Serie Teil 12: Was wurde aus den Gewinnern des Gründerpreises? Dirk Lehmann hat aus Becker Marine Systems ein Unternehmen von Weltruhm gemacht. Auf die Behörden der Hansestadt ist er derzeit nicht gut zu sprechen.

Den nächsten Lastkahn zur Versorgung von Schiffen mit Strom aus verflüssigtem Erdgas wird er bestimmt nicht für einen deutschen Hafen konzipieren. Dirk Lehmann fallen zur aktuellen Posse um seine schwimmende Strom-Tankstelle nur ironische Bemerkungen ein. „Wenn sich landerfahrene Beamte in Hamburg mit Seefahrt befassen, dann führt das zu einem Genehmigungsprozess, wie es ihn in keinem anderen Land dieser Erde gibt“ ist so ein Satz des Chefs von Becker Marine Systems. Oder der Vorwurf: „Hamburg ist alles andere als innovationsfreundlich.“

Ärger mit den Hamburger Behörden

Falsches Thema zum Einstieg, denkt die Besucherin. Eigentlich war das Ziel, herauszufinden, wie es Becker Marine Systems, dem Weltmarktführer für Schiffsruder, seit der Ehrung zum „Aufsteiger des Jahres 2009“ ergangen ist.

In Rage gebracht hat Lehmann, ein Mann von beeindruckender Statur, die Frage nach seiner Barge „Hummel“. Die liegt in einem Becken in der HafenCity und soll Kreuzfahrtschiffe während ihrer Liegezeiten mit Landstrom versorgen. Das täte der Umwelt gut. Denn für gewöhnlich laufen die Dieselmotoren der Urlauberschiffe auch im Hafen weiter – und stoßen reichlich Feinstaub und Stickoxide aus. Ruß aus Schiffsschloten gilt als ebenso krebserregend wie Asbest, weshalb die weltweit boomende Branche der Kreuzfahrtschiffe ein erhebliches Imageproblem hat. Stichwort: Dreckschleudern.

Doch das 10 Millionen Euro teure Projekt von Becker Marine Systems, vom Bund und der EU mit 7,2 Millionen Euro unterstützt, ist wirtschaftlich ein Desaster. Weil Hamburger Behörden für die Nutzung der Barge die Auflagen verschärft haben, kommt das Minikraftwerk seit seinem Start im vergangenen Jahr nur selten zum Einsatz. „Das rechnet sich weder für unseren Partner Aida noch für uns“, sagt der Geschäftsführer.

Wie jetzt die Kurve kriegen zum netten Geplauder? Doch Dirk Lehmann (52), von Beruf und Passion Schiffsmaschinenbau- und Schiffbau-Ingenieur, ist ein Gemütsmensch, und nach einer Tasse Kaffee ist die Stimmung sehr entspannt. „Wollen Sie auch meine Frau kennenlernen?“, fragt er. Birgit Lehmann ist seit 2002 Finanzchefin im eigentümergeführten Familienbetrieb Becker Marine Systems. Außer Lehmann und Co-Geschäftsführer Henning Kuhlmann sind zwei weitere Partner beteiligt. Die beeindruckenden Eckdaten: Weit über 100 Millionen Euro Umsatz, 250 Mitarbeiter weltweit, Filialen in Texas und in Japan. Der 2014 fertiggestellte Hauptsitz an der Blohmstraße in Harburg hat die Form eines am Kai liegenden Schiffes und etwa 12 Millionen Euro gekostet.

Einsatz beim größten Erntefest im Norden

„Ich habe aber auch unsere drei Kinder umsorgt“, betont Birgit Lehmann beim Kurzbesuch im Großraumbüro, das sie mit anderen Mitarbeitern teilt. Eine der Zwillingstöchter studiert an der Technischen Universität Harburg Schiffbau, die andere ist eher kaufmännisch geprägt, der Sohn geht noch zur Schule.

Zu Hause, auf einem Resthof in Scharmbeck (Landkreis Harburg), ist die Familie derzeit ohnehin mit anderen Dingen beschäftigt. Für das größte Erntefest Norddeutschlands Anfang September bastelt Vereinschef Lehmann seit Juli persönlich mit an den Motivwagen für den Umzug. „Das ist für mich Entspannung pur.“

Ursprünglich wollte er als Technischer Offizier im Range eines Hauptmanns nach dem Studium bei der Bundeswehr bleiben. Doch dann kam der Zusammenbruch des Ostblocks, die Wiedervereinigung. Der Frieden in Europa schien gesichert. „Ich war Soldat aus Überzeugung“, sagt er. „Zur Verteidigung unseres Landes brauchen wir die Bundeswehr. Damals dachte ich, jetzt ist es Zeit für einen anderen Weg“. Er ging in die Wirtschaft, arbeitete vier Jahre in Bremen und entwickelte dort erste Systeme für Schiffe. „Schon damals entstand der Wunsch, selbstständig zu sein“, erinnert er sich.

Privat fährt er einen DeLorean DMC-12

2001 erzählte ihm ein Freund, dass das Willi Becker Ingenieurbüro einen neuen Chef sucht. Der Freund war Alexander Nürnberg, Chef des Maschinenbauers Hatlapa. Gemeinsam übernahmen die beiden die für das von ihr entwickelte Flossenruder weltweit berühmte Firma. Inzwischen hat Hatlapa seine Anteile verkauft. Mehrheitseigner Lehmann hat nach der Umbenennung in Becker Marine Systems das mittelständische Unternehmen zum internationalen Player für Schiffsausrüstung weiterentwickelt.

Bau und Verkauf der Manövriertechnik machen etwa 45 Prozent des Umsatzes aus. 55 Prozent entfallen auf die Vermarktung von energiesparenden und alternativen Antriebssysteme. Tendenz steigend. Dazu gehört auch die Entwicklung von Elektroautos, dafür hat Lehmann mit einem Freund bereits eine Firma gegründet.

Privat fährt der Oldtimer- und Traktorensammler einen selbst auf Elektroantrieb umgerüsteten DeLorean DMC-12, jenes futuristische Flügeltürenauto, das durch die Film-Trilogie „Zurück in die Zukunft“ weltberühmt wurde. „150 Kilometer Strecke schafft er mit einer Stromladung, wenn ich schnell sein möchte, 220 Stundenkilometer“, sagt Lehmann.

In diesem Sommer hat er sich eine ungewöhnliche Auszeit genommen. Sieben Wochen war er mit Freund und Geschäftspartner Jörg Haase, Leiter der Tochterfirma in Shanghai, sowie chinesischen Kollegen 17.000 Kilometer unterwegs, um ein Geschäftsauto von China über Kirgisistan, Usbekistan und Russland nach Deutschland zu überführen. „Eine verrückte Idee, die wir schon 2008 hatten“, sagt Lehmann. Als er zurückkam, war firmenintern alles zu seiner Zufriedenheit weitergegangen – und Familie, Mitarbeiter und Freunde reagierten erleichtert. Der Chef war entspannt wie lange nicht. „Ich habe wohl kurz vor einem Burn-out gestanden“, sagt Dirk Lehmann. „Dass ich so heiß gelaufen war, habe ich gar nicht bemerkt.“ Seine Erkenntnis nach der Reise: „Jeder ist ersetzbar. Man muss es nur gut organisieren.“