflugzeug wären dagegen Megawatt-Leistungen nötig. So weit sind die Techniker bei Siemens noch nicht. Doch warum nutzen die Ingenieure nicht die Elektromotoren, die schon für Autos entwickelt wurden? „Im Autobau sind die Kosten wichtig“, sagt Entwicklungsleiter Faass. „Beim Fliegen ist das Gewicht relevant, nicht so sehr der Preis.“
Und im Automarkt, wo es eher um Masse geht, kämpfen viele Anbieter um Aufträge. Entsprechend niedrig sind die Ertragschancen. Anders bei Elektroantrieben für Flugzeuge: „Wir gestalten den Markt mit“, sagt Faass. „Den gibt es so noch nicht.“
Gestartet sind Airbus und Siemens im Herbst 2016. Bei Siemens ist das Team von 20 auf inzwischen mehr als 100 Mitarbeiter gewachsen. Insgesamt sollen es bei beiden Konzernen um die 200 Beschäftigte werden, die das Projekt vorantreiben. Wie viel Siemens sich den Traum vom Fliegen kosten lässt, will der Konzern nicht verraten. Auch Airbus hält sich bei Zahlen bedeckt.
Getrieben wird die Entwicklung auch von Vorgaben der EU, die den Abgasausstoß der Flugzeuge deutlich verringern will. „Das ist nur mit neuen Antrieben zu erreichen“, sagt Faass. Und die sollen kleiner als bisher sein, aber deutlich mehr Leistung bringen. „Bis 2022 wollen wir die Leistungsdichte der Motoren verdoppeln.“ Das mag für den Laien nicht so spektakulär klingen, ist aber, so wie Faass das sagt, technisch offenbar eine enorme Herausforderung.
Bleibt die entscheidende Frage: Woher nehmen die vielen E-Motoren den Strom? Eine Möglichkeit wären besondere Batterien, die Faass zufolge aber noch Schwierigkeiten bereiten. Deshalb konzentriert sich das Gemeinschaftsprojekt auf hybrid-elektrisches Fliegen. Zum Starten und Landen wird dabei ausschließlich Strom aus einer Batterie genutzt. Ist der Flieger auf Flughöhe, wird auf konventionellen Antrieb umgeschaltet. Das bedeutet in diesem Fall, dass eine Brennstoffzelle über einen Generator Strom liefert.
An dieser Zelle wird gerade gearbeitet. So lassen sich Faass zufolge beim Kraftstoff bis zu 50 Prozent sparen. Zudem wird es im Umfeld der Flughäfen leiser. Weil die Maschinen bei Starts und Landungen kaum Geräusche machen, wären Nachtflugverbote nicht mehr nötig.