Hamburg. Serie, Teil 1: Hamburgs beste Nachwuchshandwerker. Der 25-jährige Oliver Jürs holte beim Bundeswettbewerb den zweiten Platz
Das hellbraune Leder liegt auf dünnem schwarzen Schaumstoff. Schräg über das Leder verlaufen dünne weiße Linien. Autosattler Oliver Jürs setzt mit einer Maschine entlang der Linie eine Ziernaht. Die Teile sind für einen Mercedes G-Klasse bestimmt, einen fabrikneuen Geländewagen. Aber der ausländische Besitzer hat andere Vorstellungen von der Gestaltung des Innenraums. Edler soll es werden. Wenn das Auto fertig ist, wird es zum Kunden in den Sudan verschifft. „Mit Leder lässt sich der gesamte Innenraum ausstatten, von den Sitzen über das Lenkrad und das Armaturenbrett bis zum Himmel“, sagt Jürs. Mit Nähmaschine und Nadel geht er so geschickt um, dass er Deutschlands zweitbester Autosattler ist, wie der Leistungswettbewerb des Deutschen Handwerks gezeigt hat.
Für sein Gesellenstück hatte Jürs 16 Stunden Zeit
Nach dem Abitur wollte der heute 25-Jährige erst einmal etwas Praktisches im technischen Bereich machen. „Von der Schule und dem theoretischen Lernen hatte ich genug. Ich wollte Triebwerksmechaniker bei der Lufthansa werden.“ Doch parallel zur Bewerbung bei der Airline machte er ein Praktikum in der Sattlerei Ekselenski in Wandsbek, seinem späteren Ausbildungsbetrieb. „Die ersten Erfahrungen waren sehr positiv, die handwerkliche Arbeit gefiel mir“, sagt Jürs. So entschied er sich für eine dreijährige Ausbildung in der Fachrichtung Fahrzeugsattlerei. Von der Lufthansa kam ohnehin eine Absage.
Interesse an Autos hatte er bereits. Schließlich repariert er an seinem Golf II, Baujahr 1986, fast alles selbst. Natürlich hat das Auto Ledersitze. „Etwas abgewetzt. Da müsste ich jetzt mal ran.“ Doch in den letzten Monaten hatte er dafür keine Zeit. Erst das Gesellenstück und dann der bundesweite Wettbewerb in Bremen. Dort musste er eine Motorradsitzbank mit Leder beziehen. Er entschied sich für ein dunkelblaues Leder, nur der Soziussitz ist mit weißem Leder abgesetzt. Besonders schwierig war es, den Keder, eine wulstige Randverstärkung, einzunähen. Außerdem musste ein Fenster in ein Cabrioverdeck eingenäht werden. Qualifiziert hatte sich Jürs für den Wettbewerb durch sein Gesellenstück. „Ich musste einen Beifahrersitz für einen Mercedes der E-Klasse neu beziehen. Die Herausforderung waren dabei die Pfeifen in der Rückenfront, ein Zierelement des Sitzes, das für Mercedes typisch ist“, sagt Jürs. Mit dieser Arbeit belegte er den ersten Platz beim Wettbewerb innerhalb Hamburgs. 16 Stunden hatte er für sein Gesellenstück Zeit.
Aus der Werkstatt von David Ekselenski sind schon einige ausgezeichnete Nachwuchshandwerker gekommen. „Nur leider bleiben sie nicht“, sagt Ekselenski. Sein vorletzter Bundessieger hat sich eine Auszeit genommen und ist jetzt in Neuseeland. „Wir haben noch einen Lehrling im dritten Lehrjahr, aber erst einmal keinen neuen mehr eingestellt. Wir wollen jetzt nicht größer werden.“ Der Handwerksbetrieb beschäftigt sieben Mitarbeiter. Es sei auch schwierig, gute Bewerber für die Ausbildung zu finden. Ekselenski hat Erfahrungen in alle Richtungen gemacht. Die einen entwickelten sich wie Jürs zu den Besten der Branche, andere verfehlten die Erwartungen des Chefs.
Doch die Geschäfte in der Branche, zu der in Hamburg nur rund zehn Betriebe zählen, laufen gut. „Das Auto hat in Hamburg nicht als Statussymbol verloren“, sagt Ekselenski. Zumindest nicht bei seinen Kunden. „Wir sind nicht auf einzelne Marken spezialisiert und profitieren deshalb von einer großen Nachfrage.“ In seiner Werkstatt steht so ein Smart neben einem Aston Martin. Der Handwerksbetrieb profitiert vom Trend zu Oldtimern, die in der Werkstatt aufgearbeitet werden. Außerdem übernimmt der Betrieb Garantiearbeiten für BMW, Mercedes und Porsche, wenn es um die Lederausstattung geht. Auch nagelneue Fahrzeuge kommen.
„Die Autohersteller haben nur eine begrenzte Auswahl an Lederarten. Manche Kunden haben andere Vorstellungen und lassen ihre Sitze neu beziehen“, sagt Ekselenski. Gefragt sind vor allem die Farben Braun und Schwarz. Je nach Qualität des Leders müssen für eine Komplettausstattung 15.000 bis 30.000 Euro investiert werden. Selbst die Lederausstattung eines Smart kostet noch rund 6500 Euro.
Jürs hat durch die Wettbewerbe viel Selbstvertrauen gewonnen. „Erst etwas Praktisches zu machen war die richtige Entscheidung“, sagt er. „Ich beziehe gern Lenkräder, weil das noch echte Handarbeit ist und viel Geschick erfordert.“ Sein wichtigstes Handwerkszeug dabei ist eine halbrund gebogene Nadel. So lässt sich einfacher und schneller wieder zurückstechen. „Mit der Hand zu nähen ist eine Herausforderung“, sagt Jürs. „Man braucht Kraft und Präzision.“
Doch sein Chef wird ihn wohl wieder verlieren. Zwar gefällt Jürs die Arbeit in der Autosattlerei, doch er hat noch andere Pläne. „Ich möchte gern Fahrzeugbau studieren und an der Entwicklung von Autos arbeiten.“ Maximal ein Jahr will er noch im Betrieb bleiben und dann wohl von der Werkstatt in den Hörsaal wechseln.