Die Hamburger Drogeriekette wird im Preisduell zwischen dm und Rossmann aufgerieben. In der Not verbündet sich die Eigentümerfamilie mit Edeka. Kann daraus eine neue, nationale Kette werden? Oder ist es das Ende der Unabhängigkeit?

Cord Wöhlke ist ein leidenschaftlicher Mensch. Deshalb kann es schon mal passieren, dass der leicht aufbrausende Chef der Hamburger Drogeriekette Budnikowsky in kriegerische Metaphern verfällt, wenn er das an sich eher dröge Geschäft mit Shampoos, Gesichtscremes und Waschmitteln beschreibt. Von einem „Belagerungszustand“ spricht er dann und davon, dass die „Großen“ Budni in die Knie zwingen wollten. Am liebsten sieht der 67-Jährige das Familienunternehmen als „gallisches Dorf“, das seine Eigenständigkeit mit List und Tücke gegen die Konkurrenz verteidigen muss.

Ganz falsch ist diese David-gegen-Goliath-Rhetorik nicht. Zwar verfügt Budnikowsky mit gut 180 Märkten noch immer über das größte Filialnetz in der Hamburger Metropolregion. An jeder Ecke, so scheint es, steht ein Markt mit dem blau-weißen Logo. Doch das Bild trügt, denn die Zeiten, in denen sich das Traditionsunternehmen seiner Position sicher sein konnte, sind längst vorbei. Für Wöhlke, der Budni zusammen mit seinen Kindern Christoph und Julia leitet, geht es um die Existenz. Es geht darum, das zu retten, was sich die Eigentümerfamilie aufgebaut hat, seit der Gründer Iwan Budnikowsky im Jahr 1912 einen Laden für Bandagen an der Mühlenstraße in Harburg aufmachte.

So bedeutend Budni in Hamburg ist, außerhalb der Hansestadt ist das Unternehmen ein Zwerg. Dort geben die beiden Konkurrenten dm und Rossmann den Ton an. Beide verfügen im Vergleich zu den Hamburgern jeweils über das Zehnfache an Geschäften in Deutschland. 1800 sind es bei dm, 2055 beim Konkurrenten aus Burgwedel bei Hannover. Und beide verfolgen eine ausgesprochen aggressive Expansionsstrategie. International eröffnen sie jährlich mehr neue Filialen als Budni überhaupt besitzt.

Marktführer dm rückt immer weiter in Hamburg vor

Machte insbesondere Marktführer dm früher einen Bogen um die Hansestadt, so hat der Karlsruher Konzern diese Zurückhaltung schon vor Jahren aufgegeben. 50 bis 60 dm-Märkte hält man in Hamburg für realistisch. In diesem Jahr werden zu den bestehenden 18 noch drei weitere hinzukommen: am Millerntorplatz auf St. Pauli, im Alstertal- Einkaufszentrum­ und im neuen Nahversorgungszentrum der ehemaligen Röttiger-Kaserne in Neugraben-Fischbek. Mindestens zwei dieser drei Standorte sind angestammtes Budni-Terrain.

Für Cord Wöhlke ist das Vorrücken von dm besonders bitter, handelt es sich doch um einen alten Bündnispartner. Jahrzehntelang verkaufte Budnikowsky die dm-Eigenmarke Balea in den eigenen Filialen, im Gegenzug galt so etwas wie ein unausgesprochener Nicht-Angriffspakt. Doch der endete mit den ersten Filialen, die dm in Hamburg aufmachte. Im Gegenzug beendete Budni die Kooperation. Seitdem müssen die Hamburger die Dauerniedrigpreise bei den Balea-Produkten mit einer eigenen Preiseinstiegsmarke kontern. Bei 50 Cent für ein Shampoo oder 55 Cent für ein Deo keine Leichtigkeit. Ganz abgesehen davon, dass sich die Budni-Kunden über Jahrzehnte an die Balea-Produkte gewöhnt hatten.

Konkurrent Rossmann steht dm im Preiskampf in nichts nach. Die Kette ist dafür bekannt, die Wettbewerber mit ständigen Rabattaktionen unter Druck zu setzen. Verkäufe unter Einstandspreis brachten Chef Dirk Roßmann schon vor Jahren reichlich Ärger mit der Markenindustrie und dem Kartellamt ein. Wie weit die beiden Platzhirsche im Kampf um Marktanteile gehen, zeigte sich jüngst in einer Rossmann-Filiale in Nordrhein-Westfalen. Da wurde eine dm-Mitarbeiterin dabei erwischt, wie sie große Mengen an Perwoll-Waschmittel und Haarpflegemittel aufs Band legte. Nicht, um damit eine Großfamilie zu versorgen, sondern um die Artikel in der eigenen dm-Filiale anzubieten. Offenbar eine gängige Praxis in der Branche: Drogerie-Beschäftigte erwerben Aktionsware bei der Konkurrenz um die Ecke, weil sie dort noch billiger zu haben ist als im Großhandel. „Jeder kauft dort ein, wo es am günstigsten ist“, bemerkte dazu achselzuckend dm-Gründer Götz Werner.

„In den vergangenen Monaten haben sich die Preiskämpfe unter den Drogerien noch einmal verschärft“, sagt Wolfgang Adlwarth von der Marktforschungsgesellschaft GfK. Gerade mal eine Preissteigerung von 0,7 Prozent verzeichnete die GfK im Januar und Februar, das war weniger als bei den Discountern Aldi, Lidl oder Netto. Zugleich verbuchten die Drogerien mit 0,6 Prozent die geringsten Umsatzzuwächse seit Jahren. 2016 konnten sie aufgrund immer neuer Filialen immerhin noch um 3,3 Prozent auf fast 16 Milliarden Euro zulegen.

„Für einen eher kleinen Anbieter wie Budnikowsky ist es schwierig, in diesem Umfeld zu bestehen“, sagt Wolfgang Adlwarth. Ein Blick auf die zuletzt veröffentlichten Zahlen von Budnikowsky verheißen denn auch nichts Gutes. 422 Millionen Euro erlöste die Kette im Geschäftsjahr 2014/15 (Abschluss Ende Februar), fuhr zugleich allerdings einen Verlust von rund zwei Millionen Euro ein. Auch für 2015/16 dürfte nach einer Aussage Cord Wöhlkes aus dem ver­gangenen Jahr ein Verlust angefallen sein.

Ob mittlerweile die Rückkehr in die schwarzen Zahlen gelungen ist, darüber schweigen sich die Eigentümer von Budnikowsky aus. Und nicht nur darüber. Geschäftsentwicklung 2016/17? Stand der Modernisierung in den Filialen? Pläne für neue Märkte? Mitarbeiterentwicklung? Einen entsprechenden Fragenkatalog des Hamburger Abendblatts ließ Budnikowsky unbeantwortet. Allenfalls zur Aufstellung neuer Rabattautomaten in allen Filialen wollte sich Sprecherin Wiebke Spannuth äußern. In Verbindung mit der Budni-Karte können die Kunden an den sogenannten „Service-Punkten“ individuell auf sie zugeschnittene Preisnachlässe von bis zu 30 Prozent erhalten. Im knallharten Preiskampf der Drogerien dürfte dies aber wohl nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein.

Im Geheimen arbeitet Budni allerdings tatsächlich an einem Projekt, das die Rettung für die in Bedrängnis geratene Kette darstellen könnte. Im Februar sind die Eigentümer ein Bündnis mit einem Hamburger Konzern eingegangen, der selbst dm und Rossmann wie kleine Fische aussehen lässt: Edeka. Deutschlands größte Supermarktkette kann Budni das geben, was dem Familienbetrieb fehlt – Einkaufsmacht. In dürren Worten haben die Partner vor einigen Wochen das Bündnis bestätigt, ohne allerdings Details preiszugeben. Nach Abendblatt-Informationen wird es zunächst eine Einkaufskooperation geben, die es Budni ermöglicht, zu ähnlich günstigen Konditionen wie Edeka an die Waren großer Markenhersteller wie etwa Beiersdorf zu kommen.

Spannend ist, was in einer möglichen zweiten Phase passiert. Laut „Lebensmittelzeitung“ könnte die Kooperation gar zur Keimzelle für eine neue, national aufgestellte Drogeriekette werden. Geplant ist danach die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, an dem Edeka zunächst eine Minderheitsbeteiligung von 25,1 Prozent halten soll – mit der Option zur Aufstockung. Dieses Gemeinschaftsunternehmen könnte dann über die Grenzen Hamburgs hinaus expandieren. Ein Wachstums­tempo von bis zu 50 Drogeriemärkten pro Jahr sollen die Beteiligten für möglich halten. Ob das Ganze außerhalb der Hansestadt noch unter dem Namen Budnikowsky passiert, ist dabei völlig offen. Die Budni-Eigentümer sollen aber an Bord bleiben.

Offiziell schweigen sich die Partner zu den Plänen aus, weder von Budni noch von Edeka gibt es einen Kommentar. Die Stimmung insbesondere bei Budni ist höchst nervös, zu groß ist die Sorge, dass das Bundes­kartellamt die angestrebte Kooperation – selbst in kleiner Form – noch zum Scheitern bringen könnte. Die Wettbewerbshüter sind mit dem potenziellen Partner Edeka in der Vergangenheit nicht gerade sanft umgegangen, weil sie die Marktmacht der Supermarktkette ohnehin schon für zu groß halten. Durch das Veto des Kartellamts stand die Übernahme des Konkurrenten Kaiser’s Tengelmann mehr als ein Jahr lang auf der Kippe und gelang erst durch eine Ministererlaubnis und nach einer gerichtlichen Aus­einandersetzung.

In der Branche stoßen die Budni-Pläne für eine mögliche, neue Drogeriekette auf Skepsis und sogar unverhohlene Häme. „Ich fände es realistischer, aus einem Unternehmen, das seit Jahren mit Verlust arbeitet, erst einmal ein Unternehmen zu machen, das mal wieder was verdient“, sagte jüngst Dirk Roßmann. Für einen neuen, national aufgestellten Player sieht der Rossmann-Chef keinen Platz: „Ich habe neulich einen Spaziergang in Lüneburg gemacht. Da gibt es auf engstem Raum drei Rossmann-Drogeriemärkte, dann ist noch ein Budnikowsky und ein 2500 Quadratmeter großer Müller“, sagte Roßmann bei der Bilanzvorlage. „Es ist manchmal schon ein Wahnsinn, wie groß die Drogeriemarktdichte ist.“

Die heftige Reaktion des Rossmann-Chefs lässt sich allerdings auch als Rache eines Verschmähten deuten. Immer wieder hatte er Budni-Chef Wöhlke und dessen Familie in den vergangenen Jahren eine Zusammenarbeit angeboten, war aber regelmäßig abgeblitzt. Zu groß war die Sorge der Hamburger, von Rossmann geschluckt und einfach in das bestehende Filialnetz integriert zu werden. Mit dem neuen Partner Edeka glaubt Wöhlke hingegen, die ideale Lösung für sein Dilemma gefunden zu haben. Oder, um im Bild mit dem „gallischen Dorf“ zu bleiben: einen Zaubertrank, der Budni die nötigen Kräfte verleiht, um es mit den Konkurrenten aufzunehmen – ohne dabei die Eigenständigkeit preiszugeben.

Der Patriarch weiß, dass er nicht mehr ewig der Geschicke der Kette leiten kann, und hat in den vergangenen Jahren viel dafür getan, um den Übergang von der dritten zur vierten Generation in der Unternehmensführung zu gewährleisten. Sohn Christoph übernimmt mittlerweile immer mehr Aufgaben für den Vater, Tochter Julia kümmert sich schwerpunktmäßig um das Personal. Alle strategischen Entscheidungen werden bei den Hamburgern in der Familie getroffen. Die Eigentümer empfinden sich und ihre rund 2000 Mitarbeiter als eine Gemeinschaft. „Wir bei Budni“, heißt es auf der Internetseite. Insofern erscheint es als unwahrscheinlich, dass die Familie die Zügel jemals aus der Hand geben könnte.

Fraglich ist nur, ob sich auch Edeka auf Dauer mit einer Rolle als Juniorpartner zufriedengibt oder ob das Milliardenunternehmen insgeheim auf eine Übernahme hinarbeitet. Dann wäre die List Davids, die Goliaths mithilfe eines anderen Goliath abzuwehren, am Ende doch nicht aufgegangen.