Hamburg. Lufthansa-Technik-Chef Henningsen geht in den Ruhestand. Sein Nachfolger will Internationalisierung fortsetzen.
Zwar bekommt Lufthansa Technik in den nächsten Tagen einen neuen Chef, denn August Wilhelm Henningsen geht nach mehr als 14 Jahren an der Vorstandsspitze in den Ruhestand. Einen Bruch aber soll es nicht geben: „Was die Ausrichtung des Geschäfts angeht, stimmen mein Nachfolger Johannes Bußmann und ich völlig überein“, sagt Henningsen, 64. Der Manager wird am heutigen Freitag zwar bei einer Feier mit rund 500 Gästen verabschiedet, leitet aber dennoch in der kommenden Woche noch die Bilanzpressekonferenz.
„Wir haben die Strategie für die nächsten Jahre gemeinsam festgelegt“, so Henningsen. Einer der Kernpunkte darin laute: „Wir müssen weiter wachsen.“ Denn in dieser Branche komme es auf die Größe an: „Es macht einen Unterschied, ob wir mit einer Investition, die wir tätigen, 500 Flugzeuge technisch betreuen können oder ob wir die gleiche Investition für rund 3000 von uns betreute Flugzeuge nutzen können.“
Seit dem Amtsantritt von Henningsen Anfang des Jahres 2001 hat sich die weltweite Mitarbeiterzahl auf knapp 26.000 Personen ungefähr verdoppelt. Gewachsen ist Lufthansa Technik aber vor allem im Ausland. „Es war und ist wichtig, näher an die Kunden heranzurücken“, sagt der scheidende Vorstandsvorsitzende eines der größten Hamburger Unternehmen.
In Asien ist der Konzern mit einer großen Beteiligungsgesellschaft für Flugzeugwartung und -überholung in Peking präsent sowie mit Tochterfirmen in Shenzhen (China), auf den Philippinen und in Malaysia. „Aber das wird nicht reichen, denn ein Großteil des Wachstums im weltweiten Luftverkehr findet in Asien statt“, sagt Henningsen.
In Amerika, dem noch immer größten Luftfahrtmarkt, ist Lufthansa Technik entgegen früheren Planungen erst vergleichsweise schwach vertreten. Bislang sei das Geschäft der technischen Betreuung von Flugzeugen dort weitgehend in der Hand der großen US-Fluggesellschaften gewesen, erst seit wenigen Jahren wandele sich dies, erklärt Henningsen: „Wir arbeiten in den USA für große Low-Cost-Airlines wie JetBlue, Virgin America, Spirit und Frontier sowie für Volaris in Mexiko, wichtige Kunden sind auch Air Canada und zuletzt die kolumbianische Avianca geworden – da tut sich was.“ Amerika werde in den nächsten Jahren ein bedeutender Wachstumsmarkt für das Unternehmen sein.
Dabei sei die Internationalisierung für den Vorstand kein Selbstzweck. Die steigende Zahl der betreuten Flugzeuge sorge für die Auslastung der Triebwerks- und Gerätewerkstätten am Hauptsitz in Hamburg. Auch hier hat die Mitarbeiterzahl seit dem Jahr 2000 unter dem Strich zugenommen – von damals 6500 auf heute rund 8000 Personen.
Es bedürfe immer neuer Anstrengungen, für ausreichende Beschäftigung in Hamburg und an den anderen Standorten zu sorgen, räumt Henningsen ein. Doch auch sein Nachfolger werde alles dafür tun, das zu schaffen. „Wir müssen uns aber bewusst sein, dass in unseren deutschen Betrieben die Arbeitsstunde teurer ist als bei den Wettbewerbern“, sagt der Chef des Weltmarktführers für flugzeugtechnische Dienstleistungen. „In Asien kostet eine Arbeitsstunde nicht einmal halb so viel wie in Hamburg.“
Aus diesem Grund hat Lufthansa Technik personalintensive Tätigkeiten wie etwa die Grundüberholung von Langtreckenjets, die rund 60.000 Arbeitsstunden erfordert, schon vor einigen Jahren fast vollständig auf ausländische Tochterunternehmen verlagert, während sich der Standort Hamburg abgesehen von der Forschung und Entwicklung auf technologielastige Tätigkeiten wie etwa die Triebwerksüberholung und Flugzeugumbauten konzentriert. „Auf diesem Gebiet haben wir einen Produktivitätsvorsprung“, sagt Henningsen.
Um ihn abzusichern, hat das Unternehmen in den zurückliegenden zehn Jahren allein in Hamburg ungefähr eine halbe Milliarde Euro investiert. Zudem wurde im Mai 2014 ein Budget für Innovationen, Forschung und Entwicklung im Umfang von 200 Millionen Euro für den Zeitraum bis 2018 beschlossen, was einer Verfünffachung des bisherigen Volumens pro Jahr entspricht. Es geht nicht zuletzt darum, die Technologie für die Betreuung neuer Flugzeugtypen wie der aus Kohlefaserwerkstoffen gefertigten Langstreckenjets Boeing 787 und Airbus A350 aufzubauen. „Viele Anbieter drängen in dieses Zukunftsgeschäft“, so Henningsen, „aber wir sind ganz vorn mit dabei.“
Zwar hat der Lufthansa-Technik-Vorstand in den vergangenen Jahren bei jeder Gelegenheit dargelegt, der Wettbewerb werde immer härter, die Margen immer schmaler. Dennoch hat sich der Umsatz im gesamten Verbund seit der Jahrtausendwende ungefähr verdreifacht, der Gewinn hat sich sogar gut vervierfacht. Henningsen sieht darin keinen Widerspruch. „Die Situation war und ist angespannt“, sagt er. Die „Bedrohungen“ für die Branche seien real. Dazu gehörten Luftfahrtkrisen wie die nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001, als der Umsatz von Lufthansa Technik um 20 Prozent zurückfiel, aber auch das Vordringen von Billigfliegern und der daraus resultierende Preisdruck auf die technischen Dienstleister. Außerdem würden die Flugzeuge immer zuverlässiger, wozu diese Unternehmen selbst mit beigetragen hätten. Vor diesem Hintergrund hatte der Vorstand im Januar 2013 beschlossen, in Hamburg bis Ende 2014 rund 400 Arbeitsplätze in nicht unmittelbar produktiven Bereichen zu streichen. Dieses Programm sei planmäßig abgeschlossen worden, sagt Henningsen, nun plane man mit einer stabilen Beschäftigtenzahl. Aktuell seien rund 200 offene Stellen überwiegend für Ingenieure zu besetzen.
Umsatz soll deutlich gesteigert und die Effizienz weiter erhöht werden
Bis zum Jahr 2018 soll sich der Umsatz des Hamburger Unternehmens um 60 Prozent erhöhen. Unverändert gebe es aber den Zwang, die Effizienz zu steigern, so Henningsen: „Sonst verlieren wir Marktanteile.“ Um wichtige Aufträge ringe man in der Regel mit sechs oder sieben Konkurrenten, etliche davon aus Asien: „Wenn wir uns nicht durchsetzen, haben wir einen Kunden für Jahre verloren.“ Daher sei es notwendig, stets auf die Kosten zu achten.
In diesem Zusammenhang spricht Henningsen den Mitarbeitern ein „großes Lob“ aus. Denn ohne ihre Loyalität und ihr Engagement könne es nicht gelingen, die Produktivität stets weiter zu verbessern und die Qualität zu halten. Auch Johannes Bußmann, 46, der seit 1999 für Lufthansa Technik arbeitet und im September 2012 in den Vorstand aufrückte, hat bereits Erfahrung mit derartigen Effizienzprogrammen: Bevor er Vorstandsmitglied mit Zuständigkeit für das Personal wurde, hat der promovierte Ingenieur die Sparte Triebwerksüberholung, die damals mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hatte, wieder auf die Erfolgsspur zurückgebracht.
„Mein Nachfolger ist ein bisschen ungeduldiger als ich“, sagt Henningsen – „vielleicht so, wie ich es zu Beginn meiner Amtszeit war.“ In den zurückliegenden Monaten hat er den nächsten Lufthansa-Technik-Chef bereits bei den Kunden und Industriepartnern eingeführt.
Nach 36 Jahren im Lufthansa-Konzern fällt Henningsen der Abschied nach eigenem Bekunden nicht schwer. Nicht nur, weil das Amt des Technik-Chefs mit einer hohen Verantwortung für die Sicherheit verbunden sei und dieser Druck nun wegfalle: „Es darf einfach nichts passieren. Ich bin sehr dankbar, dass es keinen schweren Unfall mit den von uns betreuten Flugzeugen gegeben hat.“ Vor allem freue er sich auf die Dinge, zu denen er nun mehr Gelegenheit haben wird – zum Beispiel reisen mit seiner Frau: „Ich bin auf meinen Dienstreisen überall gewesen, aber nirgendwo richtig.“
Die Henningsens wollen zwar weiter in Niendorf zu Hause sein, aber ihr Ferienhaus auf Mallorca stärker nutzen als zuvor. Das Segeln gehört ebenfalls zu den Dingen, die Henningsen künftig intensiver betreiben will. Außerdem spielt der frühere Segelflieger mit dem Gedanken, seinen Pilotenschein zu reaktivieren.
Ohnehin will er der Luftfahrtbranche verbunden bleiben: „Es gibt da ein paar Überlegungen, aber noch nichts Konkretes.“ Nur eines steht schon fest: Henningsen will sich weiter dafür engagieren, dass der legendäre Propeller-Airliner L1649A „Super Star“, den eine von der Lufthansa gegründete Stiftung im Jahr 2007 ersteigerte, wieder flugtauglich gemacht wird und wie der in Hamburg stationierte Museumsflieger Ju-52 für Rundflüge zur Verfügung steht – ein Projekt, das sich als langwieriger erwies als zunächst angenommen. „Ich fühle mich einfach verpflichtet, daran weiter mitzuwirken“, sagt Henningsen.