Mit Millioneninvestitionen bereitet sich Lufthansa Technik auf die Betreuung der neuen Kunststoff-Jets von Airbus und Boeing vor. Zusammen mit der TU Hamburg-Harburg wird derzeit an einem „Krabbelroboter“ gearbeitet.

Hamburg. Vor einigen Jahren fand man bei Boeing eine sehr eindrucksvolle Methode, die Kunden von einem angeblichen Vorteil des Kohlefaserwerkstoffs zu überzeugen: Die auf einer Marketingveranstaltung versammelten Manager diverser Fluggesellschaften wurden gebeten, kräftig mit einem Vorschlaghammer auf eine Rumpfschale aus dem für das Modell 787 „Dreamliner“ vorgesehenen Hightech-Material einzuschlagen. Während eine konventionelle Aluminium-Außenhaut tiefe Beulen gezeigt hätte, überstand das schwarze Karbon-Material die Misshandlung ohne äußerlich erkennbare Schäden.

Einen wesentlichen Fakt jedoch verschwiegen die Boeing-Verkäufer den Kundenvertretern: Für den Einsatz in einem Flugzeug wäre das Rumpfsegment nach dieser Demonstration nicht mehr tauglich gewesen. „Kohlenstofffaserverstärkter Kunststoff (CFK) ist zwar fester als Aluminium, kann nach solchen Belastungen aber aufgrund von inneren Schäden schlagartig brechen“, sagt Helge Sachs, Leiter des Bereichs Innovationsmanagement und Produktentwicklung bei Lufthansa Technik.

Der Grund für dieses Verhalten liegt im Aufbau des Materials: Karbonfaserwerkstoffe sind so fest, weil sie aus etlichen, bei hoher Temperatur zusammengebackenen Schichten mit unterschiedlicher Faserausrichtung bestehen. Bekommt ein CFK-Bauteil aber einen harten Schlag ab, können sich die Schichten voneinander lösen, womit die Stabilität verlorengeht. „Delamination“ nennen die Fachleute dieses Phänomen. Seine Gefahr liegt darin, dass der Schaden von außen nicht sichtbar ist.

Zwar hat die Luftfahrtindustrie schon seit den 1970-er Jahren Erfahrung mit dem Werkstoff, seit 1988 baut Airbus die Seitenleitwerke der A320 daraus. „Aber bei den neuen Flugzeugtypen Boeing 787 und Airbus A350 bestehen auch Rumpf und Tragflächen aus diesem Material“, sagt Sachs. „Daher müssen wir uns nun deutlich intensiver auf den Umgang damit einstellen.“

Dabei geht es nicht zuletzt um die Reparatur von äußeren Beschädigungen der Jets – ein Geschäft, das bei Lufthansa Technik ein Umsatzvolumen im dreistelligen Millionenbereich ausmacht. „Im Schnitt verzeichnet man pro Flugzeug und Jahr mehr als zehn Schäden durch Hagel, Blitze, Vogelschlag und unsachgemäßes Rangieren von Vorfeld-Fahrzeugen“, erklärt der Lufthansa-Technik-Manager.

Klar ist, dass künftig immer häufiger auch CFK-Jets betroffen sein werden. „Nach unseren Erkenntnissen werden bis zum Jahr 2020 schon mehr als 1300 dieser Flugzeuge am Markt sein“, sagt Sachs. „Mit dem Fokus auf CFK-Reparaturen streben wir an, ein Viertel dieser Flotte technisch zu betreuen.“

„Krabbelroboter“ soll Inspektionen erledigen

Zusammen mit der Technischen Universität Hamburg-Harburg entwickelt Lufthansa Technik derzeit einen so genannten „Krabbelroboter“, der künftig Inspektionen an Aluminium- aber auch Kunststoff-Fliegern automatisiert erledigen soll, falls möglich sogar mechanische Bearbeitungen.

Der 75 Kilogramm schwere Demonstrator hat sechs Saugfüße, mit denen er sich auch unten am Rumpf eines Flugzeugs fortbewegen kann. „In der ersten Phase soll der Roboter aber erst einmal die Oberfläche nach Stellen absuchen, an denen es zu einer Delamination gekommen ist“, sagt Henrik Schmutzler, CFK-Experte bei Lufthansa Technik. Dafür erwärmt der Roboter mit einem Halogenscheinwerfer die zu untersuchende Stelle und filmt sie anschließend mit einer Infrarotkamera: „Wenn sich CFK-Schichten voneinander gelöst haben, kühlt das Bauteil anders ab, und der Schaden wird in der Infrarotaufnahme sichtbar.“

In etwa fünf Jahren könnte der Krabbelroboter mit allen Prüf- und Bearbeitungsköpfen einsatzreif sein. Doch an Reparaturverfahren für Flugzeuge aus Kohlenstofffaserwerkstoffen wird bis dahin noch geforscht. Bei den herkömmlichen Jets aus Aluminium ist das ganz einfach: Ein „Flicken“ aus Aluminium wird auf die beschädigte Stelle genietet. Im Prinzip geht das zwar auch bei einer Kunststoffoberfläche. Weil es an den Berührungspunkten zwischen CFK und Aluminium aber zu Korrosion kommen kann, müssen die Techniker für den Flicken auf wesentlich teureres und schwerer zu verarbeitendes Titan zurückgreifen. „Außerdem werden durch das Bohren die lasttragenden Fasern durchtrennt, so dass die Reparatur entsprechend größer ausgelegt werden muss“, so Schmutzler. Eine größere Reparaturstelle ist aber aerodynamisch ungünstiger.

„Es gibt für tragende Teile des Rumpfs und der Flügel bisher kein wirklich werkstoffgerechtes Verfahren, das von der Luftfahrtbehörde zugelassen wäre“, sagt der Experte, der von der TU Harburg kommt und erst seit April bei der Hamburger Lufthansa-Tochter angestellt ist. Die ideale Vorgehensweise sähe so aus: Die schadhafte Stelle wird ausgeschnitten, der Bereich rundherum in sehr flachem Winkel großräumig angeschliffen. Dann wird ein CFK-Flicken praktisch bündig aufgeklebt, die Klebestelle muss bei 120 bis 180 Grad Hitze aushärten.

Derartige Reparaturen sollen als Servicedienstleistung von mobilen Spezialisten aus Hamburg in der ganzen Welt erbracht werden, um Beschädigungen am Flugzeug auch direkt beim Kunden vor Ort zu reparieren.

Eines steht für Helge Sachs schon jetzt fest: „Reparaturen an CFK-Jets sind deutlich teurer als an Flugzeugen aus Aluminium.“ Für Lufthansa Technik liegt jedenfalls eine Marktchance darin, ein effizientes Verfahren anbieten zu können; manche Wettbewerber werden nicht in der Lage sein, die dafür nötigen Investitionen in Forschung und Entwicklung aufzubringen.

Zwar erhält die Lufthansa selbst erst im Jahr 2016 ihre ersten A350-Jets in CFK-Bauweise, aber mehrere Technik-Kunden wie Air Canada, Japan Airlines, Ethiopian und TUI Travel betreiben schon jetzt Boeing-787-Maschinen. Sachs sieht die LHT weltweit als Technologieführer im Bereich der flugzeugtechnischen Dienstleistungen und damit auch der Reparaturen von Kohlenstofffaser-Bauteilen: „Wir sind den anderen einige Schritte voraus.“

Das Unternehmen gibt erhebliche Beträge dafür aus, dass das so bleibt: Von dem für die nächsten vier Jahre auf insgesamt 200 Millionen Euro verfünffachten Etat für Produkt- und Verfahrensinnovationen ist ein erheblicher Anteil für CFK-bezogene Themen vorgesehen. Gut ein Dutzend Personen in der Firma arbeiten an der Entwicklung innovativer CFK-Reparaturverfahren, hinzu kommen externe Wissenschaftler und Beschäftigte von Mittelständlern im Rahmen der Luftfahrtcluster-Kooperation.

Auch wenn Lufthansa Technik in den Jahren 2013 und 2014 rund 400 Arbeitsplätze in der Verwaltung abbaut, entstehen über 300 neue Stellen für Zukunftsthemen, davon zahlreiche im Bereich Innovation, Technologie- und Produktentwicklung. Einer der Schwerpunkte liegt auf neune Kabinenprodukten.

Wenn es nach den Werbeaussagen von Boeing und Airbus geht, könnte in den Kunststoff-Fliegern – abgesehen von der Reparatur – aber eine Bedrohung für eine andere Sparte von Lufthansa Technik liegen: Während Jets aus Metall ungefähr alle sechs Jahre eine Grundüberholung bei einem Wartungsbetrieb benötigen, wird sie bei den neuen Flugzeugen nach Angaben der Hersteller nur noch alle zwölf bis 18 Jahre fällig, weil Kohlenstofffaser-Werkstoffe weniger anfällig für Korrosion und für Materialermüdung seien. Eine derartige Verlängerung der Überholungsintervalle würde den Hamburgern empfindliche Umsatzrückgänge bringen. Sachs ist solchen Prognosen gegenüber jedoch skeptisch: „Das alles muss sich erst zeigen. Ich glaube nicht, dass uns durch die CFK-Jets unter dem Strich Geschäft wegbricht.“