Hamburg/Brüssel. Billigflieger Ryanair wirft Tickets zum Schnäppchenpreis auf den Markt. Unser Autor hat die Verbindung nach Belgien getestet.

Der Preis hat Erstaunen in der Abendblatt-Redaktion hervorgerufen. Als Ryanair Anfang November seine Basis mit zwei stationierten Flugzeugen in Hamburg eröffnete, boten die Iren die neue Strecke nach Brüssel für 4,99 Euro pro Person an. Wie kann der Billigflieger so günstige Tickets auf den Markt werfen? Kommt man überhaupt an die Tickets heran? Welche Zusatzkosten fallen an? Was ist an Bord anders als bei anderen Fluglinien? Das Abendblatt machte den Test und flog an einem Tag nach Brüssel und zurück.

Buchung

Schnelligkeit ist gefragt, denke ich mir. Bei dem „Schnäppchenpreis“ muss man fix sein, um ein Ticket zu ergattern. Also ab ins Internet und auf der Homepage von Ryanair den Flug buchen. Die Buchungsplattform ist einfach. Abflugort Hamburg, Zielort Brüssel-Zaventem, Datum ausfüllen. „Los geht’s“ steht auf dem Button. Gedrückt. Mir werden zahlreiche Sonderbuchungsformen angeboten. Ich ignoriere sie. Gesamtkosten 9,98 Euro steht oben auf der nächsten Seite. Das passt. Die Buchungskette suggeriert mir, dass ich einen Sitzplatz aussuchen, ein Gepäckstück aufgeben, einen Mietwagen und schließlich ein Hotel wählen darf/muss. Möchte ich alles nicht. Was sind das für viele Angebote unten auf der Seite? Keine Zeit dafür, nicht das ein anderer das Ticket wegschnappt. „Fortfahren“ entscheide ich. Und schon wieder soll ich meinen Sitzplatz auswählen. Und daran denken, dass ich sonst möglicherweise in der Mitte sitzen muss und mein Platz nach dem Zufallsprinzip vergeben wird. Na gut, ich schaue es mir mal an. Sechs Euro werden in jedem Fall fällig. Selbst für einen Platz ohne Fenster. Damit man schlafen könne, preisen die Iren den Platz an. Extra-Beinfreiheit kostet 15 Euro. Verlockend, aber ich lehne ab.

Als Nächstes muss ich meine persönlichen Daten eingeben und die Zahlungsart wählen. Kreditkarte – nun bin ich auf die Zusatzkosten gespannt! Sie kommen tatsächlich. 20 Cent. Ich hatte mit mehr gerechnet. Umgehend habe ich die Rechnung als E-Mail. Für 10,18 Euro geht es nach Brüssel und zurück. Drei Tage später bekomme ich per Mail eine Aufforderung, meinen Sitzplatz auszuwählen. Aber das Thema ist durch.

Check-in

48 Stunden vor dem Abflug werde ich per Mail zum Check-in aufgefordert. „Wichtige Erinnerung – vermeiden Sie die Check-in-Gebühren am Flughafen von €45/£45.“ Aber gern doch! Ein Klick auf „Jetzt Einchecken“ in der Mail, und es geht los. Wieder kann ich gegen Gebühr meinen Sitzplatz auswählen. Nein danke. Soll ein Gepäckstück aufgegeben werden? Es gibt gerade Rabatt. Für einen 15-Kilo-Koffer müsste ich auf Hin- und Rückflug nur 25,60 statt 32 Euro zahlen. Nein, für einen Tag ist das unnötig. Beim Runterscrollen gibt es zahlreiche, weitere Angebote. Ich nehme mir nun die Zeit, mir sie in Ruhe anzusehen.

Ein Ford Ka wird mir für 78,96 Euro offeriert. Auch Hotelzimmer lassen sich buchen. Wenn ich als einer der Ersten an Bord gehen möchte, kostet mich das fünf Euro pro Flug. Ich könnte eine Versicherung abschließen. Die Police deckt medizinische Ausgaben bis zu 150.000 Euro, persönlichen Besitz bis zu 1500 Euro, die Stornierung aufgrund von unerwarteten Umständen bis zu 500 Euro und die Ticket-Rückerstattung ab. 16,99 Euro kostet das. Für 40 Euro kann ich einen Tagesparkplatz in Hamburg buchen. Positiv überrascht bin ich, dass von Kinderwagen, -bett und Autositz zwei Stücke gratis mitgenommen werden dürfen. Ab dem dritten Stück fürs Kind kostet dies zehn Euro pro Strecke. Golfschläger, Fahrrad oder Skateboard kosten extra. Das Rad schlägt mit 60 Euro pro Flug zu Buche. Ich verzichte auf die Extras und checke einfach nur ein.

„Mit welchem Ausweis wird Wolfgang Horch verreisen?“, werde ich gefragt und gebe meine persönlichen Daten ein. „EWR-Personalausweis“ und „Pass“ stehen zur Auswahl. Im zweiten Schritt werde ich nochmals gefragt, ob ich einen Sitzplatz für acht Euro auswählen möchte. Ich nehme den „zufällig zugewiesenen Sitzplatz“. Kostenfrei. Unter Extras beim Check-in werde ich erneut gefragt, ob ich „eine weitere Tasche mitnehmen“ möchte. Nein. Ich könnte einen schnelleren Weg durch die Kontrolle bekommen. Aber auch die vier Euro spare ich. Alle Angebote abgelehnt.

Wer mit elektronischem Ticket fliegen möchte, muss die Ryanair-App herunterladen. Das möchte ich nicht. Also drucke ich die Bordkarten aus. Ich sitze auf 26B und werde aufgefordert, die hintere Treppe beim Einsteigen zu nutzen.

Hinflug

Der Reisetag ist gekommen. Ich fahre mit dem Taxi aus Hamburgs Norden zum Flughafen. Nach knapp 20 Minuten Fahrzeit zahle ich 26 Euro. Ich muss zum Gate A36, also hinter der Sicherheitskontrolle nach links, fast bis zum Ende von Terminal 2. Um 6.15 Uhr geht es die Treppe herunter und zum Bus. Eine Rundfahrt über den Flughafen folgt. Die Ryanair-Boeing steht fast in Groß-Borstel. Ich steige wie gewünscht hinten ein. Reihe 26 links ist mit mir komplett belegt. Ich bitte den Steward, mich in die gegenüberliegende Reihe setzen zu dürfen. Natürlich auf Englisch, der Bordsprache. Er nickt. Der Flieger ist vielleicht zur Hälfte gefüllt. Jetzt sitze ich am Fenster und habe eine Reihe für mich allein. Das ist auch gut so, denn der Sitzabstand ist für mich mit meinen knapp zwei Metern – wie bei anderen Airlines auch – eng. Aber ich hätte ja einen Sitzplatz reservieren können ...

Um 6.52 Uhr rollt der Flieger los. Er startet damit zwei Minuten nach der Zeit, denn der Push-back gilt als eigentlicher Start. Elf Minuten später hebt der Jet ab. In Sekundenschnelle verschwinden die Lichter Hamburgs im Wolken-Nebel-Mix. Zeit, sich an Bord umzuschauen. Die Kabine erinnert an den Charme einer Küche aus den 70er-/80er-Jahren. Grelles Gelb der Handgepäckfächer und hinteren Kopfstützen paart sich mit unaufgeregtem Blau der Stühle. Irgendwie hat es etwas von S-Bahn-Fahren. Könnte auch daran liegen, dass meine Sitznachbarn offenbar am Morgen keine Lust auf eine Dusche hatten. Mit Verlaub, es riecht ein wenig. Die Flugbegleiter verkaufen Snacks und Getränke. Ich greife zum Kaffee. Drei Euro. Die Milch wird in kleinen Aufreißtütchen gereicht, wie man sie von Ketchup und Senf kennt. Bloß ist Milch halt flüssiger. Prompt klecker ich. Zum Glück habe ich vom Kauf eines Baguettes am Flughafen – 3,15 Euro für eine Käse-Salami-Variante – eine Serviette. Malheur beseitigt.

Kurz darauf kommen die Stewards erneut. Es gibt Rubbellose zu kaufen. Ein Stück zwei Euro. Zu gewinnen gibt es eine Million Euro oder ein „brandneues Auto“. Der Erlös sei für einen guten Zweck. Ich trinke einen Schluck Kaffee. Geschmack: geht so. Ich wundere mich über das Sieb an der Trinköffnung, mache den Deckel auf und sehe dicken Kaffeesatz. Immer wieder kommen Stewards und sammeln Müll ein. Mal mit Wagen, mal mit Tüte. Der Sinkflug beginnt. Um 8.05 Uhr landen wir in Brüssel. Fünf Minuten früher als geplant. Eine Fanfare ertönt. Ryanair feiert sich selbst. „Mehr als 90 Prozent aller Flüge sind im vergangenen Jahr pünktlich gewesen“, so eine Stimme vom Band.

Hinter der Jettür empfängt mich Wind und Regen. Das Aussteigen erfolgt über WiWo(Walk-in-Walk-out)-Gates. Heißt: Zu Fuß geht es zum Terminal. Rund drei Minuten laufen wir auf grün markierten Wegen zum Gebäude. Die WiWo-Gates sollen die Standzeit am Boden für die Maschine verkürzen, weil die Passagiere – im Gegensatz zu den Fingern – vorn und hinten aus- und einsteigen. Auch in Hamburg gibt es nun solche Gates. Immerhin: In Zaventem ist ein Teil der Strecke überdacht.

Brüssel

An der Flughafen-Info hole ich mir einen Stadtplan und frage, wie ich am besten in die Innenstadt komme. Mir wird der Zug empfohlen. Das Ticket ist teurer als der Flug. 8,60 Euro kostet die einfache Fahrt. Und dann kommt der IC auch noch mit acht Minuten Verspätung. „Es gibt technische Probleme im niederländischen Netz“, heißt es aus dem Lautsprecher. Warum die sich noch kurz vor dem Brüsseler Flughafen auswirken, verstehe ich nicht. So klein ist Belgien nun auch wieder nicht. Die Verspätung summiert sich. Schließlich kommt der Zug 17 Minuten nach Plan in Zaventem an. Um 9.30 Uhr bin ich in der City.

Autor Wolfgang Horch vor dem Europäischen Parlament
Autor Wolfgang Horch vor dem Europäischen Parlament © Wolfgang Horch | Wolfgang Horch

13 Grad Celsius. Es regnet. Der Wind pfeift mit heftigen Böen um die Häuser. Es gibt besseres Wetter für Städtereisen. Aber nun bin ich halt da, da will ich auch etwas sehen von Europas politischem Machtzentrum. Es geht zur Kathedrale, dem Grand Place mit dem Rathaus und zur Börse. Militärfahrzeuge und mobile Stacheldrahtabsperrungen sind zu sehen. Wohl noch eine Folge der Terroranschläge im März. Bei Manneken Pis esse ich eine typisch belgische Waffel mit Schokolade. Vorbei an den hübschen, exklusiven Taschen-, Handschuh- und Schokoladenlädchen in den überdachten Galeries Saint-Hubert. Durch den Stadtpark zum Europäischen Parlament und zurück in die City. Pommes essen, Macarons und Schokolade kaufen – und um 14.30 Uhr zurück in Richtung Airport.

Rückflug

Überraschung am Bahnhof nach 25 Minuten Zugfahrt. Ich komme vom Gleis die Treppe hoch und muss sofort durch die erste von zwei Sicherheitskontrollen. Ansonsten problemloses Boarden. Eine Handvoll Leute nutzt die Priority-Lane für bevorzugtes Einsteigen. Wieder geht es über die WiWo-Gates zum Flugzeug – ohne Regen, dafür mit rosa Wölkchen. Pünktlicher Push-back. Um 17.37 Uhr hebt die Boeing ab. Brüssel wird zum immer kleiner werdenden Lichtermeer. Das vom Hinflug bekannte Programm folgt. Immerhin: Dieses Mal scheinen meine Sitznachbarn Wert auf Hygiene gelegt zu haben ... Um 18.35 Uhr landen wir. Fünf Minuten früher als geplant. Die Fanfare ertönt. Meine Familie holt mich ab. Das kostet auch nichts.

Geschäftsmodell

Zeit, sich mit Hintergründigem zu beschäftigen. Wie kann Ryanair diesen Preis anbieten? „Für 4,99 Euro pro Passagier kann natürlich auch Ryanair nicht kostendeckend fliegen“, sagt der Hamburger Luftfahrtexperte Cord Schellenberg. Aber warum machen sie es dann? In der Boeing 737-800 der Iren sind standardmäßig 189 Sitze. „Zehn, 20 oder auch 30 Plätze können für diesen Preis angeboten werden, um die neue Strecke zu bewerben“, sagt Schellenberg. Damit wird auch gleich das Potenzial der Verbindung getestet. „Ryanair will mit dem Angebot Aufmerksamkeit schaffen und einen Teil der klassischen Werbung ersetzen.“ Der reine Ticketpreis ist für die Billigfluglinie nicht entscheidend. Durchschnittlich 46 Euro erlösen die Iren pro Passagier. Geld verdienen sie mit Zusatzleistungen: Kaffee, Brötchen, der aufgegebene Koffer, der Wunschsitzplatz – und die Provisionen. „Sie machen viel Geschäft über ihre Webseite“, sagt Schellenberg. Etwa jeder fünfte Euro stamme aus Provisionen für die Buchung eines Autos oder Hotels über Ryanairs Homepage.

Zum anderen agiert Ryanair auf der Kostenseite extrem sparsam. Geflogen wird nur die 737. Die Piloten sind dank der Einheitsflotte auf jedem Jet einsatzbereit, die Techniker können jede Maschine warten. Als Großabnehmer mit mehr als 350 eingesetzten und 315 bestellten Fliegern bekommen die Iren beim US-Hersteller Boeing kräftige Rabatte beim Kauf. Den Listenpreis von 96 Millionen Dollar zahlen sie bei Weitem nicht. Wie ein Autovermieter verkaufen sie die Flugzeuge im Alter von wenigen Jahren weiter. Damit erzielen sie attraktive Preise am Gebrauchtmarkt und halten die Wartungskosten gering, weil große und zeitaufwendige Checks nicht anfallen. Harsche Kritik kommt von Gewerkschaftern. Bei der Airline gebe es die „prekärsten Arbeitsbedingungen in ganz Europa“, sagt Alexander Behrens, Vorstandsvorsitzender der Unabhängigen Flugbegleiter Organisation (UFO). „Ein in Deutschland lebender und arbeitender Ryanair-Flugbegleiter in Vollzeitanstellung erhält ein Bruttojahresgehalt zwischen 11.000 und maximal 18.000 Euro. Das ist unterhalb des deutschen Mindestlohns.“ Sicherheitsmängel kann man der Airline aber nicht vorwerfen. Statistisch gesehen ist sie sicherer als die Lufthansa. In 31 Jahren hatte sie (im Gegensatz zu den Deutschen) noch keinen Unfall.

Fazit

Rein aus Passagiersicht ist das Angebot verlockend. Für Verkehrsmittel habe ich 53,38 Euro ausgegeben. Ohne Taxi/Privattransfer und dafür mit HVV wären es 33,78 Euro gewesen. Insgesamt habe ich weniger als 100 Euro bezahlt. Übrigens hätte ich mir beim Buchen Zeit lassen können: Selbst einen Tag vor dem Abflug waren noch Tickets für 4,99 Euro erhältlich. Und auch für die nächsten Tage gibt es weiterhin Flüge für den Preis.