Ungewöhnlich hohe Zahl von Stornierungen im ersten Halbjahr 2014. Manche Airlines korrigieren auf diesem Weg ihre zu positiven Markteinschätzungen.
Hamburg. Im ersten Halbjahr hat Airbus die Bestellung von 515 neuen Jets verbucht – und damit hätte der Flugzeugbauer sein am Jahresanfang für 2014 gestecktes Ziel bislang weit übertroffen: Es lautete, mehr Aufträge hereinzunehmen, als Maschinen an die Kunden ausgeliefert werden. Das waren in den ersten sechs Monaten 303 Flugzeuge. Dennoch ist der Auftragsbestand unter dem Strich nicht gewachsen, denn Airbus musste im gleichen Zeitraum 225 Stornierungen hinnehmen.
Eine derart hohe Quote – 43 Prozent gemessen an den Bruttobestellungen – ist in der Branche sehr ungewöhnlich. In den zurückliegenden fünf Jahren lag sie bei beiden großen Herstellern maximal bei 15 Prozent, meist jedoch deutlich darunter. Lediglich 2009, in einem Krisenjahr für die Luftfahrtindustrie, war die Stornoquote bei Boeing mit 46 Prozent noch höher.
Aufträge von Kunden in finanziellen Schwierigkeiten werden ausgebucht
In den 225 Abbestellungen sind die 70 Langstreckenjets vom Typ A350, deren Stornierung durch die arabische Fluggesellschaft Emirates im Juni erhebliches Aufsehen erregt hatte, bereits enthalten. Emirates habe die Flottenplanung überdacht und verändert, hieß es dazu. Der weitaus größte Teil der Auftragsstreichungen betrifft aber Kurz- und Mittelstreckenmaschinen der A320-Familie. In manchen Fällen handele es sich um den Wechsel von der bisherigen Baureihe auf Jets der neuen Variante A320neo, sagt Airbus-Sprecher Florian Seidel. Bei solchen Umbestellungen könne es „leichte Zeitverzögerungen“ zwischen der Ausbuchung des alten Auftrags und der Aufnahme der neuen Bestellung in das offizielle Orderbuch geben.
Doch es spiele auch ein weiterer Faktor eine Rolle: „Wir schauen immer auf die Qualität des Auftragsbuchs“, so Seidel. Mit anderen Worten: Immer wieder einmal bereinigt Airbus die Liste um Bestellungen, bei denen man nicht mehr davon ausgeht, dass die Flugzeuge tatsächlich abgenommen werden – zum Beispiel, weil der Kunde in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten steckt. Dabei geht der Flugzeugbauer bei Stornierungen keineswegs leer aus: „Vom Datum der Bestellung an gibt es monatliche Vorauszahlungen“, erklärt Seidel, „diese machen einen substanziellen Teil des Kaufpreises aus.“ Branchenkreisen zufolge können sich solche Anzahlungen auf bis zu ein Drittel des Preises summieren.
Lieferzeiten von acht bis zehn Jahren sind nicht ungewöhnlich
Nachdem die Orderbücher bei Airbus wie auch bei Boeing durch sehr hohe Bestellzahlen in den Jahren seit 2011 prall gefüllt sind, erreicht die Lieferfrist bei neuen Aufträgen nun nicht selten acht oder zehn Jahre. Dies führt dazu, dass gerade aufstrebende Fluggesellschaften gewissermaßen auf Vorrat bestellt haben, ohne den Bedarf so lange im Voraus schon präzise prognostizieren zu können.
Manche dieser Kunden seien nun dabei, ihre zu optimistischen Markteinschätzungen zu korrigieren, sagt ein Luftfahrtanalyst, der ungenannt bleiben möchte. Ihm mache die Stornierungswelle mit Blick auf die Airbus-Aktie dennoch „keine Bauchschmerzen“, denn: „Für das Unternehmen kann das eine willkommene Gelegenheit sein, die Produktionskapazitäten frei zu bekommen für neue Kunden, die zu höheren Preisen kaufen.“ Fluggesellschaften, die in einem Jahr mit schlechter Branchenkonjunktur wie etwa 2009 ihre Aufträge erteilten, dürften tendenziell höhere Rabatte ausgehandelt haben.
„Die Zahl von 225 Stornierungen ist tatsächlich überraschend hoch, dennoch würde ich sie nicht überbewerten“, sagt auch Markus Turnwald, Branchenexperte bei der DZ Bank: „Ich sehe keine Anzeichen dafür, dass die Airlines ihre Bestellungen aus den vergangenen Jahren generell überdenken, weil sie ihre Prognosen kappen.“
Man müsse die Anzahl der Abbestellungen im größeren Zusammenhang sehen, meint Turnwald: „Anfang 2013 hatte niemand erwartet, dass Airbus mehr als 1000 Aufträge erhält. Am Ende waren es mehr als 1600.“ Auch in diesem Jahr sei Airbus auf gutem Weg, das Ziel einer weiteren Steigerung des Auftragsbestands, der sich aktuell auf mehr als 5500 Jets beläuft, zu erreichen. So könne Airbus-Chef Fabrice Brégier auf der Luftfahrtmesse in Farnborough in der kommenden Woche wieder gute Nachrichten verkünden.
Eine generelle Bestellblase befürchte man nicht, sagt Firmensprecher Seidel: „Der Wachstumstrend im Luftverkehr ist solide und stabil.“ Gerade erst hat Konkurrent Boeing seine Prognose für die Zahl der neuen Flugzeuge, die in den nächsten 20 Jahren weltweit benötigt werden, um rund 1500 auf knapp 36.800 Jets aufgestockt.