Hamburg. Schon im vergangenen Jahr gab es zahlreiche Arbeitsniederlegungen. Bald könnten die Krankenhäuser betroffen sein
Bei den Banken, im öffentlichen Dienst und bei der Deutschen Telekom stehen im kommenden Jahr Tarifverhandlungen für Zehntausende Mitarbeiter an. Auch am Hamburger Flughafen und in Krankenhäusern wie Asklepios und dem UKE drohen 2016 wieder Konflikte um die Bezahlung der Beschäftigten – mit möglicherweise erneuten wochenlangen Streiks. So sind Verhandlungen für die Beschäftigten des Airport Hamburg geplant, die für das Be- und Entladen der Flugzeuge verantwortlich sind.
In seinem Jahresrückblick gestern bilanzierte der Hamburger Ver.di-Landesbezirksleiter Berthold Bose nicht nur die Arbeit der Gewerkschaft im Jahr 2015, sondern schaute auch in die Zukunft. Die Tarifverhandlungen, die Bose ankündigte, könnten auch in den nächsten Monaten wieder für einigen Sprengstoff sorgen. Und erneut zu massiven Arbeitsniederlegungen: Schon im vergangenen Jahr war in Deutschland so viel gestreikt worden wie lange nicht mehr. Während Lokführer, Paketboten und Erzieher schließlich doch noch zu Kompromissen fanden, zeichnet sich auch bei der Lufthansa für 2016 nur ganz allmählich Frieden ab.
Rund 1,5 Millionen Streiktage waren 2015 allein auf Arbeitsniederlegungen im Organisationsbereich von Ver.di entfallen, darunter die langen Konflikte bei der Post und im Sozial- und Erziehungsdienst. Viele der kleineren Streiks trafen empfindliche Stellen der Infrastruktur wie das Bahnnetz oder die Flugverbindungen, sodass sehr viele Menschen betroffen waren und die Medien entsprechend breit berichteten. Wegen des jüngsten Flugbegleiterstreiks bei der Lufthansa mussten bundesweit mehr als eine halbe Million Passagiere umbuchen.
Weit über die üblichen Forderungen ging Ver.di bei den Kita-Erzieherinnen hinaus und verlangte Steigerungen in einem Volumen von rund zehn Prozent. Nach heftigen Streiks kamen dann laut Ver.di Lohnsteigerungen von 3,7 Prozent heraus. „Die Arbeit von Mensch zu Mensch wurde bisher zu wenig gewürdigt“, sagt Bose mit Blick auf Erzieherinnen, aber auch auf Beschäftigte in der Behindertenhilfe und anderen Sozialeinrichtungen. Allein in diesem Bereich arbeiten in Hamburg 18.000 Menschen.
Insgesamt führten 60 Tarifverträge für Beschäftigte in Hamburger Betrieben zu mehr Lohn und Gehalt. Damit haben laut Bose 40 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Hamburg 2015 vom Ver.di-Engagement profitieren können, das sind 350.000 Frauen und Männer. Große Tarifrunden habe es etwa bei Versicherungen, im Hafen oder beim Norddeutschen Rundfunk gegeben, sagte Bose. Im Einzelhandel oder im Wach- und Sicherheitsgewerbe konnten von den neuen Arbeitsbedingungen etliche Mitarbeiter profitieren, die eher zu den Geringverdienern gehören.
Auch die Einführung des Mindestlohns hat dazu geführt, dass bisher besonders niedrig bezahlte Tätigkeiten aufgewertet wurden. So hat es binnen eines Jahres bundesweit einen Anstieg der Löhne von Ungelernten in Voll- und Teilzeit um 3,3 Prozent bis vergangenen Juni gegeben – Ausreißer nach oben: Frauen im ostdeutschen Gastgewerbe mit einem Plus von 19,5 Prozent, bei Männern waren es 15 Prozent.
Die Diskussion, dass der Mindestlohn mit dem Eintritt vieler Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt wieder aufgeweicht werden könnte, nannte Bose „unerträglich“. Niemand dürfe wegen seiner Herkunft bei der Bezahlung benachteiligt werden. Hier müssten auch klare Regeln für Praktika getroffen werden, um dem Missbrauch von vermeintlich günstigen Arbeitskräften vorzubeugen.
Seine Durchsetzungskraft bewies Ver.di 2015 nach eigenen Angaben auch neben den Tarifverhandlungen: In Auseinandersetzungen mit Arbeitgebern ist die Gewerkschaft so aktiv wie selten zuvor. In 8000 Fällen wie Abmahnungen oder Kündigungen sei man 2015 rechtlich aktiv gewesen, sagte der Ver.di-Chef. „Die Bandagen von Arbeitgebern gegen Beschäftigte werden härter angezogen.“ Er bemängelt besonders, dass einzelne Arbeitgeber die Sozialpartnerschaft im Betrieb „massiv behindern“. So war beim Spiele-Anbieter Goodgame etlichen Beschäftigten, die eine Betriebsratswahl vorbereitet hätten, gekündigt worden. „Mit fadenscheinigsten Gründen“, ergänzte Bose. Für die Betroffenen wurden, wie berichtet, Kündigungsschutzklagen eingereicht und für die mehr als 1000 Mitarbeiter hat man für Januar eine Betriebsversammlung terminiert.
Auch aus anderen Dienstleistungsfirmen, geprägt von digitaler Technik, kämen junge Beschäftigte auf Ver.di zu. Das wirkt sich bereits auf die Größe der Gewerkschaft aus. So ging die Zahl der Mitglieder zwar noch leicht um 0,86 Prozent auf 91.000 zurück. Aber bei Jugendlichen bis 28 Jahre konnte sich Ver.di über regen Zulauf freuen – ein Plus von mehr als zwei Prozent.