Hamburg. In der Akustikkammer des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung wird an der Geräuschdämmung für die Passagiere im Jet gearbeitet

132 Lautsprecher, jeder mit einem eigenen Verstärker, die zusammen 6000 Watt abgeben: Eine solche Leistung würde für einen größeren Kinosaal ausreichen. Und doch klingt der Michael-Jackson-Klassiker „Thriller“ aus dieser Anlage eher dünn. Das ist nicht verwunderlich, denn für die Wiedergabe von Musik ist die beeindruckende Installation eigentlich nicht gedacht – ganz abgesehen davon, dass die grauen Schaumstoffkeile, mit denen alle Wände und die Decke des Saals bedeckt sind, dem Raum nicht nur ein futuristisches Aussehen verleihen, sondern ihn auch „schalltot“ machen.

Das muss so sein, damit die Bedingungen eines realen Flugs simuliert werden. Schließlich steht die Lautsprecheranlage in einem Versuchsraum für die Flugzeugindustrie. „Eine Akustikkammer mit einer solchen Ausstattung ist weltweit einzigartig“, sagt Henning Scheel, der für Airbus im Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL) auf Finkenwerder nach Wegen sucht, für die Passagiere in den Kabinen das Fliegen leiser zu machen: „Wir können hier am Boden und unter kontrollierten Bedingungen Tests ausführen, die bisher nur im Flug möglich waren.“

In der Mitte des knapp neun Meter hohen und 23 Meter langen Raums ist ein strahlend weiß lackiertes Objekt aufgebockt, das bis auf die fehlenden Fenster wie ein Flugzeugrumpfabschnitt aussieht. Tatsächlich handele es sich um die Rumpfattrappe eines Airbus A320, die zwar „stark vereinfacht“ sei, weil sie ja nicht fliegen müsse, in den akustischen Eigenschaften aber dem echten Jet sehr ähnele, sagt Scheel. Die Halle ist so bemessen, dass auch Rumpfabschnitte größerer und breiterer Maschinen, etwa des Langstreckenjets A350 oder des Militärtransporters A400M, hineinpassen.

An der weißen Röhre sind zahlreiche Sensoren angebracht, von denen dünne Drähte zu einem Computerarbeitsplatz gleich neben der Rumpfattrappe führen. Auf dem Bildschirm ist sie als Schemabild zu sehen; durch Farbabstufungen wird dargestellt, wie die Schallwellen die Außenhaut in Schwingungen versetzen. Bei echten Tests mit der simulierten vollen Lautstärke der Flugzeugtriebwerke sitzt niemand an dem Computer: Bis zu 135 Dezibel können die Lautsprecher erzeugen, die Schmerzgrenze des menschlichen Ohrs liegt bei 120 Dezibel – und eine Steigerung um zehn Dezibel entspricht einer Verdoppelung des empfundenen Geräuschpegels.

Das erste Ziel von Scheel und seinen Kollegen besteht darin, zu ermitteln, wie gut sich der Triebwerkslärm zum Beispiel durch unterschiedliche Arten von Dämmmatten und Wandverkleidungen in der Kabine dämpfen lässt. Der potenzielle Nutzen dieser Forschungsarbeit ist enorm groß, denn sie kann die Zeit bis zur Marktreife eines neuen Flugzeugtyps verkürzen und die Entwicklungskosten, die bei echten Neuentwicklungen bei zehn Milliarden Euro und mehr liegen, deutlich senken: „Wenn man erst nach dem Erstflug noch Veränderungen an der Konstruktion vornehmen muss, stört das den Produktionshochlauf erheblich“, sagt Scheel.

Allerdings seien die Zusammenhänge, die es zu erforschen gilt, hochkomplex. Jeder Autofahrer, so der Airbus-Ingenieur, kenne das Problem: „Wenn es irgendwo klappert, kann man die Geräuschquelle häufig nur sehr schwer lokalisieren. Denn Schall überträgt sich auf vielen verschiedenen Wegen.“ Die wissenschaftliche Disziplin der Vibroakustik sei zudem noch recht jung, erst seit fünf bis zehn Jahren würden ihre Methoden systematisch im Flugzeugbau angewandt.

Entsprechend bunt gemischt sind die Qualifikationen im Team von Scheel: „In der Abteilung haben wir Maschinenbauer, Physiker, aber auch einen Klavierbauer.“ In Deutschland arbeiten bei Airbus 35 Personen auf diesem Feld, wobei Hamburg das Kompetenzzentrum ist.

Getreu der Philosophie des ZAL, zu dessen Trägern neben Airbus der Hamburger Senat, Lufthansa Technik, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und vier Hamburger Hochschulen gehören, ist auch die Akustikkammer ein Kooperationsprojekt. Das Labor, in das 1,1 Millionen Euro investiert wurde, ist bis 2020 an Airbus vermietet. Die Rumpfattrappe hingegen hat die Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) finanziert.

Bis zum Jahr 2020 hat das von Henning Scheel und Martin Wandel gemeinsam geleitete Akustiklabor-Team noch viel vor. So sind für die nächsten Jahre auch Tests mit Versuchspersonen in einer realistisch nachgebauten Kabine vorgesehen, um mehr über die subjektive Wahrnehmung des Schalls zu erfahren. Geplant sei außerdem, sagt Scheel, später nicht nur allein die Triebwerksgeräusche zu simulieren, sondern das komplette Klangspektrum einschließlich des Rauschens der den Rumpf im Flug umströmenden Luft. Scheel: „Das ist dann die hohe Kunst.“