Hamburg. Risse, Löcher, fadenscheiniger Stoff – fast jede zehnte Denimhose wird im „destroyed Look“ verkauft.

Für die einen ist es Ausdruck eines Lebensgefühls. Andere wundern sich, warum viele Textilhändler neue Jeans mit Löchern und Rissen verkaufen. Und das zu höheren Preisen als eine heile Hose. Fakt ist: Vor allem junge und modebewusste Menschen kaufen und tragen oft Kleidung, die gebraucht, kaputt, mutwillig zerstört aussieht. „Destroyed Jeans“ oder „Ripped Jeans“, wie die Modelle im Fachjargon genannt werden, sind bei Modeketten genauso zu haben wie in schicken Boutiquen – zu Preisen zwischen 20 und 400 Euro. „Der Trend feiert ein Comeback“, sagt Susanne Schreiner von der norddeutschen Modekette New Yorker.

Kaum ein Kleidungsstück ist so beliebt wie Jeans. Im vergangenen Jahr lagen nach Angaben des Statistischen Bundesamts in Deutschland knapp 200 Millionen Paar neue Jeans im Wert von mehr als 1,2 Milliarden Euro in den Läden. Jeder Deutsche besitzt durchschnittlich acht Paar Jeans, ergab eine bundesweite Umfrage des Online-Shoppingclubs vente-privee.com unter 1000 Männern und Frauen zwischen 16 und 65 Jahren im vergangenen Jahr. Laut einer anderen Erhebung kauft fast die Hälfte aller Frauen zwei- bis dreimal im Jahr eine neue Jeans. Ein Viertel sogar noch häufiger.

In dieser Saison sind Schnitte über dem Knie sehr angesagt

Immer wieder kreieren die Modedesigner neue Variationen der einstigen Goldgräberhose, die Levi Strauss 1873 in San Francisco erfunden hatte. Der sogenannte used Look ist seit den 80er-Jahren angesagt. Eine Umfrage des Hamburger Abendblatts bei verschiedenen Anbietern ergab, dass zwischen fünf und zehn Prozent der verkauften Jeans im „destroyed Stil“ sind. In diesem Jahr sind vor allem tiefe Schnitte im Bereich der Knie (Cut off) angesagt, Löcher, die mit andersfarbigen Stoffen hinterlegt sind, auch nicht umgenähte Säume an den Hosenbeinen sind ein großes Thema.

„Der used Look steckt quasi in der Jeans drin, die ja ursprünglich eine reine Arbeitshose war“, sagt Peter Erich Seebacher, Professor für Modedesign an der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) im Design Department an der Armgart­straße. Aber erst seit den 70er-Jahren seien die Stoffe chemisch und mechanisch behandelt worden, um sie gezielt gebraucht aussehen zu lassen. Im zu dieser Zeit ebenfalls aufkommenden Punk war ein „destroyed Look“ geradezu Pflicht, natürlich auch mit abgewetzten oder selbst zerstörten Jeans.

Und in den frühen 80er-Jahren waren es internationale Musikstars wie George Michael von der Popband Wham! („Last Christmas“) oder Madonna („Like A Virgin“) die Ersten, die mit zerlöcherten Jeans auftraten, so Designprofessor Seebacher. Schnell wurde kaputte Kleidung zum Modephänomen. Inzwischen ist vom Empörungspotenzial, für das der Trend einst gesorgt hatte, nichts mehr zu spüren. „Es ist eine Dekorationstechnik und eigentlich eine Aufwertung“, sagt der Modeexperte.

Auch auf  Schlagerbühnen ist der „destroyed Look“ angekommen: Sängerin Vanessa Mai bei einem Auftritt in Aspach (Baden-Württemberg)
Auch auf Schlagerbühnen ist der „destroyed Look“ angekommen: Sängerin Vanessa Mai bei einem Auftritt in Aspach (Baden-Württemberg) © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Wolfram Kastl

Tatsächlich ist bei der Herstellung mindestens ein zusätzlicher Arbeitsschritt in der Fabrik nötig, um aus einer ursprünglich heilen eine gebraucht aussehende oder gar durch­löcherte Jeans zu machen. Die Techniken sind ausgefeilt. Drahtbürsten sind im Einsatz genau wie Steine und Messer. „Jeans im destroyed Look herzustellen benötigt, anders, als viele denken, sehr viel technisches Wissen und viel Zeit. Die Farben werden von Experten in Laboren entwickelt, und auch der perfekte Sitz erfordert viel Erfahrung. Oft werden die Löcher und Risse händisch getätigt“, sagt Florian Braun, Geschäftsführer des Hamburger Modehauses Unger Fashion. Im Designer­bereich, wo der Fetz-Look seinen Ursprung hat, sind die Modelle entsprechend teuer. Im Unger Konzeptstore UZwei in der Kaiserpassage etwa liegt die Preisspanne für die gezielt zerlöcherten Jeans von Marken wie R13, Frame Denim oder Acne Studios zwischen 250 und 380 Euro.

Auch beim Hamburger Onlinehändler Otto sind „destroyed Jeans“ seit Jahren im Angebot, aber deutlich günstiger. „Der Look ist normal geworden“, sagt Matthias Terveer, der für den Einkauf im Bereich Damenober­bekleidung verantwortlich ist. Im Schnitt, so Terveer, seien diese Modelle aufgrund der hochwertigen und aufwendigen Produktion etwa zehn Euro teurer als die ohne Gebrauchsspuren. Sie eigneten sich vor allem als modischer Kontrast zu edlen Sakkos, Blusen und High Heels oder Boots. Bei der Modekette New Yorker kosten die Hosen zwischen 19,95 und 39,95 Euro.

Es geht noch günstiger: Hier gibt es Anleitungen, wie man einer heilen Jeans selbst den „destroyed Look“ geben kann.

So machen Sie „destroyed Jeans“ selbst