Berlin. Elektrobusse, mehr Radfahrer – und Fahrverbote vermeiden? Um zu helfen, legt der Bund in Wahlkampf-Zeiten noch 500 Millionen Euro nach.
Erst vier Wochen ist es her, dass die Bundesregierung zum großen Dieselgipfel lud. Autobosse, Verbandschefs und Ministerpräsidenten kamen nach Berlin, um über Maßnahmen gegen zu schmutzige Luft in Städten zu beraten. Nur die Chefin war nicht da.
Jetzt hat sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) persönlich eingeklinkt und mit Bürgermeistern aus der halben Republik an den Tisch gesetzt. Auch SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel wollte da nicht fehlen. Ergebnis: Der Bund macht eine halbe Milliarde zusätzlich locker. Das klingt verlockend so kurz vor der Bundestagswahl. Aber was kann es bringen?
Was ist das Problem?
In vielen deutschen Kommunen ist die Luft stark mit gesundheitsschädlichem Stickoxid (NOx) aus Diesel-Auspuffen belastet. Deutschland hat deswegen schon Ärger mit der EU. Autofahrern könnten gerichtlich erzwungene Fahrverbote in Städten drohen – wenn Grenzwerte anders nicht einzuhalten sind.
Was wurde im Kanzleramt beschlossen?
Der Bund stockt einen Fonds, der bisher 500 Millionen Euro schwer sein sollte, auf eine Milliarde auf. Davon soll – Stand jetzt – die Autoindustrie 250 Millionen zahlen, 750 Millionen der Bund. Das Geld stehe noch im laufenden Haushalt zur Verfügung, versprach Merkel. Und es soll nun allen Städten zugute kommen, die mit zu hohen NOx-Werten zu kämpfen haben – im vergangenen Jahr überschritten mehr als 80 die Grenzwerte. Ursprünglich sollte der Fonds 28 Regionen helfen, die die EU schon auf dem Kieker hat.
Wofür ist das Geld gedacht?
Welche Projekte gefördert werden, ist noch offen. Klären soll das eine neue Koordinierungsstelle von Bund, Ländern und Städten. Gehen könnte es etwa um bessere Angebote im öffentlichen Nahverkehr, eine schnellere Umstellung auf E-Fahrzeuge, bessere Ladeinfrastruktur, Leitsysteme gegen Staus oder neue Radwege. Teils gibt es dafür auch schon bestehende Förderprogramme, ganz unabhängig vom neuen Fonds.
Wie soll Stadtluft noch sauber werden?
Beim Dieselgipfel sagten die deutschen Hersteller Anfang August neue Abgas-Software für zusätzliche 2,8 Millionen Fahrzeuge zu. Bei knapp 2,5 Millionen VW-Diesel ist das ohnehin amtlich angeordnet. Außerdem bieten mehrere Marken Extraprämien für den Kauf sauberer Neuwagen an, damit alte Diesel von den Straßen kommen. Forderungen nach Umbauten direkt an den Motoren lassen die Konzerne bisher abprallen.
Sind Fahrverbote damit vom Tisch?
Nein, denn dafür muss die Luftverschmutzung schnell unter die Grenzwerte gedrückt werden. Die baden-württembergische Landesregierung wartet auf die Urteilsbegründung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts, das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig dürfte Anfang 2018 eine Entscheidung zu Düsseldorf fällen. Das Umweltbundesamt hat schon ausgerechnet, dass Software-Updates und Umtauschprämien nicht ausreichen werden.
Ging es auch um die Blaue Plakette?
Diese Kennzeichnung für saubere Autos, mit der Fahrverbote sich organisieren ließen, hatten die Städte und manche Länder im Vorfeld gefordert – aber da wurde nichts entschieden. Das müsse man in Ruhe besprechen, sagte Gabriel, um „eine Totalverwirrung“ zu vermeiden.
Sind die Städte mit dem Ergebnis zufrieden?
Gegen mehr Geld vom Bund hat niemand etwas einzuwenden. Die OBs machten aber deutlich, dass Lösungen nicht überall gleich aussehen könnten. In München würde ein Umstellung der Busflotte auf E-Antrieb nur vier Prozent NOx einsparen, sagte Dieter Reiter (SPD). Sein Aachener Kollege Marcel Philipp (CDU) forderte eine „Vision, wo wir insgesamt hinwollen“ – man stehe am Beginn eines Wegs. Der Stuttgarter OB Fritz Kuhn (Grüne) mahnte, ohne eine bessere Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs werde es nicht gehen. Und Michael Ebling (SPD) aus Mainz sagte der dpa, dass eine Milliarde nicht reichen werde – man hätte bei Umrüstungen und „Einstieg in alternative Antriebstechnologien“ konkreter werden können.
Wie geht es weiter?
Merkel plant schon einen zweiten Dieselgipfel im November – da werde man „ein ganzes Stück weiter sein“. Gespräche mit der Autoindustrie laufen weiter. Vier Expertengruppen beschäftigen sich unter anderem mit Umrüstung und städtischen Fahrzeugflotten, sie sollen im Herbst Ergebnisse vorlegen. Außerdem will der Bund die ausländischen Autobauer ins Boot bekommen, von denen es bisher kaum Signale gibt – dazu gebe es bei der Automesse IAA eine Möglichkeit, sagte Merkel. (dpa)