Hamburg. Bürgermeister Olaf Scholz eröffnet das 100 Millionen Euro teure Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung auf Finkenwerder

Graue Schaumstoffdreiecke ragen aus der 8,65 Meter hohen Wand und der Decke. Auf dem Boden steht ein ungewöhnlich aussehender Rumpfabschnitt eines Flugzeugs. Im Design eines Airbus A320 haben die Wissenschaftler von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften diesen Jetteil entwickelt. Die 22,70 Meter lange und zwölf Meter breite Halle ist eine der größten Akustikkammern Europas. „Hier testen Sie, wie laut Triebwerke sind?“, fragt Olaf Scholz bei seinem Rundgang durch das Zentrum für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL). Nein, korrigiert Brigitte Zypries den Bürgermeister. Das geschehe bei Triebwerksherstellern, sagt die SPD-Politikerin und Parlamentarische Staatssekretärin für die Deutsche Luft- und Raumfahrt. Und ZAL-Geschäftsführer Roland Gerhards ergänzt, dass die Lautstärke des Starts und im Flugverkehr im Innenraum bei den Passagieren getestet würden. „Das spart teure Versuche in der Luft.“

Einige Minuten zuvor hatte Scholz das Gebäude am Hein-Saß-Weg auf Finkenwerder feierlich eröffnet. „Gemeinsam forschen unter einem Dach – diese Idee war zu gut, um sie nicht umzusetzen“, sagte der Bürgermeister. Vor zwei Jahren gab es bei dem Bau Komplikationen. Nach massiven Problemen mit dem privaten Bauherren sprang die Stadt ein und finanzierte das 82,4 Millionen Euro teure Gebäude. Die Refinanzierung erfolgt nun langfristig über Mieteinnahmen. „Mit dem ZAL TechCenter gewinnt Hamburg bei Forschung und Entwicklung weit über die Luftfahrtbranche hinaus an internationalem Profil“, sagte Scholz und nannte die Einrichtung ein „großartiges Zukunftslabor für Flugzeuge“.

Ende dieses Jahres sollen im ZAL, das zusammen mit der Infrastruktur knapp 100 Millionen Euro gekostet hat, 600 Menschen arbeiten. Großunternehmen wie Airbus und Lufthansa Technik werden mit Zulieferern wie Diehl, vier Hochschulen und Institutionen wie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) auf 26.000 Quadratmetern Fläche gemeinsam forschen und Innovationen schneller zur Marktreife führen. Diese Kooperation von 25 Partnern und der Mix aus Hallen, Laboren und Büros seien einmalig, sagt Gerhards: „Wir werden Innovationen gemeinsam vorantreiben.“ Hamburg gilt mit 40.000 Fachkräften, dem Flugzeugbauer Airbus, dem Wartungsspezialisten Lufthansa Technik und dem Flughafen sowie rund 300 kleinen und mittleren Zulieferern als drittgrößter Standort der Branche weltweit.

Airbus plant einen Nachfolger für die A320-Familie im nächsten Jahrzehnt

Viele profitable Ideen wünscht sich Staatsministerin Zypries von der Forschungseinrichtung, die eine „vorbildliche Zukunftsinvestition“ sei: „Von ihr profitiert die Metropolregion Hamburg ebenso wie Deutschland als Luftfahrtstandort insgesamt.“ Der Bund unterstützt die Luftfahrtforschung jährlich mit 150 Millionen Euro. „Das Flugzeug der Zukunft wird zum großen Teil digital entwickelt, gebaut und gewartet“, so Zypries. Die technologischen Grundlagen für Flugzeuge für das Jahr 2030 müssten schon heute gelegt werden.

An die nächste Generation des Fluggeräts denkt auch Airbus schon. Deutschland-Chef Klaus Richter konkretisierte die Pläne für ein Nachfolgemodell der A320-Familie, die rund zur Hälfte in Hamburg gebaut wird. Der Kurz- und Mittelstreckenjet ist der Verkaufsschlager des Konzerns. Vor allem die mit neuen Triebwerken und nach oben gebogenen Flügelspitzen (Sharklets) ausgestattete und dadurch rund 15 Prozent spritsparende neue Neo-Variante ist bei Airlines derzeit außerordentlich beliebt. Mehr als 4500 Bestellungen für diesen Typ hat der Konzern in den Büchern. Mittelfristig müsse der Jet aber ersetzt werden, sagt Richter. Brancheninsider erwarten, dass US-Rivale Boeing den ersten Schritt machen und der Treiber im Markt sein wird. Der Grund: Die 737 als Pendant zum A320 ist von der Technik her älter als der Jet der Europäer. Sechs bis acht Jahre dauert im Normalfall die Entwicklung eines neuen Flugzeugs. In der zweiten Hälfte der Dekade 2020 könnte der Markteintritt des A320-Nachfolgers stattfinden, sagte Richter auf Abendblatt-Nachfrage.

Wahrscheinlich werden einige Teile des Fliegers sogar im ZAL konstruiert werden. Sechs Schwerpunkte gibt es dort. Erstens sollen zivile und sichere Nutzungsmöglichkeiten von Wasserstoff gefunden werden. Zweitens wird an Flugzeugkabinen geforscht, drittens an der Weiterentwicklung von Stromversorgungs- und Klimaanlagensystemen. Der vierte Schwerpunkt sind neue Fertigungstechnologien wie der 3-D-Druck und unter dem Schlagwort Industrie 4.0 laufende Automatisierungsverfahren wie der Einsatz von Robotern. Fünftens gibt es eine sechs mal 3,50 Meter große Bildscheibe, auf der Zeichnungen von Konstrukteuren virtuell in die Realität umgesetzt und veranschaulicht werden sollen.

Sechster und letzter Forschungsschwerpunkt ist das Akustiklabor – Bürgermeister Olaf Scholz hat die Funktionsweise des Raumes schnell verstanden. Die Schaumstoffdreiecke schlucken den Schall, damit das Ergebnis der Tests nicht verzerrt wird. „Also wenn man hier ein Konzert veranstalten würde, wäre es ganz schlecht“, sagte der Elbphilharmonie-erfahrene SPD-Politiker, schmunzelt und erhält ein zustimmendes Ja von Hausherr Gerhards und Staatsministerin Zypries.