Vor allem die umstrittene Fördertechnik Fracking macht Öl und Kraftstoff billiger. Das Abendblatt analysiert die Hintergründe und wagt eine Prognose
Hamburg. Die guten Nachrichten für die Autofahrer vermeldet der ADAC derzeit fast täglich: Sprit wird immer günstiger. Allein seit Anfang September verbilligte sich der Liter Super E10 im bundesweiten Schnitt um 14,5 Cent, Diesel um zwölf Cent. E10 war am Freitag für weniger als 1,30 Euro je Liter in Hamburg zu haben. Das sind die niedrigsten Stände seit Dezember 2010. Getrieben wird die Entwicklung von den sinkenden Preisen an den Ölmärkten. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu dieser Entwicklung.
Warum wird Rohöl günstiger?
Jahrzehntelang folgte der Ölmarkt einem einfachen Muster: Sinken die Ölpreise, dann senkt das mächtige Ölkartell Opec (Organisation Erdöl exportierender Länder) die Produktionsmenge. In diesem Herbst änderten sich die Spielregeln. Saudi-Arabien, als wichtigster Spieler im Markt, hielt die Fördermenge konstant – und senkte sogar die Preise für seine Kunden. Die Ursache liegt im Fracking-Boom in den USA, der den globalen Ölmarkt grundlegend veränderte. Bei der umstrittenen Förderung des Schieferöls werden Wasser, Sand und Chemikalien mit hohem Druck in Gesteinsschichten unter der Erde gepresst, um das Öl zu lösen. Die USA haben diese Produktion von 2008 bis 2013 auf etwa 2,5 Millionen Barrel (je 159 Liter) pro Tag verfünffacht. Insgesamt fördern sie heute rund zehn Millionen Barrel pro Tag. Damit nahm die Abhängigkeit des größten Ölverbrauchers weltweit mit einem Bedarf von 19 Millionen Barrel pro Tag von den Opec-Staaten stark ab.
Das Kalkül der Saudis könnte nun sein: Wenn der Preis weiter fällt, fördern die USA weniger Schieferöl und verzichten auf die Erschließung neuer Quellen. Der Grund: Das komplizierte Fracking wird zu teuer und lohnt sich nicht mehr. Je nach Bohrloch sollen die Förderkosten beim Fracking zwischen 40 und 70 Dollar liegen. „So günstig wie in Saudi-Arabien können sie nirgendwo Öl fördern“, sagt Rainer Wiek, Chefredakteur des Hamburger Energie Informationsdienstes (EID). Daher können sich die Scheichs eine Preisschlacht leisten und verzichteten in der vergangenen Woche auch auf ein Senken der Opec-Förderquote von rund 30 Millionen Barrel pro Tag. In der Konsequenz hat der Ölpreis seit seinem Fünfjahreshoch im Frühjahr 2011 mit gut 125 US-Dollar für ein Barrel der Nordseesorte Brent fast die Hälfte an Wert verloren und notiert heute bei rund 69 Dollar. Auch die schwächer wachsende Weltwirtschaft trägt ihren Teil dazu bei. Der Grund: Wenn Unternehmen weniger produzieren, brauchen sie auch weniger Öl, die Nachfrage sinkt.
Warum sinken die Benzinpreise weniger stark als die Ölpreise?
Ein Liter Super verbilligte sich laut ADAC im Vergleich zum Frühjahr 2011 bis heute um knapp zwölf Prozent, ein Liter Diesel um knapp 14 Prozent – und damit um deutlich weniger als die gut 45 Prozent des Ölpreises. Dafür sind verschiedene Faktoren verantwortlich. Öl wird international in Dollar gehandelt. Weil der Euro in den vergangenen Jahren aber gegenüber der Weltleitwährung an Wert einbüßt hat, ist der Ölpreis in Euro im gleichen Zeitraum nur um rund 37 Prozent gesunken.
Zum anderen hängt der geringere Rückgang mit den einzelnen Bestandteilen des Preises für einen Liter Kraftstoff an den Tankstellen zusammen. „Wenn sich der Ölpreis halbiert, halbiert sich der Preis für Super nicht auch“, sagt ADAC-Kraftstoffexperte Jürgen Albrecht. Denn bei jedem Liter schlägt zunächst einmal der Staat zu: 65,45 Cent werden an Mineralölsteuer fällig. Völlig unabhängig davon, wie viel der Autofahrer für den Sprit bezahlt. Hinzu kommen weitere Abgaben wie Öko- und Mehrwertsteuer, die sich laut dem deutschen Marktführer Aral bei einem Super-Preis von 1,419 Euro auf insgesamt 88,38 Cent pro Liter summieren. Der Einkaufspreis beträgt 49,41 Cent für einen Liter. Blieben für das Ölunternehmen noch 4,1 Cent pro Liter übrig, mit denen zum einen Kosten beispielsweise für Vertrieb und Transport gedeckt werden müssen und zum anderen ein Gewinn von ein bis zwei Cent erwirtschaftet wird. Ob diese Rechnung gerade in Zeiten sinkender Ölpreise stimmt, wird häufig bezweifelt. Der Vorwurf: Die Konzerne spielen auf Zeit und geben Preisvorteile verspätet weiter – doch ein Beweis dafür fehlt. Die Ölkonzerne würden zwar gut verdienen, sagt ADAC-Experte Albrecht. An den aktuellen Preisen kann er aber nichts kritisieren: „Die Spritpreise geben die gesunkenen Ölpreise wieder.“ Und über einen längeren Zeitraum betrachtet, würden die Kurven für die Rohölpreise und die Spritpreise an den Tankstellen abzüglich der ölpreisunabhängigen Komponenten übereinanderliegen.
Lohnt sich jetzt der Heizölkauf?
Normalerweise steigen die Preise für Heizöl zu Beginn der kalten Jahreszeit. In diesem Jahr gibt es eine gegenteilige Entwicklung. Kosteten im Sommer 100 Liter bei einer Abnahme von 3000 Liter noch rund 84 Euro, sind es jetzt zwischen 68,80 und 72,55 Euro. Das ist der niedrigste Stand seit Ende 2010. Preissenkend dürfte sich auch ausgewirkt haben, dass wegen des vergangenen milden Winters die Tanks teilweise noch voll sind, sagt Rainer Wiek. Ob der Preisboden nun erst mal erreicht ist, sei letztlich eine Glaubensfrage.
Werden die Preise weiter fallen?
Das ist schwierig zu sagen, zumindest momentan könnte der Trend aber anhalten. So senkten am Donnerstag von der Nachrichtenagentur Reuters befragte Analysten ihre Prognose für die Ölpreise so stark wie seit der Finanzkrise 2008 nicht mehr. Sie sehen Nordseeöl der beliebten Sorte Brent im nächsten Jahr im Schnitt nur noch bei 82,50 Dollar pro Barrel. Vier Wochen zuvor hatten sie noch ein Preisniveau von 93,70 Euro erwartet. Für das laufende Jahr liegt der Durchschnittspreis noch bei 102,70 Dollar. Laut „Wall Street Journal“ rechnen Opec-Insider damit, dass der Ölpreis auf 60 Dollar fallen und dann um den Wert einpendeln wird. Beim ADAC geht man davon aus, dass die Preise an den Tankstellen kurzfristig zumindest auf dem jetzigen niedrigen Niveau stabil bleiben. Langfristig rechnet Rainer Wiek jedoch mit steigenden Preisen: „Die Energienachfrage wird weiterhin stark wachsen, gerade in Schwellenländern. Das wird bis 2035 zu steigenden Preisen führen.“
Wie wirkt sich der Preisverfall auf die deutsche Konjunktur aus?
Weil die Verbraucher von sinkenden Sprit- und Heizölpreisen profitieren, wird ihre Kaufkraft gestärkt. Daher werde der private Konsum das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts ankurbeln, sagt Simon Junker, Konjunkturexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Immerhin trägt der Bereich rund 56 Prozent zur gesamten deutschen Wirtschaftsleistung bei. Auch viele Unternehmen aus der Chemie-, Logistik- oder Luftfahrbranche haben Vorteile durch die niedrigen Ölpreise. Bei der Lufthansa sanken die Treibstoffkosten von Januar bis September um 269 Millionen Euro. Ökonom Andreas Rees von Unicredit erwartet einen kräftigen Wachstumsschub: In Euro sei der Ölpreis seit Juni um mehr als 30 Prozent gefallen. Da Deutschland Öl und Gas im Wert von 120 Milliarden Euro im Jahr importiere, könnten die niedrigen Preise die Kaufkraft von Verbrauchern und Unternehmen um mehr als 35 Milliarden Euro oder mehr als ein Prozent der Wirtschaftsleistung befeuern. Allianz-Ökonom Rolf Schneider spricht schon von einem Konjunkturprogramm: „Wir halten an unserer im Vergleich zum Sachverständigenrat spürbar zuversichtlicheren Wachstumsprognose für 2015 von 1,4 Prozent fest.“