Sie nennen sich LadyLandrand oder Wohnprinz. Im Internet haben sie treue Fans und genießen Kultstatus
Mädchen, die vor Freude in Tränen ausbrechen, Teenies, die sich sechs Stunden lang für ein Autogramm in eine Schlange stellen, ein solcher Hype ist heute längst nicht mehr nur dort zu finden, wo Justin Bieber oder Taylor Swift auftauchen. Als sich in Köln vor zwei Wochen bei den Videodays die YouTube-Stars live und in Farbe präsentierten, war der Kreisch-Faktor ähnlich hoch wie bei Hollywoodgrößen oder Musikern, die ganze Stadien füllen. Die YouTuber heißen DieLochis, Daarum oder Y-Titti, und sie haben ihre Bekanntheit lediglich kurzen Filmchen zu verdanken, die sie im Wohnzimmer mit der eigenen Kamera drehen, manchmal verwackelt, mit Versprechern, die Katze huscht durchs Bild. Sie testen in ihren Videos Computerspiele, andere machen Comedy, geben Beauty-Tipps oder kommentieren Nachrichten. Einige erreichen so Millionen Menschen. Und verdienen ordentlich Geld mit ihrem Hobby.
Treffpunkt Renaissance Hotel in der Hamburger City. In Jeans und T-Shirt kommt „LadyLandrand“ zum Interview in die Lobby, das Lächeln der 39-Jährigen ist ansteckend. Bewusst hat sie ein Gespräch auf anonymem Terrain vorgeschlagen, besser nicht daheim, im Norden Hamburgs, wo sie mit ihrem Mann und den drei Kindern wohnt. Die Privatsphäre zu schützen ist vielen Profis im Netz wichtig, schließlich treiben in der anonymen digitalen Welt so manche Neider oder Stalker ihr Unwesen. Auch die Hamburgerin gehört zu den Stars im Internet, für die sich mehrmals in der Woche Tausende Nutzer Zeit nehmen: LadyLandrand gibt Tipps zum Kochen, Einkaufen oder zu einem gesunden Lebensstil.
Wie ernähre ich die Familie vitaminreich, ohne stundenlang in der Küche zu stehen, welche Bio-Produkte halten, was sie versprechen, warum gehört in jede vernünftig gepackte Tasche auch ein Müllbeutel? Mit solchen Themen ist LadyLandrand bekannt geworden. Den ungewöhnlichen Namen gab sie sich, weil sie einst von Winterhude an den Stadtrand gezogen ist. Obwohl die YouTuberin mit ihren knapp 40 Jahren längst nicht mehr zu der Generation gehört, die mit der Maus in der Hand aufgewachsen ist, kommt sie auf 45.000 Zuschauer im Monat. „Ich spreche über das, was mich interessiert“, sagt die studierte Fitnesspädagogin, die im richtigen Leben als Trainerin bei Tchibo angestellt ist.
Die Geschichte von der Idee bis zum Promi-Status bei YouTube ist schnell erzählt. „Ich bin in Elternzeit, finde das TV-Programm ziemlich langweilig und habe mich dann bei YouTube umgeschaut“, erzählt die Hamburgerin über den Beginn ihrer Karriere im Netz. Dort tummeln sich bereits etliche Amerikanerinnen, die über Frauen-Themen sprechen. „Das will ich auch probieren“, sagte sie sich und drehte ein Video über das Mixen der perfekten Guacamole. Schon der erste Film hatte seine Fans, und LadyLandrand startete durch. Sie investierte in die Kamera, in ein Schneideprogramm und eignete sich den Umgang mit der Technik selber an. Heute lädt sie jede Woche fünf Filme hoch und verdient damit nicht schlecht. Die Summe soll nicht in der Zeitung stehen. Die Einkünfte sind aber nicht nur Privatsache, sondern ein Vertragsgeheimnis.
Denn das Geldverdienen bei YouTube gehört zu den größten Mysterien im Netz. Nur so viel: In Deutschland betreiben mehrere Hundert Menschen ihren YouTube-Kanal hauptberuflich. „Sie können davon leben“, verrät Mounira Latrache, Sprecherin des Internetdienstes. Es sind allerdings Tausende Produzenten, die sich regelmäßig einige Euro mit YouTube dazuverdienen, als Taschengeld, für die nächste Reise. Zu diesen Hobbyfilmern zählt jeder, der seinen Kanal für das Partnerprogramm freigeschaltet hat: Dann wird auf der Seite der Filmemacher und vor ihren Videos Werbung geschaltet. Mehr als die Hälfte der Einnahmen, die YouTube von Werbekunden wie Coca-Cola, Lancôme oder McDonald’s kassiert, leitet das Internetportal an die Partner weiter. „Schließlich sind es ja die Videos unserer Mitglieder, die unsere Seite attraktiv machen – und dafür belohnen wir sie“, sagt Latrache.
Die Aussicht, mit ein paar witzigen Einfällen reich und berühmt zu werden, lässt immer mehr Menschen zur Kamera greifen: „Für viele Jugendliche ist ,YouTuber‘ heute ein Berufswunsch“, sagt Latrache. Der Umfang des neu eingestellten Materials habe sich seit 2010 mehr als verdoppelt. Und die Anfänger werden dabei immer jünger, sagt Chris-toph Krachten, Geschäftsführer von Mediakraft, dem größten Online-Video-Vermarkter im deutschsprachigen Raum. Die Marktmacht der Münchener Firma ist immens: Mit seinen 1000 Kanälen auf YouTube erreicht der Werbevermittler nach eigenen Angaben jeden Monat 14 Millionen Nutzer.
Bei Mediakraft ist auch LadyLandrand unter Vertrag. Ihre Inhalte sind für den Vermarkter besonders attraktiv, weil sie die ältere, kaufkräftige Zielgruppe anspricht. Wenn Marken wie Miele oder Dr. Hauschka Werbung auf ihrer Seite einblenden, können sie eher auf steigende Umsätze hoffen als im Umfeld von Teenie-Zuschauern, die nur über ein kleines Taschengeld verfügen. Auch Mediakraft gibt ungern Details über die Verdienstmöglichkeiten der YouTuber preis. Als Faustregel gilt aber: Ab einer Million Abrufen pro Monat bleibt am Ende so viel übrig, dass man davon leben kann, sagt Krachten.
Eine Karriere als Anwältin – oder doch besser Schminktipps geben für junge Frauen? Vor dieser Frage steht Nancy aus der Hamburger Metropolregion, die als „Mamiseelen“ auf YouTube über Beautythemen spricht. Die Juristin kommt auf mehr als 40.000 Abonnenten, die ihre Filme regelmäßig sehen. Munter drauflosplaudernd, erzählt die dunkelhaarige Schönheit mit asiatischen Wurzeln von ihren Einkaufstouren bei dm, Budni oder Douglas und preist die besten Sonnencremes oder Nagellacke an. „Ich habe 1000 Euro in die Ausrüstung investiert, in die Kamera und die Beleuchtung“, sagt Nancy.
Schnell hat sie eine Fangemeinde gewonnen. Heute bekommt die eloquente Frau regelmäßig Produkte zum Testen von L’Oréal oder Maybelline zugeschickt und verdient an den Werbeeinnahmen. Wie alle YouTuber versichert sie, dass die Unternehmen, deren Neuheiten sie vorstellt, keinen Einfluss auf die Filme nehmen. Ob sie nach dem Studium nun einen Bürojob sucht oder doch eher bei den Videos bleibt, hat die junge Mutter noch nicht entschieden. Sie sieht das Drehen der Internetfilme als „tolles Hobby“ und will die Videos zunächst weiter optimieren. Die Rechtswissenschaft kann warten.
Basti wurde in seiner Burn-out-Phase zu Wohnprinz bei YouTube
Die Faszination der neuen Medien für ein immer breiteres Publikum wird der Branche auch in Zukunft weiteres Wachstum bescheren, ist Mediakraft-Chef Krachten überzeugt. „Online-Video ist das Medium der Zukunft“, prognostiziert der Medienexperte. Die Menschen wollen Inhalte sehen, wenn sie gerade Zeit dafür haben. Sich nach dem Fernsehprogramm zu richten ist retro. Schließlich funktioniert YouTube wie eine Suchmaschine, auf der jeder sein persönliches Unterhaltungs- oder Informationsangebot finden kann.
„Ich glaube aber nicht, dass es das Fernsehen bald nicht mehr geben wird“, sagt YouTube-Sprecherin Latrache. Allerdings wachsen die Medienwelten zusammen. Denn selbst die etablierten Sender greifen auf YouTube zurück, um den Dialog mit den Zuschauern zu fördern. Die US-Serie CSI stellt Forensik-Filmchen auf YouTube, um den Fans besondere Zusatzinhalte zu liefern. Auch TV-Stars wie Stefan Raab treten in dem Internetdienst auf.
Die Bedeutung von YouTube wird durch die übrigen Medien, aber auch durch die Vorlieben der Nutzer befeuert. Junge Menschen suchten ihre Vorbilder nicht mehr im Fernsehen oder in Filmen, sagen Kommunikationsexperten und verweisen auf die Möglichkeit der Stars „zum Anfassen“. Im Netz fänden sie authentische Figuren, den Promi von nebenan. Auf den Videodays in Köln sammelten sich Menschentrauben um die Produzenten, sie wurden für Selfies in den Arm genommen und begrüßt wie gute Freunde: Das Identifikationspotenzial ist viel höher als bei abgehobenen Schauspielern. Es sind Medienstars, mit denen die Zuschauer interagieren können. Die Nutzer schreiben in den Kommentaren der Filme über ihre Sorgen und bekommen Antworten ihrer Idole auf den Bildschirm.
Einer der YouTuber, der den Dialog mit seinen Fans bis in die Details seines Familienlebens pflegt, ist der „Wohnprinz“. Der ehemalige Büroangestellte bekam in einer Burn-out-Phase von seinem Arzt den Tipp, erst mal das zu tun, was ihm am meisten Spaß mache. Er begann Videos mit Einrichtungstipps zu drehen, ging in der Wäscherei Duftkerzen und Regale einkaufen und nahm dabei sogar seine Mutter mit vor die Kamera. „Es ist schön dich zu sehen und deine grauen haare finde ich irgendwie süß :-) Lg“, schreibt snow89flake07 an den 28-Jährigen. Basti, so heißt der Wohnprinz im wirklichen Leben, beantwortet die Zuschriften mit viel Herzblut und erzählte in einem persönlichen Video vor einigen Tagen auch, dass er nun von seiner langjährigen Liebe getrennt ist. Der Lübecker generierte in den vergangenen drei Jahren mehr als acht Millionen Videoaufrufe und trat schon als Promi für Marken wie Bonprix auf. Seinen alten Job hat Basti aufgegeben, er setzt allerdings nicht nur auf die virtuellen Welten: Bald bringt er unter dem Markennamen Wohnprinz seinen ersten selbst designten Artikel auf den Möbelmarkt.