Hamburg. Das Hamburger Unternehmen Nüwiel entwickelt einen Trailer, der synchron zum Fahrer bremst und Anschub gibt

Wer Kinder hat, braucht ein Auto? Mit dieser weitverbreiteten Einschätzung kann Sandro Rabbiosi wenig anfangen. Vor fünf Jahren hat er seinen Wagen verkauft. Die vier Kinder im Alter von wenigen Wochen bis acht Jahren befördert er seitdem meistens mit Fahrrad und Anhänger. Den herkömmlichen Trailer überlädt er dabei allerdings massiv. „Und dadurch komme ich ins Straucheln“, sagt der 33-Jährige. Auch auf die Nase legte er sich schon.

Doch als studierter Maschinenbauingenieur wusste er sich zu helfen. Im Mai 2015 hatte er die Idee für einen Fahrradanhänger mit Motor und Bremse. Anfang 2016 baute Rabbiosi den Prototypen. Nun bereitet er mit seinen beiden Co-Gründern Natalia Tomiyama, 31, und Fahad Khan, 33, im gemeinsamen Start-up Nüwiel die nächsten Wachstumsschritte vor.

Rabbiosis Grundidee entwickelte das Trio weiter. Khan machte den Vorschlag, dass der Anhänger intelligent sein soll, also beim Fahren „mitdenkt“. Mittlerweile hat das neun Monate alte Unternehmen die sechste Version des Prototypen entwickelt, für den ein Patent angemeldet wurde. Der Anhänger besteht aus einer Holzwanne mit Metallstreben. Über der Hinterachse sitzt der Antrieb, mit dem man am eigentlich vorgesehenen Einsatzort sogar abheben könnte. Ein Elektromotor für Flugzeuge sorgt für das Fortkommen. Befestigt wird der Anhänger am Velo mit einer handelsüblichen Kupplung. An der Deichsel ist ein Sensor angebracht, der Schwingungen registriert und entsprechende Signale zur Steuerungseinheit überträgt, die dem Motor den richtigen Befehl geben. „Die Programmierung steuert den Antrieb und stellt sicher, dass Anhänger und Fahrrad sich immer gleich bewegen“, sagt Rabbiosi. Sprich: Wenn der Fahrer in die Pedale tritt, treibt der Motor den Anhänger nach vorn. Wenn der Fahrer bremst, greifen auch die Bremsen am Trailer.

Angetrieben wird der Motor durch Akkus, auch gebremst wird elektrisch. Die beim Bremsen erzeugte Energie wird genutzt und in den Stromspeicher eingespeist, der per Knopfdruck ein- und ausgeschaltet wird. Die Reichweite des Energielieferanten soll bei 50 Kilometern liegen. Der Akku kann wie ein Handy am Tisch geladen werden, innerhalb von zwei Stunden ist er voll. Sollte dem Akku während der Fahrt der Strom ausgehen, kann mit einer mechanischen Auflaufbremse statt mit dem elektrischen Bremssystem angehalten werden – es gibt also eine doppelte Sicherung. Für ein stabiles Fahrverhalten sorgen Stoßdämpfer aus Mountainbikes.

Das Abendblatt konnte bei einer Probefahrt am Harburger Binnenhafen den Anhänger testen. Beim Losfahren bemerkt man die Last hinter dem Hinterrad nur kurz. Mit einer Verzögerung von rund einer Sekunde schaltet sich der Motor ein und sorgt für zusätzlichen Vortrieb. Danach vergisst man die Anhängelast schnell – weil man sie nicht mehr bemerkt. Auch beim Bremsen vergeht kurze Zeit, bis die Technik von Fahren auf Halten umschaltet. Das Stoppen läuft dann allerdings sehr ruhig ab. Das Tempo wird gedrosselt, ohne dass es zum Schubeffekt wie bei normalen Anhängern kommt. Auch auf holprigem Kopfsteinpflaster gibt es das sonst bekannte Aufschaukeln des Hängers nicht, die Stoßdämpfer machen einen guten Job.

Bis Privatpersonen den Komfort des etwa 15 Kilogramm schweren Produktes von Nüwiel – das mit den ersten beiden Buchstaben „nü“ für das Plattdeutsche „neu“ und mit „wiel“ für das niederländische Rad steht – erfahren können, dauert es aber noch. „Erste Testfahrten mit privaten Kunden sollen im nächsten Jahr stattfinden“, sagt Tomiyama. Ein Jahr später könnte es am Markt sein. An der Entwicklung von Sitzen und einer Haube als Überdachung wird schon gearbeitet.

Zurzeit ist die Firma mit Sitz im Startup Dock (siehe Infokasten) an der Harburger Schloßstraße auf Gewerbekunden fokussiert. Mit fünf Unternehmen aus der Logistikbranche gibt es Verträge. Ziel ist es, den Anhänger exakt auf die Wünsche der Kunden anzupassen. Während ein normaler Anhänger maximal 40 Kilogramm schwer sein sollte, um steuerbar zu bleiben, wird der Nüwiel-Trailer deutlich mehr Gewicht aufnehmen können. Mit der ersten Version sollen 120 Kilo Last bewegt werden. Einer der Erstkunden möchte Getränke transportieren und strebt 200-Kilo-Zuladung für das in der Logistikvariante aus Stahl bestehende, 25 Kilogramm schwere Gefährt an, das dann wahrscheinlich vier Räder haben wird. Es soll 60 bis 80 Zentimeter breit sein, die Geschwindigkeit soll bei 25 Kilometern pro Stunde abgeriegelt werden. Der Preis für den Anhänger steht noch nicht fest, soll aber für Gewerbekunden bei maximal 5000 Euro liegen und damit so teuer sein wie ein Lastenrad. Für Endverbraucher soll die zehn Kilogramm leichtere Variante günstiger sein, genauere Angaben können derzeit aber noch nicht gemacht werden. Im Handel kosten gewöhnliche Anhänger in der Spitze um 1000 Euro.

Nüwiel finanziert sich bisher hauptsächlich aus dem Exist-Gründer-Stipendium. Die Hamburgische Investitions- und Förderbank griff dem Unternehmen mit 120.000 Euro unter die Arme, 30.000 Euro steuerten die Gründer an Eigenkapital bei. „Wir bereiten jetzt die erste Investitionsrunde vor“, sagt Rabbiosi. Eine Million Euro seien notwendig, damit die Produktion anfangen könne. Sie soll in jedem Fall in Hamburg erfolgen. Erste Gespräche mit Investoren laufen. Im Gegenzug sollen erstmals Anteile am Unternehmen abgetreten werden, das ebenso international ist wie seine Gründer. Im zehnköpfigen Team sind sechs Nationen vertreten, die zehn Sprachen sprechen. Rabbiosi ist ein in Kenia geborener Südafrikaner, der seit zehn Jahren in Deutschland lebt. Tomiyama ist in Russland geboren und Halbkoreanerin und Halbjapanerin. Und Khan, der früher bei Airbus als Design- und Entwicklungsingenieur arbeitete, stammt aus Pakistan.

Nüwiel erhielt schon Preisefür den Fahrradanhänger

Mit dieser internationalen Aufstellung ergibt es sich von selbst, dass Nüwiel auch im Ausland aktiv werden will. Erste Erfolge hat das Unternehmen dort vorzuweisen. Bei der Messe Food+City in Austin (USA) holte das Team ebenso Bronze wie beim Gründergeist-Wettbewerb der Existenzgründung Hamburg. Tomiyama: „Es gibt Bedarf für unseren Fahrradanhänger, auch in Amerika.“

Rabbiosi ist sicher, dass die Harburger Entwicklung den Zeitgeist trifft. „Eigentlich wollte ich nur meine Kinder bewegen. Aber durch den immer stärker werdenden Verkehr in den Citys kommt das Produkt zur richtigen Zeit“, sagt er. Und Co-Gründerin Natalia Tomiyama ergänzt: „Nüwiel ist unser Weg, Leuten zu zeigen, dass man in den Städten kein Auto braucht.“