Carla Kriwet ist seit einem Jahr Chefin von 7000 Mitarbeitern bei Philips. Die Deutschland-Zentrale in Hamburg zieht nach Fuhlsbüttel um, die Arbeitsplätze seien sicher, versichert die Managerin.
Hamburg. Carla Kriwet steht seit einem Jahr an der Spitze von Philips Deutschland. Sie ist damit nicht nur für die 3300 Mitarbeiter in Hamburg verantwortlich, die bald an einem einzigen Standort, in einem Neubau neben der Medizintechnikfabrik in Fuhlsbüttel zusammenziehen. Insgesamt führt die 43-Jährige in der deutschsprachigen Region 7000 Beschäftigte des niederländischen Elektrokonzerns, der sich fortan auf die Bereiche Licht, Hausgeräte und Medizintechnik konzentriert und sich in einem starken Strategiewandel befindet. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin ist Mutter von drei Kindern, lebt in den Walddörfern und liebt an Hamburg „den Wind und die unaufgesetzte Herzlichkeit“ der Menschen. Carla Kriwet kam nach Stationen bei Linde und Dräger in die Hansestadt. Aufgewachsen ist die Managerin in Essen, als Tochter von Heinz Kriwet, des früheren Vorstandsvorsitzenden von Thyssen. Im ersten Zeitungsinterview seit der Übernahme der Geschäftsführung in Hamburg spricht sie über die Bedeutung des Standortes für Philips und die Zukunft der Medizintechnik.
Hamburger Abendblatt: Mit Ihrer Erfahrung im sozialen Bereich nehmen Sie im Top-Management eine Sonderstellung ein. Nach dem Abitur gingen Sie nach Burundi und arbeiteten zuletzt im Vorstand von Save the Children Deutschland. Wie haben diese Aufgaben Sie geprägt?
Carla Kriwet: Ich nehme mich selber nicht mehr so ernst. Wenn man in einem Slum oder einem Flüchtlingslager gearbeitet hat, ist man hier nicht mehr so emotional betroffen, wenn ein Kundenauftrag nicht rechtzeitig kommt. Man ist glücklich, wenn man eine gesunde Familie hat, empfindet Dankbarkeit.
Ihr kaufmännischer Hintergrund ist ebenfalls vielfältig: Sie arbeiteten bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, bekleideten Spitzenpositionen bei der Linde AG und im Lübecker Drägerwerk. Welche Erfahrungen sind Ihnen bei Philips besonders dienlich?
Kriwet: Ich muss die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass sich jeder Mitarbeiter als Unternehmer fühlt. Und: Wachstum kommt in den meisten Firmen nicht von alleine. So haben wir zum Beispiel bei Linde begonnen, Lungenpatienten, die früher nur auf der Intensivstation gepflegt wurden, in speziellen Beatmungsheimen zu betreuen. Das ist deutlich angenehmer für die Patienten, entlastet die Krankenhäuser und ist günstiger für die Krankenkassen. Und es ist für das Unternehmen ein attraktives Wachstumsfeld. Oft muss man Geschäftsmodelle radikal ändern, um erfolgreich zu sein.
In der Industrie sind Frauen im Spitzenmanagement noch immer eine seltene Spezies. Welche Vor- oder Nachteile empfinden Sie als weiblicher Chef?
Kriwet: Für mich ist das kein Thema. Ich bin mit zwei Brüdern aufgewachsen, der Umgang mit Jungs ist für mich nichts besonderes (lacht).
Durch die Übernahme des Hamburger Unternehmens C. H. F. Müller gelang Philips 1927 der Einstieg in die Medizintechnik. Hier entstand die erste für medizinische Zwecke geeignete Röntgenröhre. Welches Zeichen setzen Sie damit, dass Sie mit der Verwaltung an den Standort dieser Fabrik zurückkehren?
Kriwet: Wir führen hier nicht nur ein historisches Erbe fort: 100 Jahre Innovationen aus Hamburg, über 50 Jahre Headquarter für Deutschland. Natürlich haben vor dem jetzigen Umzug auch günstigere Standorte um den Sitz des Headquarters gebuhlt, aber wir brauchen gute Leute. Und diese kommen nun einmal gerne nach Hamburg. In Fuhlsbüttel ziehen wir die Verwaltung, die bis jetzt am Lübeckertordamm sitzt, und die Entwicklung sowie Produktion der Medizintechnik zusammen. Das stärkt die Zusammenarbeit über die Funktionen hinweg
Im Jahr 1984 erzeugte das Forschungslabor in Hamburg die weltweit ersten Bilder des menschlichen Kopfes mit Hilfe der Kernspin-Tomographie. Welche Technologien werden die Medizintechnik in Zukunft revolutionieren?
Kriwet: Es geht darum, die Belastung für Patienten weiter zu verringern. Wir entwickeln in Hamburg in der Forschung beispielsweise eine schnelle, nicht-invasive Diagnosemöglichkeit von Herzerkrankungen. Es handelt sich um ein strahlenfreies, bildgebendes Verfahren, das hochauflösende 3D-Bilder der Herzkranzgefäße und der Durchblutung des Herzmuskels liefert.
Welche Bedeutung hat Hamburg in diesem Segment? Immerhin stellt Philips die Medizintechnikgeräte für den Massenmarkt inzwischen nicht mehr in der Hansestadt her, sondern beispielsweise in Brasilien.
Kriwet: Aus der Fabrik mit 1200 Mitarbeitern liefert Philips derzeit unter anderem 6000 Glasröhren im Jahr für seine Röntgengeräte – weltweit. Wir beschäftigen hier 100 Spezialisten in der Forschung, so dass wir mit Innovationen wettbewerbsfähig bleiben. Aber es ist auch richtig: Produkte, die am Ende ihres Lebenszyklus stehen und nicht mehr zu den Neuheiten zählen, fertigt Philips nicht am Hochlohnstandort Hamburg.
Nachdem in den vergangenen Monaten einige Stellen in der Fertigung gestrichen wurden, sind die 1200 Arbeitsplätze dort aber sicher?
Kriwet: Gleichzeitig wurden Stellen aufgebaut, so dass sich die Gesamtzahl nicht verändert hat. Ich kann Ihnen versichern, dass wir auch in Zukunft in den Standort Hamburg investieren werden und damit Wachstum und Arbeitsplätze generieren.
Der Umzug betrifft etwa 1100 Mitarbeiter, die jetzt am Lübeckertordamm für Philips arbeiten, in Verwaltungsfunktionen sowie Vertrieb und Marketing für die Bereiche Licht, Elektrokleingeräte und Medizintechnik. Die neue Zentrale ist ebenfalls auf 1100 Beschäftigte ausgelegt?
Kriwet: Ja, wir haben das neue Gebäude für alle 1100 Mitarbeiter des Headquarters geplant.
Die auch in Hamburg aktive Halbleitersparte von Philips ist vor zehn Jahren verkauft worden, auch von der Fernseher- und Radiosparte trennt sich der Konzern. Warum?
Kriwet: Unsere strategische Ausrichtung liegt fortan auf den Themen Gesundheit und Wohlbefinden, und zwar Synergien bindend über unsere drei Sektoren Licht, Elektrokleingeräte und Medizintechnik hinweg. Unser Airfryer, eine Art Heißluft-Friteuse, kommt mit einem Teelöffel Olivenöl aus. Dieses Produkt zählt zu unseren Haushaltsgeräten, zahlt aber auch auf das Thema Gesundheit ein. Ähnlich beim Licht: Wenn ich mit intelligenten LEDs auf das Wetter reagiere und diese bei Regen via App Steuerung automatisch eine warme, helle Lichtfarbe erzeugen, steigert dies das Wohlbefinden und kann sich positiv auf die Gesundheit auswirken.
In diesem Jahr ging Ihre Fernseherabteilung mit weltweit 3500 Beschäftigten vollständig in die Hände eines taiwanesischen Unternehmens über. Zudem steht die Radiosparte mit mehr als 2000 Mitarbeitern zum Verkauf. Die Beschäftigten gehören dann nicht mehr zu Ihrem Konzern. Wie viele Mitarbeiter sind von dieser Maßnahme in Hamburg betroffen?
Kriwet: Die Zahlen zu Hamburg geben wir nicht heraus. Sämtliche zu unserem Bereich Lifestyle Entertainment zählenden Mitarbeiter sind zuletzt in das neue Unternehmen WooX Innovations gewechselt. Die Unterhaltungselektronik passt nicht mehr in unsere Strategie. Die Käufer werden aber den Markennamen Philips fortführen.
Die Radio- und die TV-Sparte stehen in besonders starkem Wettbewerb zu preisaggressiven asiatischen Anbietern. Schafft es Philips, sich in den übrigen Bereichen gegen die Konkurrenz aus Fernost zu behaupten?
Kriwet: Wir haben 2013 weltweit einen Umsatz von 23,3 Milliarden Euro erzielt und sind mit den Erträgen sehr zufrieden. Unsere deutschsprachige Region hat mit einem sehr guten einstelligen Umsatzwachstum deutlich zu diesen Erfolgen beigetragen, sie ist der drittgrößte Absatzmarkt für Philips weltweit. Mit nahezu 20 Prozent Marktanteil sind wir bei Elektrokleingeräten, wozu unter anderem unsere Rasierer und Zahnpflegeprodukte zählen, in Deutschland mit Abstand Marktführer.
Wie lautet bei den Elektrogeräten Ihre Strategie?
Kriwet: Wir konzentrieren uns darauf, weniger standardisierte Produkte herzustellen, dafür aber mehr auf regionale Kundenbedürfnisse einzugehen. Beispiel: Ein Reiskocher muss in Korea ganz anders aussehen als in China. In Deutschland bieten wir ihn gar nicht an. Bei Elektrokleingeräten setzen wir auf Innovationen, die unseren Kunden einen deutlichen Mehrwert liefern. Bei uns liegen also weniger die Massenmarkt tauglichen Produktlösungen im Fokus denn viel mehr Innovationen, die dem Kunden einen Mehrwert liefern, damit Trends setzen und schließlich ganze Märkte neu entwickeln. Aber auch hier haben wir selbstverständlich zum Ziel, mit unserer Marke möglichst viele Menschen anzusprechen.