Hamburg. Der 26-jährige Marc tritt erstmals vor Aktionären als Marketingvorstand auf. Er will in Italien 20 Filialen eröffnen
Noch vor dem offiziellen Beginn erlebten am Donnerstag einige Besucher der Fielmann-Hauptversammlung einen der bewegendsten Momente des Tages: Bevor Marc Fielmann auf das Podium tritt, um vor Hunderten Aktionären seinen ersten Auftritt als Marketingvorstand zu bestehen, umarmt seine Schwester den hochgewachsenen 26-Jährigen noch einmal herzlich und wünscht ihm viel Glück. Sophie Fielmann, in lachsfarbenem Kleid und auf eleganten High Heels, bietet dabei in der Vertrautheit mit ihrem Bruder nicht nur optisch einen schönen Anblick. In einer Familie mit einem Vermögen von mehreren Hundert Millionen Euro, die einen Generationswechsel im Unternehmen bewältigen muss, ist ein so großes Einvernehmen längst keine Selbstverständlichkeit.
Tatsächlich fällt später auch noch häufiger der Name der Fielmann-Tochter. Etwa, als es um den erfolgreichen Start der Brillenkette in Italien geht. Die Aussicht, dass Sophie Fielmann nach ihrem Studium der Wirtschaftspsychologie dem Bruder auf dem Weg ins Unternehmen folgt, scheint damit wahrscheinlicher.
Vorstandschef Günther Fielmann, 76, hat den Aktionären indes erneut Erfreuliches mitzuteilen. Ertrag, Umsatz und Absatz entwickeln sich nach einer kleinen Delle im Frühjahr gut. Das Vorsteuerergebnis legte im zweiten Quartal um 15 Prozent auf 62 Millionen Euro zu, wieder feiert der Konzern mit Sitz in Barmbek Rekorde. Die Dividende steigt zum elften Mal in Folge, auf 1,75 Euro.
Den Anteilseignern bereitet die Aktie nicht nur wegen der Ausschüttungen, sondern auch wegen stetig steigender Kurse große Freude. Und wieder kommt das Gespräch auf den Nachwuchs, der schließlich auch die weitere Wertentwicklung des Kapitals verantworten soll. „Ich bin sehr beeindruckt, wie Sie sich hier in recht jungen Jahren vor den Aktionären präsentieren“, lobt Steffen Kraus von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) die Premiere von Marc Fielmann bei der Hauptversammlung, die wegen ihrer Größe erstmals im Mehr! Theater stattgefunden hat.
Der Start in Italien, den der Sohn des Gründers maßgeblich zu verantworten hatte, war so erfolgreich, dass dieser Markt jetzt zu den größten Hoffnungsträgern für Fielmann zählt. Der Konzern, dem in der Vergangenheit seine starke Konzentration auf den deutschen Markt angekreidet wurde, will in Norditalien mittelfristig 20 Niederlassungen betreiben. Das Argument für die Expansion: Heute kaufen die Italiener noch mehr als 70 Prozent aller Brillen beim traditionellen Augenoptiker. Ein günstigerer Anbieter wie Fielmann kann hier seine Chancen ausspielen, wie die Eröffnung der ersten Niederlassung kürzlich in Bozen zeigte: Menschenmassen, die zu Fielmann strömten, legten den Verkehr lahm, die Angestellten verkauften Hunderte Brillen allein am ersten Tag. Die nächsten Standorte sind in Mailand, Turin oder Verona geplant, zum Teil als sogenannte Supercenter mit geplanten Umsätzen von fünf Millionen Euro.
Wachstum im Verkauf von Hörgeräten geplant
Neben Italien zählt das Thema „besser Hören“ zu den Wachstumstreibern bei Fielmann. Mittelfristig wollen die Hamburger 250 Hörgeräteabteilungen betreiben. Interessant: Das Unternehmen Kind, das auf diesem Feld zu den größten Wettbewerbern gehört, bietet künftig auch Brillen an. „Wir beobachten diese Strategie sehr aufmerksam“, sagte Vertriebsvorstand Bastian Körber.
Marc Fielmann erteilte erneut dem baldigen Onlinehandel mit Brillen eine Absage. Bisher erzielten alle Versender zusammen einen Umsatzmarktanteil von gerade mal einem Prozent bei Korrektionsbrillen, rechnete er vor. Die Anpassung und Zentrierung seien im Internet nicht darzustellen. Gleichwohl investiere Fielmann wachsende Summen in Zukunftsthemen wie die Digitalisierung. So will der Anbieter künftig mit einem Brillenmodemagazin im Internet auf sich aufmerksam machen. Ab Herbst können Fielmann-Kunden zudem Kontaktlinsen online bestellen.
Nicht nur das Kerngeschäft bei Fielmann, sondern auch die Finanzen interessierten am Donnerstag die Aktionäre. „Wer die Bilanz von Fielmann sieht, bekommt traurige Augen“, witzelte Hans-Martin Buhlmann von der Vereinigung institutioneller Privatanleger (VIP), „da ist nichts mehr zu verbessern“. Luxusproblem sei höchstens, wohin mit dem vielen Geld. Allein 90 Millionen Euro sind bei Fielmann als kurzfristig verfügbar ausgewiesen. Finanzvorstand Alexander Zeiss berichtete auf Anfrage, dass Fielmann in der Schweiz bereits negative Zinsen zahle. Dort werfen wie in Deutschland zehnjährige Staatsanleihen negative Renditen ab. In den nächsten Tagen stünden Verhandlungen mit deutschen Banken an, auch hier sei dann die Zahlung von Zinsen für Guthaben nicht auszuschließen.
Im Kontrast zu den Sorgen um die Kapitalflut bei Fielmann stand gestern ein Bericht aus der Fabrik des Konzerns im brandenburgischen Rathenow, in der gut 1000 Mitarbeiter immer mehr Brillen für immer mehr Filialen fertigen müssen. Der hohe Druck führte dort zu einigen Ausfällen bei den Beschäftigten, die knapp über dem Mindestlohn verdienen. Die Praxis, die Krankschreibungen der Betroffenen mit Namen auszuhängen, sei nur nach Bedenken von Datenschützern beendet worden, hieß es auf der Hauptversammlung.