Hamburg. Die einst beliebteste Geldanlage der Deutschen wird zum Auslaufmodell. Die Renditen sinken kontinuierlich

Immer neuer Ärger mit der Lebensversicherung. Nachdem sich die Kunden seit Jahren mit einer sinkenden Verzinsung abfinden müssen, wird die beliebteste Altersvorsorge der Deutschen bei einigen Gesellschaften quasi abgeschafft. Neuverträge gibt es nicht mehr, und die Bestandsverträge werden nur noch abgewickelt. Mit dieser Ankündigung schockte der Versicherer Ergo jüngst seine Kunden. Experten erwarten, dass weitere Versicherer dem Beispiel folgen werden, denn das Geschäft mit Lebens- und Rentenversicherungen wird immer unattraktiver. Was kommt auf Kunden zu? Lohnt eine Kündigung des Vertrages. Welche Perspektive haben Lebensversicherungen noch? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen der Leser.

Warum stehen die Anbieter
so unter Druck?

Die Lebensversicherer sind mit ihren Produkten langfristige Zusagen eingegangen. Zum Beispiel die Sparbeiträge ihrer Kunden mit 3,25 oder 2,75 Prozent Zinsen zu vermehren. Diese Zusagen wurden für mehrere Jahrzehnte gemacht. Doch angesichts der niedrigen Zinsen für festverzinsliche Wertpapiere fällt es immer schwerer, das zu erfüllen. Die Rendite für eine zehnjährige Bundesanleihe liegt bei fast null Prozent. Um die Zusagen einzuhalten, müssen Jahr für Jahr Reserven gebildet werden. Dieses Geld fehlt dann für die laufende Verzinsung (Überschussbeteiligung) der Verträge. Gleichzeitig wird es immer komplizierter, die Kundengelder ertragreich anzulegen, denn über 80 Prozent der Anlagen stecken in festverzinslichen Wertpapieren.

Welche Auswirkungen hat
das für die Kunden?

Sie bekommen deutlich weniger Geld als ihnen beim Abschluss in Aussicht gestellt wurde. Ein Vertrag mit 30 Jahren Laufzeit, der jetzt fällig wird, bringt etwa 20 Prozent weniger im Vergleich zu einer Police, die schon vor zehn Jahren ausgezahlt wurde. In diesem Jahr liegt die Überschussbeteiligung der 40 größten Lebensversicherer noch bei 2,84 Prozent. Kunden, die einen höheren Garantiezins haben, müssen diesen aber bekommen.

Ist der Garantiezins sicher?

Bisher wurden die Verträge mit einem hohen Garantiezins von bis zu vier Prozent als sichere Bank betrachtet. „Nur wenn eine Notlage für alle Versicherten entsteht, kann auch der Garantiezins nachträglich gesenkt werden“, sagt der Hamburger Versicherungsberater Rüdiger Falken. „Die Hürden dafür sind aber sehr hoch, und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) muss dem zu­-stimmen.“ Dennoch gibt es inzwischen eine Versicherung in Hamburg, die den einst garantierten Garantiezins nachträglich absenkt. Die BaFin hat dem zugestimmt. So wird die Neue Leben Pensionskasse, die Betriebsrenten verwaltet, neue Beiträge ab 2017 nun nur noch mit einem Garantiezins von 1,25 Prozent verzinsen, obwohl der ursprüngliche Rechnungszins der Verträge zwischen 3,25 und 2,75 Prozent liegt. Betroffen sind Verträge, die im Zeitraum zwischen 2002 und 2005 abgeschlossen wurden.

Was kommt auf die Kunden mit
Ergo-Lebensversicherungen zu?

Da Lebens- und Rentenversicherungen mit Garantiezins im Neugeschäft nicht mehr vertrieben werden, muss nur noch der Altbestand verwaltet werden bis alle Verträge ausgelaufen sind. Insgesamt kommen rund 6,5 Millionen Verträge auf eine Abwicklungsplattform. Dort sind bereits eine Million Verträge der Ergo-Tochter Victoria, die das Neugeschäft bereits vor Jahren eingestellt hat. Der Kunde wird von diesen Veränderungen formal kaum etwas bemerken, dennoch sehen Verbraucherschützer Nachteile.

Worin bestehen diese Nachteile?

Die Experten gehen davon aus, dass die ohnehin unter dem Durchschnitt liegende Überschussbeteiligung der Ergo und Victoria weiter sinken wird. „Es gibt zwar gesetzliche Vorgaben, wie die Kunden an den Überschüssen beteiligt werden müssen“, sagt Axel Kleinlein. Vorstandsvorsitzender des Bundes der Versicherten. Aber die Versicherer hätten auch große Gestaltungsmöglichkeiten. „Ich fürchte, es läuft darauf hin­aus, dass die Kunden nur noch den Garantiezins bekommen“, sagt die Versicherungsexpertin der Verbraucherzentrale Hamburg, Kerstin Becker-Eiselen. Das Unternehmen spüre ja keinen Wettbewerbsdruck mehr, weil es kein Neugeschäft mehr gibt. Versicherungsberater Falken sieht vor allem in mangelnder Transparenz ein Problem. „Ich habe meine Zweifel, ob wirklich alle Vermögenswerte der Altverträge auf die Abwicklungseinheit übertragen werden.“ So könnten stille Reserven den Versicherten vorenthalten werden. „Bei einer Einstellung des Neugeschäfts müssen die Kunden keine Nachteile befürchten“, sagt dagegen Hasso Suliak vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Von den Kostenvorteilen einer effizienten Verwaltung des Bestandes könnten die Kunden profitieren.

Soll ich meine Lebensversicherung jetzt kündigen?

„Bei vor dem 1. Januar 2005 abgeschlossenen Policen rate ich meist von einer Kündigung ab“, sagt Falken. Die Auszahlungen aus Kapitallebensversicherungen sind noch komplett steuerfrei. „Auch wenn die Verträge mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung gekoppelt sind, sollte man daran nicht rühren“, sagt Falken. Das gelte auch für Verträge mit hohem Garantiezins.

Welche Möglichkeiten gibt es, eine
Lebensversicherung zu kündigen?

Eine Kündigung ist problemlos möglich. Allerdings drohen dabei Verluste. „Der Kunde muss lediglich mindestens knapp die Hälfte der eingezahlten Beiträge zurückbekommen“, sagt Becker-Eiselen. Bei einer bisherigen Laufzeit von zwölf bis 15 Jahren könne man allerdings mit deutlich mehr rechnen. Eine andere Möglichkeit ist die Rückabwicklung des Vertrages, wenn die Widerrufsbelehrung zum Beispiel nicht richtig war. Das betrifft Verträge, die zwischen 1994 und 2007 abgeschlossen wurden. „Trotz höchstrichterlicher Urteile blocken die Versicherer aber berechtigte Forderungen ab“, sagt die Verbraucherschützerin.