Bundesweiter Widerstand gegen das neue Abkommen mit den USA: Darf dank TTIP die Lüneburger Kartoffel auch aus Kentucky kommen?

Hannover/Berlin. Die einen sagen nur das Schlagwort TTIP, für die anderen geht es gleich um die Wurst: Das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen den USA und der Europäischen Union erhitzt die Gemüter. In Bayern formiert sich der Widerstand gegen mögliche Lockerungen beim Schutz regionaler Spezialitäten. „Save the Nürnberger Bratwurst“, twitterte Nürnbergs Vize-SPD-Chef Thorsten Brehm. Er reagierte damit auf eine Äußerung von Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP.

„Wenn wir die Chancen eines freien Handels mit dem riesigen amerikanischen Markt nutzen wollen, können wir nicht mehr jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen“, hatte Bundesminister Schmidt dem „Spiegel“ gesagt. Zu den von der EU geschützten Produkten gehören in Bayern unter anderem der Allgäuer Bergkäse, der Schrobenhausener Spargel, die Nürnberger Rostbratwurst und die bayerische Brezn.

Schmidt stellte am Montag klar, dass regionale Spezialitäten weiter geschützt werden sollen. „Mit ihm wird es keine Nürnberger Rostbratwurst made in Kentucky geben“, betonte sein Sprecher in Berlin. „Er steht ganz klar dazu, dass die geschützten Herkunftsbezeichnungen bleiben.“ Allerdings gebe es in den Verhandlungen mit dem Amerikanern gewisse Irritationen über die Vielzahl an Siegeln und geschützten Spezialitäten in der EU.

Agrarminister Schmidt und ein unglückliches Interview

Auch Niedersachsens Agrarminister Christian Meyer (Grüne) sieht in TTIP eine akute Gefährdung für die regionalen Spezialitäten zwischen Harz und Küste. Meyer kritisierte in der „Nordwest-Zeitung“ ebenfalls die Äußerungen von Schmidt. Meyer sagte: „Es ist fatal, dass Bundesagrarminister Schmidt in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den USA den Schutz regionaler Marken und Produkte über den Haufen werfen will.“ Regionalität, Heimatbewusstsein und kurze Wege seien für die Verbraucher erwiesenermaßen immer wichtiger. „Die Äußerungen Schmidts zeigen, dass es bei TTIP eben doch um die Absenkung europäischer Verbraucher- und Umweltstandards geht.“

Die niedersächsische Landesregierung setze sich dafür ein, dass regionale Produkte und regionale Identitäten geschützt blieben. Als Beispiel nannte Meyer Kartoffeln aus der Lüneburger Heide. „Wer nach Europa exportieren möchte, muss unsere Spielregeln einhalten. Das Freihandelsabkommen ist kein Basar für Verbraucherrechte.“

Das sind die europäischen Gütezeichen

Europaweit gibt es drei Gütezeichen, die die Herkunft der Produkte zeigen und diese vor Missbrauch und Nachahmung schützen sollen: die geschützte Ursprungsbezeichnung (g.U.), die geschützte geografische Angabe (g.g.A.) und die garantiert traditionelle Spezialität (g.t.S.).

Das Kürzel g.g.A. schützt Produkte, die laut EU-Kommission in einem „bestimmten geografischen Gebiet“ nach einem „anerkannten und festgelegten“ Verfahren hergestellt wurden. Darunter fallen in Deutschland derzeit rund 70 Produkte, etwa Schwarzwälder Schinken, Schwäbische Maultaschen und Kölsch.

Im Gegensatz zur g.U. müssen die einzelnen Bestandteile nicht aus der angegeben Region kommen. Das Fleisch für den Schwarzwälder Schinken könne „theoretisch auch aus Neuseeland kommen“, kritisiert Andreas Winkler von der Verbraucherorganisation Foodwatch. Schon heute stamme 90 Prozent des für den Schinken verwendeten Schweinefleisches nicht aus dem Schwarzwald.

Das dritte Gütesiegel kennzeichnet Lebensmittel, die in einem traditionellen Verfahren hergestellt wurden. Über regionale Herkunft sagt es nichts aus. In Deutschland trägt derzeit kein Produkt das Siegel; europaweit sind es nur sehr wenige.

Herkunftsland muss bei Obst und Rindfleisch angegeben werden

Europaweit gibt es nur wenige Lebensmittel, für die eine Kennzeichnung verpflichtend ist. Bei frischem Obst und Gemüse sowie Rindfleisch muss das Herkunftsland angegeben werden. Tiefkühlgemüse oder -obst muss dagegen keinen Hinweis auf der Verpackung haben. Ab dem 1. April 2015 gelten für Fleisch allerdings strengere Regelungen: Bei frischem oder tief gefrorenem Fleisch von Schwein, Geflügel, Schaf und Ziege muss der Ort der Aufzucht und Schlachtung angegeben werden.

Foodwatch bezeichnet die EU-Vorgaben als „völlig unzureichend“. Zudem könnten Verbraucher die einzelnen Gütesiegel kaum voneinander unterscheiden. Derzeit könnten Hersteller in der EU „ganz legal“ mit Regionalität werben und ihre Produkte dementsprechend teurer verkaufen, obwohl diese damit nichts zu tun hätten, bemängelt Winkler. Eine rein freiwillige Lösung, wie sie in Deutschland unter anderem mit dem „Regionalfenster“-Siegel gesucht werde, helfe nicht weiter. Foodwatch fordert stattdessen eine „klare, verbindliche Herkunftsbezeichnung“.