Singen. Wie entsteht das bekannteste deutsche Fertiggewürz? Seit 1887 brodelt im Ort Singen der Maggi-Topf. Ein Blick hinter die Kulissen.

„Das gewisse Tröpfchen Etwas“, so lautet der Werbespruch, der seit Jahren die kleinen Flaschen mit dem rot-gelben Etikett ziert: Maggi. Erfunden zu Zeiten der Hochindustrialisierung sollte die günstige Sauce die faden Brühen in Arbeiterhaushalten würzen. Schenkt man dem Hersteller Glauben, peppt das bräunliche Gebräu seitdem so ziemlich alles auf: Salate, Eier, Suppen sowieso. In der Maggi-Stadt Singen, kurz vor der Schweizer Grenze, gelten ein paar Tropfen Würze als Wohltat, um auch Wurstsalat zu verfeinern.

Jede einzelne der rund 19 Millionen Maggi-Flaschen, die jährlich in Deutschland verkauft werden, stammt aus der baden-württembergischen Kleinstadt am Hohentwiel. Vor mehreren Millionen Jahren war der Hausberg mal ein aktiver Vulkan. Seit 1887 brodelt in Singen der Maggi-Topf.

Flaschen mit eckigen Bäuchen eroberten 35 Länder der Welt

Begonnen hat alles in einem kleinen Häuschen, das noch heute auf dem Werksgelände steht und als Museum genutzt wird. Hier ließ der Schweizer Firmengründer Julius Maggi von Anfang an nur sieben Mitarbeiterinnen seine Suppenwürze köcheln. „Gütterli“-Haus wird es genannt, nach der Schweizer Bezeichnung für Fläschchen. Wenn Werksleiter Martin Ruepp heute dieses Wort benutzt, dann als liebevolle Verniedlichung für ein Gefäß, das zur Ikone wurde. In den vergangenen 130 Jahren eroberten die langhalsigen Flaschen mit den eckigen Bäuchen, deren Form seither kaum verändert wurde, 35 Länder der Welt.

Es ist 10.48 Uhr. Im Hauptgebäude des Singener Werkes wünschen sich die Mitarbeiter im Vorbeigehen „Mahlzeit“. Die Nestlé AG – zu der Maggi seit 70 Jahren schon gehört – ist der weltgrößte Lebensmittelkonzern. Verkostet wurde schon einige Stunden früher: Jeden Morgen kontrollieren die Teams der Degustation die Rohstoffchargen. Neben Bestandteilen für die Suppen und Ravioli, die ebenfalls im Singener Werk produziert werden, durchlaufen auch Weizenglutamat, Zucker, Salze und Aromastoffe für die Würze hier die Qualitätssicherung. Liebstöckel gehört trotz häufiger Annahmen nicht dazu.

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    Nur wenige kennen das genaue Maggi-Rezept

    „Es riecht zwar so und man nennt es auch Maggikraut. Aber das ist in der Würze nicht enthalten“, sagt Werksleiter Ruepp. Aus den Zutaten und Geschmacksverstärkern der Suppenwürze kann das Unternehmen keinen Hehl machen. Gemäß EU-Verordnung müssen sie auf jedem Fläschchen aufgelistet werden. Trotzdem ist Chefbrauer Sascha Petzold einer der wenigen auf dem Gelände, die das genaue Rezept kennen. Der 39-jährige Lebensmitteltechnologe leitet seit knapp anderthalb Jahren das Team, das pro Tag den Inhalt von rund 217.000 Flaschen herstellt.

    Mit weißer Schutzkleidung, Kappe und Haarnetz schlendert Petzold die „Hauptstraße“ des Werkes südlich hinab, biegt links in die „Würzestraße“ ein und geht über eine Treppe hinauf in eines der schon fast 100 Jahre alten Produktionsgebäude aus hellem Ziegel, die dem Werk den historischen Charme verleihen. Hände waschen, Fusseln von der Kleidung entfernen. Die Hygienevorschriften für die Lebensmittelproduktion sind streng. An allen Türen wird darauf hingewiesen. Auch ein schwarz-gelbes Schild mit der Aufschrift „halal“ in Großbuchstaben hängt daneben.

    Bräunungsreaktionen tragen zur Würzefarbe bei

    Denn Maggi ist zertifiziert als reines und nach islamischen Glaubensregeln erlaubtes Lebensmittel. Sascha Petzolds Arbeitsplatz ist die Steuerzentrale der Produktion. Ganz in den Anfängen wurde die Würze noch in Kochtöpfen gebraut. Heute reihen sich riesige Stahlbehälter mit Rohrsystemen aneinander. Nur drei Personen pro Schicht sind in dieser computergesteuerten „Küche“ anwesend, die von Maschinenlärm erfüllt ist.

    Zunächst wird das Weizengluten mit Wasser gemischt, anschließend mit Enzymen gespalten. Hydrolyse heißt diese chemische Reaktion, die bei Maggi umgangssprachlich nur kurz „Brauprozess“ genannt wird. „Die Proteine, die im Weizengluten enthalten sind, werden dabei aufgespalten. Dort erhalten wir schon leichte Bräunungsreaktionen, was später dann zur Würzefarbe mit beiträgt“, erklärt „Braumeister“ Petzold. So entstehe die Rohsauce, die zunächst filtriert und dann zusammen mit Glutamat, Salz und Zucker gekocht wird.

    Reifeprozess dauert mindestens eine Woche

    Durch chemische Reaktionen entstehen die industriell erzeugten Röstaromen. Leichter Fleischgeschmack, ohne tierische Inhaltsstoffe. Die genaue Mischung, Temperatur und auch die Kochzeiten sind streng geheim. „Anschließend wird erneut filtriert, um eine schön klare Würze zu erhalten.“ Über das Rohrsystem fließt sie weiter in vier gewaltige Lagertanks. 120.000 Liter Platz für den Reifeprozess. Minimum: Eine Woche.

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      Danach geht es unterirdisch weiter. Erneut über Rohre. Unter der „Hauptstraße“ hindurch, hinein in das große Gebäude an der „Verpackungsstraße“. Architektonisch ein Bauwerk mit reichlich Patina. Im Treppenhaus hängen nostalgische Emaille-Werbeschilder.Doch die Technik im Inneren ist optimiert für die moderne Massenproduktion. Ein Roboter entpackt die leeren 250-Gramm-Fläschchen, die zu 3040 Stück auf Europaletten angeliefert werden, stellt sie punktgenau auf das Fließband.

      Experten testen pro Charge je eine Flasche auf Qualität und Geschmack

      Nur zwei Personen überwachen pro Schicht die etwa 70 Meter lange Linie. Einer von ihnen ist Abteilungsleiter Karl Köhler. „Maggi ist eine Familie“, sagt er. „Das ist wichtig für ein Unternehmen.“ Die meisten seiner direkten „Familienmitglieder“ aber sind Automaten. Der ganze Raum ist erfüllt vom Klirren der Glasflaschen. Das Fließband befördert sie in die Füllanlage: Wie in einem Karussell werden die leeren Gefäße nacheinander reihum eingehängt, befüllt, verschlossen, anschließend mit Etiketten beklebt. Danach geht es weiter über das Fließband.

      Roboter entfalten die Kartons. Roboter setzen die Flaschen hinein. Und schließlich landen die vollen Kartons auf großen Paletten, fertig gestapelt für den Abtransport in die Supermärkte. Davor greift noch eine Station ein: die Degustation. Die Experten der Verköstigung testen pro Charge je eine Flasche auf Qualität und Geschmack. Sie haben das letzte Wort. Ohne ihr „Okay“ verlässt die Würze nicht das Werksgelände.

      Farbe: gold-braun. Textur: flüssig. Geruch: malzig, hefig

      Insgesamt kontrollieren die Mitarbeiter des Sensorikteams an drei Stellen der Würzeproduktion: „Wir testen Rohstoffe, Halbfabrikat und die fertigen Produkte“, erläutert Helmut Müller, Leiter der Qualitätssicherung. Die fertige Würze wird mit heißem Wasser verdünnt probiert. Ein Merkblatt beschreibt die Anforderungen an das Produkt: „Aussehen: glatt, glänzend. Farbe: gold-braun. Textur: flüssig. Geruch: malzig, hefig. Geschmacksattribute: Salzigkeit, Malzigkeit, Hefegeschmack, leichte Süße, Fleischnote, Röstigkeit und eine leichte Säurenote.“

      Und wie schmeckt Maggi für den Experten? Müller greift zum Löffel. Verteilt die Flüssigkeit im gesamten Mundraum, um besser schmecken zu können. „Einzigartig“, sagt er dann. „Es ist eine Komposition von Aminosäuren, Salz, Glutamat und weiteren Inhaltsstoffen, die einen sehr, sehr runden Gesamtgeschmack hat.“ Das Küchengeheimnis aus der Flasche. In der Gesamtbewertung von Herrn Müller eigentlich schon fast eine – Mahlzeit.