Das Unternehmen lindert mit bearbeiteter Musik den Dauerton im Ohr. Zusammenarbeit mit Sennheiser. Rund drei Millionen Menschen sind allein in Deutschland an einem chronischen Tinnitus erkrankt.
Hamburg. In einem alten Backsteinhaus, das ehemals zum Hamburger Schlachthof gehörte, herrscht neues Leben. Start-ups, also junge Unternehmen, haben sich hier mit Unterstützung der Stadt eingemietet und tüfteln an verschiedenen Ideen. Einige der Jungunternehmen sind noch am Anfang, andere stehen kurz vor dem Erfolg. So auch die Firma Sonormed mit ihrem neuartigen Produkt Tinnitracks.
Die drei Gründer Jörg Land, Matthias Lanz und Adrian Nötzel haben eine Technologie zur Linderung des Tinnitus erfunden: Sie wollen die Geräusche im Ohr verdrängen und so das Leben der Erkrankten erträglicher machen. Rund drei Millionen Menschen sind allein in Deutschland an einem chronischen Tinnitus erkrankt. Im Extremfall können die Betroffenen nachts nicht schlafen. Sie leiden ständig unter einem unangenehmen Ton im Kopf, müssen sich oft einer Psychotherapie unterziehen, um zu lernen, wie sie mit den Dauergeräuschen umgehen können. Depressionen, bis hin zu Selbstmordgedanken gehören auch zu den möglichen Folgen.
Dabei haben Forscher an der Universität Münster längst entdeckt, dass speziell gefilterte Musik im Fall eines subjektiven sogenannten tonalen Tinnitus hilft, um die Belastung der Patienten deutlich zu senken, sagt Jörg Land, Geschäftsführer von Sonormed. Doch wie dies in die Praxis umgesetzt werden sollte, wusste lange Zeit keiner. Aber im Jahr 2013 ist es Sonormed und je einem Toningenieur, Informatiker und einem Psychologen gelungen, ein Medizinprodukt unter dem Namen Tinnitracks zur Marktreife zu bringen. Die damit verbundene Therapie sorgt zumindest dafür, dass die lästigen Töne im Kopf leiser werden, wenn die Patienten über längere Zeit ihre Lieblingsmusik hören.
Doch ganz so einfach, wie sich dies anhört, ist die Sache nicht. Zuerst muss beim Hals-Nasen-Ohrenarzt oder dem Hörakustiker die persönliche Tinnitus-Tonfrequenz ermittelt werden. Der Tinnitus-Ton wird so lokalisiert. Im nächsten Schritt wird aus der Lieblingsmusik des Patienten genau diese störende Frequenz herausgefiltert. Die entstehende Lücke legt den betreffenden Bereich still und stimuliert die benachbarten Nervenzellen. Möglich ist dies, weil die Nervenzellen im Hörzentrum vergleichbar mit einem Klavier ihrer Frequenz nach angeordnet sind. In der Praxis bedeutet dies, dass bei Patienten, die speziell nur frequenzgefilterte Musik hören, ausschließlich die Nervenzellen stimuliert werden, die außerhalb des Tinnitus-Bereichs liegen.
Die Musik kann über einen PC, Laptop oder ein iPod gehört werden, möglichst jeden Tag eine Stunde lang. Das Gehirn gewöhnt sich laut dem Ingenieur Adrian Nötzel, der seine Diplomarbeit über das Thema geschrieben hat, sehr schnell daran, dass seine Lieblingsmusik an manchen Stellen anders klingt, weil manche Töne verändert worden sind. Musik wird zur Therapie. Das wiederholte Hören der Musik trainiert gewissermaßen einen Teil des Gehirns, den Tinnitus nicht mehr wahrzunehmen. „Das Verfahren ist ein automatisierter Prozess. Der Patient muss sich nur noch die von uns bearbeitete Musik herunterladen“, sagt Nötzel. Da dies relativ einfach ist, hoffen die Tinnitracks-Experten, dass die Patienten treu bleiben und die Abbrecherquote nicht so hoch sein wird wie bei vielen anderen Therapien.
Nötzel, der Betriebswirt, Land und der IT-Spezialist und Wirtschaftsinformatiker Matthias Lanz haben den Kopfhörerspezialisten Sennheiser als Partner gewinnen können. Bundesweit bieten bereits 200 Hörakustiker das System an, so etwa die Firma Die Hörmeister in Hamburg. „Wir schulen die Mitarbeiter in den Läden selbst“, sagt Land. Die neue Therapie ist nicht ganz billig. Der Service, der online auf den Computer des Kunden kommt kostet 539 Euro pro Jahr. Dafür bereiten die Hamburger Experten die Musik des Kunden auf und schicken unter anderem Updates von der Software. Ein gutes Hörgerät kann übrigens wesentlich teurer sein. „Natürlich sprechen wir mit den Krankenkassen wegen der Kosten“, sagt Land. Doch ob die Gespräche zum Erfolg führen, muss sich erweisen. Bezüglich der Kassen absolviert das Unternehmen gerade einen Gesprächsmarathon.
„Unser Hauptgedanke bestand darin, aus einer spannenden medizinischen Idee eine pragmatische technische Lösung zu entwickeln“, sagt Land. Und das ist dem Unternehmen nun gelungen. Erste Erlöse werden bereits erwirtschaftet. Allerdings reicht dies noch nicht aus, um die fünf festen und fünf freien Mitarbeiter, die als Softwareentwickler in München arbeiten, zu bezahlen. Doch das neue Konzept Tinnitracks hat bundesweit viel Aufmerksamkeit erhalten: Insgesamt hat das Unternehmen bislang neun Auszeichnungen und Förderungen bekommen. Bei der Veranstaltung Startups@Reeperbahn wurden die Gründer immerhin mit 75.000 Euro unterstützt.
Von der Stadt Hamburg gab es im November 2013 auch Geld. Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) hat dem Unternehmen einen Förderscheck in Höhe von 140.000 Euro überreicht. Auch die Innovationskontaktstelle der Handelskammer hat dem Unternehmen geholfen.
Land hat sich bereits früh mit dem Unternehmertum befasst. 2009 waren Matthias Lanz und er beim Verkauf des Start-ups cellity an Nokia dabei. Zudem war er daran beteiligt, für die Otto-Tochter quelle.de das Marketing aufzubauen. „Wir sind froh, dass wir in Hamburg so gut aufgenommen werden“, sagt Geschäftsführer Land.