Hamburg . Die Aktienkurse in Deutschland dürften in den kommenden Monaten weiter massiv schwanken. Experten empfehlen dividendenstarke Papiere.

Wer in den vergangenen Monaten damit liebäugelte, in ­Aktien zu investieren, wurde kalt erwischt. Fallende Kurse über viele Wochen hinweg haben das Interesse an der Börse massiv gedämpft. Allein seit Anfang des Jahres ist der Deutsche Aktienindex (DAX) in der Spitze um 1500 Punkte gefallen. Doch die Experten bleiben optimistisch. Es erfordere zwar etwas mehr Mut, jetzt in Aktien zu investieren, sagen sie. Dafür seien auf dem ermäßigten Kursniveau die Rendite-Chancen höher. Das Abendblatt sprach mit verschiedenen Fachleuten und beantwortet die wichtigsten Fragen der Anleger.

Was sind die Gründe
für die Kurseinbrüche gewesen?

Mit einer schlüssigen Erklärung tun sich die Experten schwer, denn an den Rahmenbedingungen hat sich in den ersten Wochen des Jahres nichts geändert. „Es droht keine Rezessionsgefahr, auch wenn manche das aus dem fallenden Ölpreis ableiten wollen“, sagt Torsten Johannsen von der Schröder Bank. Jochen Intelmann, Chefvolkswirt der Hamburger Sparkasse, sieht norwegische und arabische Staatsfonds auf der Verkäuferseite. „Sie haben jetzt Gewinne realisiert, um sinkende Einnahmen aus dem Ölgeschäft auszugleichen. Gleichzeitig boten sich die hohen Aktienkurse dafür an.“

War der starke prozentuale Rückgang am Aktienmarkt gerechtfertigt?

„Die Stimmung ist schlechter, als es die Fundamentaldaten derzeit nahelegen“, sagt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege der Deutschen Bank. „China dürfte auch in diesem Jahr ein Wachstum von mindestens sechs Prozent erreichen, Europa erholt sich, und die USA wachsen vergleichsweise stabil.“ Das spreche weiterhin für hohe Unternehmensgewinne, die maßgeblich die Aktienkursentwicklung beeinflussen. Experte Intelmann erwartet für Europa ein Wachstum von 1,5 Prozent. „Von Ausnahmen abgesehen wie dem Energiekonzern RWE sind auch von den Unternehmen keine schlechten Zahlen zu erwarten“, sagt Intelmann.

Ist ein sinkender Ölpreis nicht ein
Vorbote einer weltweiten Rezession?

Eine solche Entwicklung ist nach Einschätzung der Experten nicht zu erwarten. „Der Ölpreis fällt nicht, weil die Nachfrage sinkt, sondern aufgrund der Überproduktion“, sagt Intelmann. „Täglich gibt es noch eine Überproduktion von 1,5 bis zwei Millionen Barrel (158,98 Liter).“ „Für eine weltweite Rezession fehlt eine systemische Schieflage“, sagt Christian Jasperneite, Chef-Anlagestratege beim traditionsreichen Bankhaus M.M. Warburg & CO. „Es gibt keine Parallelen zum Jahr 2000 oder 2007. Im Jahr 2000 waren die Aktien völlig überbewertet. Das ist jetzt nicht der Fall.“ 2007 hatten die verbrieften und weltweit verkauften, nicht werthaltigen Immobilienkredite der USA eine weltweite Rezession ausgelöst. Banken in den USA und Europa mussten die Schrottdarlehen abschreiben und dann ihre Kreditvergabe stark einschränken, was die Wirtschaft schwächte.

Wie geht es jetzt an der Börse weiter?

Alle Experten gehen von weiter stark schwankenden Kursen aus. „Wir haben immer gesagt, dass 2016 ein volatiles Aktienjahr wird“, sagt Ulrich Stephan. Allerdings gibt es auch Tage, an denen die Kurse der DAX-Titel wieder kräftig anziehen. Aber mit einem Ende der Schaukelbörse rechnen die Experten noch nicht. Denn es gibt eine Reihe von Risiken. Die chinesische Konjunktur bleibt angeschlagen, und die globale Konjunktur ist anfällig. So hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) die Konjunkturprognosen für die Weltwirtschaft, die USA und Deutschland erst jüngst gesenkt. Die globale Konjunktur dürfte demnach 2016 nur noch um drei (bisher 3,3 Prozent) zulegen.

Soll man jetzt Aktien kaufen?

„Wer mit seinen Anlagen eine Rendite erzielen möchte, kommt an Aktien nicht vorbei“, sagt Stephan. „Auf einen Anlagezeitraum von zwei bis drei Jahren sind die Aktien jetzt noch einmal deutlich attraktiver geworden als zum Jahresanfang“, ergänzt Jasperneite. Allerdings ist die Situation nicht so, dass Anleger ihr gesamtes Geld in die Aktienanlage auf einen Schlag investieren sollten, sondern in kleineren Raten „Wir raten Kunden, das Engagement im DAX nur dann zu erhöhen, wenn die Kurse zuvor deutlich gefallen sind“, sagt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Auch wenn sich der DAX in den letzten Tagen erholt hat, kann es jederzeit wieder zu Rückschlägen kommen. „Der Markt sollte sich oberhalb von 9400 Punkten stabilisieren, dann ist ein Einstieg nicht mehr so risikoreich“, sagt Intelmann.

Wie kann man in Aktien investieren?

Neben einem direkten Investment in Aktien können auch kostengünstige börsengehandelte Indexfonds (ETFs) oder Aktienfonds erworben werden. Das erspart die Auswahl einzelner Aktien. Mit monatlichen Sparraten können auch Kursschwankungen besser ausgeglichen werden. Die Direktbank Comdirect hat jetzt Aktiensparpläne eingeführt. 70 Aktien aus DAX und MDAX stehen zur Verfügung. 40 weitere Dividendenpapiere sollen im April hinzukommen. Mit einer monatlichen Sparrate von angenommen 100 Euro kann in vier verschiedene Aktien investiert werden. Kostet die Aktie mehr als der zur Verfügung stehende Betrag, werden Bruchstücke im Depot gutgeschrieben. Die Transaktionskosten betragen in diesem Fall lediglich 1,50 Euro, also rund 38 Cent pro Aktienerwerb. Von den insgesamt 72 Milliarden Euro, die Privatanleger 2015 in Deutschland in Publikumsfonds investierten, flossen 60 Milliarden Euro in Investmentfonds mit Aktienanlagen. Das zeigt, dass allmählich ein Umdenken bei den Anlegern einsetzt.

Welche Aktien und Fonds
sind derzeit zu empfehlen?

„Wir raten zu Aktien mit einer attraktiven Dividende wie Allianz, BASF, Deutsche Post, Daimler oder BMW“, sagt Johannsen von der Schröder Bank. Allein die Dividendenrendite der Allianz liegt bei knapp sechs Prozent. Die Stiftung Warentest hat die beständigsten Dividendenzahler ermittelt. In den vergangenen zehn Jahren wurde die Dividende ohne Unterbrechung Jahr für Jahr erhöht. Zu diesen Aktien gehören Fielmann, Schaltbau, Fuchs Petrolub (Vorzüge), die Pharmakonzerne Novartis und Roche sowie Nestlé. Zu den besten Dividendenfonds zählt laut Stiftung Warentest ein Indexfonds von iShares, der in 30 dividendenstarke Werte aus dem Index Stoxx Europe investiert. In den vergangenen fünf Jahren erzielte er eine Rendite von 7,2 Prozent pro Jahr.

Halten die Experten an ihren DAX-
Prognosen vom Jahresanfang fest?

Im Wesentlichen ja. Nur die Commerzbank, die den höchsten DAX-Stand zum Jahresende 2016 von 12.600 Punkten vorausgesagt hatte, passte ihre Prognose an. Das neue Kursziel lautet 11.200 Punkte. „Angesichts des fallenden Ölpreises, eines stärkeren Euro und einer schwächeren US-Konjunktur haben wir unsere Prognose für die Gewinne der DAX-Unternehmen um fünf Prozent gesenkt“, sagt Chris-Oliver Schickentanz, Chefanlagestratege der Commerzbank. Im ersten Quartal rechnet er mit Kursschwankungen zwischen 8800 und 10.000 Punkten beim wichtigsten deutschen Börsenbarometer. Im Schnitt erwarten die Experten zum Jahresende einen DAX-Stand von 11.500 Punkten.