Hamburg. Mit der Öffnung des Marktes wittern Hamburger Unternehmer neue Geschäftschancen. Senator plant Reise mit Delegation auf die Insel.
Vom Stiefkind zum Umgarnten kann es schnell gehen: Eben noch stand Kuba auf der Terrorliste der USA, inzwischen stehen die Regierungschefs der Welt in Havanna Schlange. Kuba ist salonfähig geworden. Schrittweise wirtschaftliche Öffnung, Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit den USA, Einreiseerleichterungen. Vieles, was bis vor Kurzem noch undenkbar schien, ging zuletzt in einem für Kuba eher untypischen Eiltempo voran.
Gerade erst war der Deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier mit einer Wirtschaftsdelegation auf Kuba. Auch der französische Staatspräsident François Hollande war schon da, ebenso die EU-Außenbeauftragte sowie Italiens Außen- und Spaniens Wirtschaftsminister.
„Auf Kuba herrscht Goldgräberstimmung“
Und auch Hamburg blickt jetzt nach Havanna. Im Oktober will der Hamburger Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) Kuba mit einer Wirtschaftsdelegation besuchen. „Auf Kuba herrscht Goldgräberstimmung“, sagt der Hamburger Unternehmer Peter Schirrmann. „Jetzt wollen sich alle einen Platz sichern.“
Er selbst hat sich seinen Platz bereits vor Jahrzehnten gesichert. Seit 1984 hat er mit seinem Unternehmen eine Dependance auf Kuba. Bis heute ist er nach eigenen Angaben der einzige Hamburger Unternehmer mit einem eigenen Büro auf der Karibikinsel. Seine Erfahrungen sind jetzt gefragt. Bei Schirrmanns letztem Kuba-Vortrag in der Handelskammer Hamburg kamen rund 40 Unternehmer – deutlich mehr als sonst. Und sie hatten viele Fragen, darunter: Wie steht es um die Zahlungsmoral? Wie sind die Firmen organisiert? Wer sind die Ansprechpartner?
Kaum jemand in Hamburg hat so viel Erfahrung mit dem Kuba-Geschäft wie Schirrmann, der gleichzeitig auch Honorarkonsul von Guatemala ist. Geschätzte 120-mal war er schon auf der Insel. Angefangen hatte alles mit dem Frankfurter Chemie-Konzern Degussa. Für das Unternehmen ging er erst nach Guatemala, nach Mexiko und danach 13 Jahre nach Brasilien. Alles Wunschstationen für den gebürtigen Hamburger: „Mich hat es immer nach Lateinamerika gezogen“, erzählt er. Nach einem Zwischenstopp in Hamburg wurde ihm Kuba angetragen.
Mal kam das Geld später, mal gar nicht
Und nach dem ersten Besuch war klar, dass ihn die Insel nie wieder loslassen würde. „Ich war einfach nur fasziniert“, sagt er. „Von der Atmosphäre, aber auch den Geschäftsmöglichkeiten, die es dort gibt.“ Dass es gleich im ersten Anlauf klappen würde, hatte niemand geglaubt: Als erste deutsche Firma bekam die Degussa 1984 die Genehmigung für eine Zweigstelle auf Kuba. Seit der ersten Stunde leitet Schirrmann das Unternehmen von Hamburg aus.
Dabei lief bei Weitem nicht alles rosig. Mal kam das Geld später, mal gar nicht. Irgendwann entschloss sich die Degussa dann, die Kuba-Sektion zu verkleinern. Da ging Schirrmann in die Offensive, kaufte die Kuba-Sparte kurzerhand auf machte unter dem neuem Firmennamen „Delatrade“ allein weiter.
Mit seinen Waren konnte er Kuba das liefern, was der Inselstaat nach dem Handelsembargo für die eigenen Produktionen im Land brauchte: Rohstoffe für Futtermittel und den pharmazeutischen Bereich, Vitamine, Aminosäuren und Kunststoffe. Das hat sich bis heute nicht geändert.
Über die Jahre hat Schirrmann gelernt, mit den Widrigkeiten zurecht zu kommen. Wenn er erzählt, ahnt man, dass das Kuba-Geschäft eine Herausforderung ist, die nur zu packen ist, wenn man wirklich will. „Sozialistische Systeme glänzen nicht gerade durch Flexibilität und Schnelligkeit“, sagt er. Und das Handelsembargo der USA macht es auch nicht gerade leichter: „Man darf weder amerikanische Produkte einführen noch Produkte amerikanischer Firmen, deren Produkte in Deutschland oder anderswo produziert werden.“ Dazu kommen schwierige Organisationsstrukturen und eine schlechte Zahlungsmoral.
Hamburger wollen einen „Fuß in die Tür stellen“
Umso wichtiger sei es, dass er mit seinen Leuten direkt vor Ort ist, um bei Bedarf nachzufassen. Mit der Zeit wurde Schirrmann zum Bindeglied zwischen Deutschland und Kuba. Mehrfach vermittelte er in direkten Gesprächen zwischen dem kubanischen Wirtschaftsminister und der deutschen Wirtschaft.
Für die Hamburger Wirtschaft spielte Kuba bisher eher eine kleine Rolle: Nach Angaben der Hamburger Handelskammer steht Kuba auf Platz 94 von 194 der Hamburger Außenhandelsstatistik. Ein ziemlich unscheinbarer Platz im Ranking, irgendwo zwischen Tunesien, Venezuela, Panama, Bolivien und Malta. Im vergangenen Jahr wurden Waren im Wert von 23 Millionen Euro exportiert. Hauptsächlich Güter aus der Landwirtschaft, chemische Erzeugnisse, Maschinen und Mineralöl. Aus Kuba importiert wurden Güter im Wert von 7,4 Millionen Euro. Darunter Getränke, Nahrungsmittel und Tabakerzeugnisse.
Hamburg hat es dennoch eilig. „Nachdem die vorsichtige Öffnung des Landes begonnen hat, gibt es ein schmales Zeitfenster, das wir nun nutzen wollen, um in Kuba gemeinsam mit Hamburger Institutionen und Unternehmen einen Fuß in die Tür zu stellen“, sagt Susanne Meinecke, Sprecherin der Wirtschaftsbehörde. „Sobald die Sanktionsregime zurückgefahren werden, wird das Land sicher durch US-Investoren geflutet. Wir wollen vorher dort sein.“
Kuba dient als Sprungbrett
Das Engagement sei dabei mittel- bis langfristig. „Hamburg könnte im Bereich der maritimen Logistik sowie dem Bereich Erneuerbare Energie dem Land infrastrukturell unter die Arme greifen“, sagt Meinecke. Weitere Felder der Zusammenarbeit seien der Tourismus und insbesondere die Kreuzschifffahrt. Auch als Sprungbrett in die zentralamerikanischen Staaten eigne sich Kuba sehr. Wie lange es noch dauert, bis auch das Handelsembargo fällt, weiß derzeit niemand. Peter Schirrmann glaubt, dass es erst in einigen Jahren soweit sein wird. Andere meinen, dass es deutlich schneller geht. Aber egal, wie lange es am Ende dauert. Wer dabei sein will, muss sich beeilen.
Der Bedarf ist da, besonders im Tourismus-Sektor. Aus aller Welt strömen die Menschen jetzt auf die Karibikinsel, um noch einmal das echte „Fidel-Castro-Kuba“ zu sehen, bevor es sich wandelt. Rund 500.000 Touristen werden allein aus den USA bis Ende 2016 erwartet. Aus Deutschland reisten im ersten Quartal rund 23,3 Prozent mehr Gäste an. Die ersten Kreuzfahrtschiffe haben Havanna jetzt in ihre Route aufgenommen. Das sind Größenordnungen, die die Insel nicht mehr allein wuppen kann. „Kuba ist komplett voll“, sagt Schirrmann. „Alle Hotels sind belegt, auch die kleinsten Privatunterkünfte.“
Jetzt muss viel passieren. Kuba brauche neue Unterkünfte, bessere Versorgungswege und Infrastruktur, größere Flughäfen und Häfen. Außerdem bestehe Bedarf an Nahrungsmitteln und alternativen Energien. Für Hamburg könnte besonders der neu gebaute Hafen von Mariel im Westen der Insel interessant sein. „Dort gibt es eine Freihandelszone und jede Menge Investitionsmöglichkeiten für ausländische Unternehmen.
„Im kapitalistischen System werden viele untergehen“
Kuba-Kenner Schirrmann betrachtet die aktuellen Entwicklungen mit großem Interesse – und ähnlich großer Skepsis. Das hat auch emotionale Gründe. Es ist das Wissen darum, dass es das alte Kuba – so streitbar es auch ist – bald nicht mehr geben wird. „Das tut mir weh“, sagt Schirrmann und klingt dabei wenig geschäftsmännisch. Schirrmann glaubt, dass von dem Wandel längst nicht alle profitieren werden.
„Ich befürchte, dass in einem kapitalistischen System dort viele untergehen werden.“ Derzeit sei der Lebensstandard auf Kuba noch deutlich besser als in vielen anderen Lateinamerikanischen Ländern. „Auf Kuba können alle lesen und schreiben, die Gesundheitsversorgung ist geregelt und das Schulsystem funktioniert.“ Dass das Niveau auch in Zukunft gehalten werden könne, glaubt er nicht.
Vor etwa sechs Wochen war Schirrmann zuletzt auf Kuba. Für September ist sein nächster Besuch geplant. Lange hält er es ohne die Insel nie aus. Warum er sich als Unternehmer ausgerechnet eines der kompliziertesten Länder ausgesucht habe?
„Würde ich kein Geld mit Kuba verdienen, würde ich es nicht machen“, sagt Schirrmann, dessen Bürowände mit Kuba-Fotos tapeziert sind. Schirrmann und Fidel Castro, Schirrmann und Außenminister Felipe Perez Roque, Bilder seiner Kuba-Kollegen und auch ein paar Oldtimer- und Kolonialstilvillen-Klassiker. „Und würde ich Kuba nicht so lieben, dann wäre ich da wahrscheinlich auch schon weg.“