Hamburg. Aktienhändler erwarten Synergieeffekte. Regionale Wertpapierhandelsplätze haben gegenüber Frankfurt an Boden verloren
Die beiden größten europäischen Wertpapierhandelsplätze – die Deutsche Börse in Frankfurt und die London Stock Exchange – schließen sich zusammen. Und auch in die Szene der sehr viel kleineren deutschen Regionalbörsen kommt Bewegung: Die Böag Börsen AG, Betreiber der Hanseatischen Wertpapierbörse Hamburg und der Niedersächsischen Börse zu Hannover, steht vor der Übernahme der Börse Düsseldorf.
„Es finden Gespräche zwischen der Böag und der Börse Düsseldorf statt, in denen die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit oder eines Zusammengehens geprüft werden“, sagte Böag-Vorstand Hendrik Janssen dem Abendblatt.
Zwar gibt es nach Informationen dieser Zeitung noch keine Beschlüsse der zuständigen Gremien. Man sei sich aber „weitestgehend einig“ über den Zusammenschluss, heißt es. Schon Ende der kommenden Woche könnte eine Absichtserklärung unterzeichnet werden. Als Aufsichtsratsvorsitzender der Böag ist auch Hamburgs Börsenpräsident Friedhelm Steinberg in die Gespräche eingebunden.
Der Vorstandsvorsitzende der Börse Düsseldorf, Dirk Elberskirch, will die künftige Zusammenarbeit jedoch nicht als Übernahme verstanden wissen. Der Handelsplatz Düsseldorf bleibe bei einem möglichen Zusammengehen der Betreiber auf jeden Fall erhalten.
Den beteiligten Börsen geht es wohl nicht zuletzt darum, Synergieeffekte zu heben. Dies dürfte vor allem Auswirkungen auf die Mitarbeiterzahl in Düsseldorf haben, die gemessen an dem – in den zurückliegenden Jahren kräftig geschrumpften – Handelsvolumen als relativ hoch gilt.
Ansätze für eine verstärkte Kooperation gebe es dem Vernehmen nach unter anderem im Hinblick auf die Handelsüberwachungsstellen. Die Börsen Hamburg und Hannover dürften darüber hinaus an Quotrix, dem von den Düsseldorfern entwickelten elektronischen Handelssystem, interessiert sein. Es ist wiederholt von Banken als das günstigste und beste für ihre Kunden ausgewählt worden.
Außerdem bietet Quotrix die längsten Handelszeiten aller deutschen Börsen – von 8 bis 23 Uhr – und damit die Möglichkeit, auch nach Handelsschluss der US-Märkte noch zu reagieren. Derzeit können nach Angaben der Börse Düsseldorf mehr als 7000 Wertpapiere einschließlich der wichtigsten internationalen Aktien über dieses System gehandelt werden.
Seit der Schließung der Bremer Börse im Jahr 2007 gibt es in Deutschland noch sechs Regionalbörsen – in Stuttgart, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Berlin und München – sowie seit 2010 das elektronische Handelssystem Tradegate Exchange, das ebenfalls als Wertpapierbörse zugelassen ist. Eine derartige Vielfalt ist in Europa zwar einzigartig, was aber gerade den privaten Anlegern über günstige Konditionen zugutekommt. Im Aktienhandel allerdings haben die regionalen Handelsplätze über die zurückliegenden Jahrzehnte stark an Boden verloren.
Mittlerweile entfallen mehr als 90 Prozent des börslichen Wertpapierhandels auf die Deutsche Börse. Während die Frankfurter das Geschäft mit institutionellen Investoren wie Banken und Versicherungen dominieren, haben die Regionalbörsen zum Teil durchaus erfolgreich Nischenstrategien entwickelt, die in erster Linie auf Privatanleger ausgerichtet sind.
Unter den Regionalbörsen rangiert der Handelsplatz in Stuttgart auf Platz eins. Im Geschäft mit Unternehmensanleihen ist Stuttgart nach eigenen Angaben Marktführer in Deutschland, bei den Zertifikaten sogar europäischer Marktführer. Gemessen am gesamten Handelsumsatz folgt Tradegate an zweiter Stelle vor der Böag mit den Handelsplätzen Hamburg und Hannover.
Die Hanseatische Wertpapierbörse Hamburg, mit dem Gründungsjahr 1558 die älteste in Deutschland, hat sich mindestens ebenso stark wie ihre Wettbewerber über Innovationen profiliert. So war sie im Jahr 2002 der Pionier im Fondshandel. Aktuell finden sich rund 4200 offene Investmentfonds auf dem Kurszettel. Außerdem sind etwa 5200 geschlossene Fonds an der „Fondsbörse Deutschland“ gelistet. Seit Februar 2015 können Inhaber von Sparbriefen vor Ablauf der Vertragsfrist aus dem Produkt aussteigen und ihre Sparbriefe über eine Online-Plattform zum Kauf anbieten.
Eigenen Angaben zufolge beschäftigt die Böag rund 20 Personen, davon etwa zwei Drittel in Hamburg. Die Börse Düsseldorf mit aktuell 14 Mitarbeitern hat – wie auch andere deutsche Wertpapierhandelsplätze – im vergangenen Jahr stark unter dem Rückgang der Umsätze im Anleihenhandel, bedingt durch die Niedrigzinsen, gelitten. Anders als für die Vorjahre haben die Düsseldorfer für 2015 keine Umsatzdaten mehr veröffentlicht.
Äußerst unglücklich entwickelte sich der Ende 2010 gestartete „Mittelstandsmarkt“ für kleinere und mittelgroße Unternehmen, die über Anleihen dort Eigen- oder Fremdkapital aufnehmen konnten. Schon bald gerieten mehrere der Firmen in Schwierigkeiten, was die Anleger verschreckte.
Zudem litt die Börse Düsseldorf unter dem Bedeutungsverlust des dortigen Finanzplatzes. Denn die Finanzkrise hatte drastische Auswirkungen auf die Hauptstadt Nordrhein-Westfalens: Die Mittelstandsbank IKB geriet in eine existenzbedrohende Schieflage. Und die WestLB, einst die größte Landesbank Deutschlands, existiert in dieser Form seit 2012 nicht mehr.