In Bremen bildet Siemens Servicetechniker für den weltweit wachsenden Markt aus. Mehr als 11.000 wurden an der Weser schon geschult.

Thibault Renaudin wird gehängt. Zwei Deutsche ziehen den Franzosen an einem Stahlgerüst empor. Das ist kein Akt der Gewalt, sondern Teamarbeit. Renaudin, 34, der auf einer Notfalltrage festgeschnallt ist, spielt einen verletzten Windkrafttechniker, der im Turm einer Offshore-Windturbine geborgen werden muss – aufsteigend von unten nach oben. Denn das Boot am Ausstieg des Windkraftwerks auf hoher See ist defekt. Also bleibt nur der Helikopter, um den Mann an Land zu bringen. Dafür allerdings muss er von seinen Kollegen am Klettergeschirr erst mal in Handarbeit nach oben ins Maschinenhaus gezogen werden.

Wäre der Notfall echt und würde der Fahrstuhl in der Windturbine auf See nicht funktionieren, müssten seine Kollegen den Verletzten vom Turmboden bis zur Helikopterplattform rund 100 Meter hoch liften. Zwar mithilfe eines Flaschenzugs und Umlenkrollen, aber doch mit Muskelkraft. Schon die drei Meter, die Renaudin am Stahlgerüst in der Halle von den beiden anderen Männern angehoben wird, sind diffizil. An einem Stahlturm einige Meter entfernt in der Halle übt zeitgleich ein Trupp von Mechanikern, wie man einen Verletzten in der Notfalltrage aus gut zehn Metern in der Höhe von oben nach unten sicher abseilt, eine Situation, wie sie eher in einem Windkraftwerk an Land vorkommen könnte. Denn dort hat man zumindest für den Abtransport meist sicheren Boden unter den Füßen.

Alle Handgriffe müssen bei den Bergungsübungen in den engen Stahlstrukturen aus dem Effeff sitzen. Die Männer tragen dabei Schutzhelme und Sicherheitsanzüge wie im Arbeitsalltag auch. Die Erarbeitung des Trainingsplans ist schweißtreibend. Aber Nils Gneiße, 44, der Leiter des Siemens-Windenergie-Trainingscenters in Bremen, folgt mit seinen Mitarbeitern festen Standards: „Das Ausbildungsprogramm für die Servicetechniker insgesamt ist sehr komplex. Es basiert auf dem hauseigenen Trainingsprogramm von Siemens“, sagt er. Neue Servicekräfte erhalten bei Gneiße und seinen sechs Trainern – demnächst sollen es zehn sein – ihre Grundausbildung. Ausgebildete Servicetechniker kommen regelmäßig zur Auffrischung und Aktualisierung ihrer Kenntnisse nach Bremen.

Zehntausende Windturbinen drehen sich mittlerweile auf der ganzen Welt und erzeugen Strom, überwiegend an Land, zunehmend auch in Offshore-Windparks auf dem Meer. Allein in Deutschland waren Ende 2013 rund 23.700 Windturbinen am Netz. Um diese große und ständig weiter wachsende Zahl komplexer Windkraftwerke in Gang zu halten, brauchen die Hersteller der Maschinen und auch die Betreiber der Windparks immer mehr gut geschultes Servicepersonal. Allein Siemens und das von dem Konzern 2004 übernommene dänische Unternehmen Bonus haben weltweit in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt 13.000 Windturbinen installiert. Im Geschäft mit Offshore-Windgeneratoren ist Siemens mit bislang rund 1300 angeschlossenen Maschinen Weltmarktführer.

Geleitet wird das internationale Windkraftgeschäft bei Siemens von Hamburg aus. Geschult werden die Servicetechniker an vier Zentren, die für bestimmte Regionen und Maschinentypen des Konzerns zuständig sind. Neben der Anlage in Bremen betreibt Siemens Trainingseinrichtungen im dänischen Brande, im britischen Newcastle und in Orlando im US-Bundesstaat Florida. „Die Arbeit von Servicetechnikern für Windturbinen ist anspruchsvoll, die Mitarbeiter sind hoch qualifiziert. Das hat nicht mehr viel mit der Vorstellung von Blaumann und verschmierten Händen zu tun“, sagt Gneiße. „Die Leute müssen komplexe computer- und softwaregestützte Diagnosen des Maschinenzustandes aufsetzen und auswerten können. Man kann den Zustand einer Maschine zunehmend per Ferndiagnose überwachen. Aber ohne Techniker auf der Anlage, ohne Menschen vor Ort wird es letztlich nie gehen.“

In der Halle steht auf einem Stahlbock ein komplett ausgerüstetes Maschinenhaus einer 2,3-Megawatt-Windturbine. Die gesamte Installation wiegt 120 Tonnen, so viel wie eine große Elektrolokomotive. In Bremen wird das Personal über die Basisausbildung hinaus speziell auf diesen Typ geschult. Jahrelang hatte die Anlage Strom produziert, bevor sie für Trainingszwecke umgewidmet wurde. Alles ist original erhalten, nur der Rotor und der Turm der Windturbine finden in dem Gebäude keinen Platz. An verschiedenen Ständen um die Maschine herum stehen die mechanischen und elektrischen Komponenten der Anlage einzeln aufgebaut, an denen die Techniker schrittweise separat geschult werden.

„Der Service für eine Windturbine reicht von der Montage und Inbetriebsetzung bis zur langjährigen Wartung“, sagt Gneiße. „Dazu gehört auch, die beweglichen Teile intakt zu halten, Spiel etwa bei Lagern zu messen, Verschleiß zu inspizieren, Bremsbeläge für die Rotoren zu prüfen. Auch die Inspektion der Rotorblätter ist ein wichtiges Thema.“ Neue Anlagen werden einmal im Jahr inspiziert. In längeren Intervallen tauschen die Techniker mögliche Verschleißteile aus, alle fünf Jahre zum Beispiel die Hydraulikschläuche.

Rund 11.000 Servicetechniker wurden am Trainingszentrum Bremen seit Eröffnung der Anlage im Jahr 2009 geschult. Gneiße, von Haus aus Handwerksmeister für Elektrotechnik, war in seinen gut 20 Berufsjahren in der Windkraftbranche für Siemens und für Bonus als Serviceexperte in vielen Ländern im Einsatz. Nun kommt die Welt zu ihm ins Bremer Überseequartier. „Wir bilden Techniker aus Europa, dem Mittleren Osten und Afrika aus, vereinzelt auch aus dem asiatischen Raum.“ Nach der Schulung gehen die Techniker dann auf Montage: „Servicezentren müssen immer möglichst nah an den Windturbinen oder an den Windparks liegen“, sagt Gneiße. „Unsere Servicetechniker werden weltweit eingesetzt, überall dort, wo Windturbinen von Siemens installiert sind.“

Das Servicezentrum in Bremen ist in die Ausbildung, aber auch in die Nachwuchswerbung für die Windkraftsparte des Konzerns eng eingebunden. Die Lehrgänge sind modular aufgebaut, je nach Programm dauern sie bis zu sechs Wochen. In den ersten vier Stufen werden die Grundlagen des Sicherheitstrainings vermittelt, in der fünften Stufe geht es um den jeweiligen Maschinentyp, auf dem die Techniker später eingesetzt werden. „Wir bieten auch noch weiterführende Module an“, sagt Gneiße. „Zusätzliche Offshore-Qualifikationen für die Arbeit auf dem Meer bekommen unsere Mitarbeiter bei Partnerunternehmen in speziellen Schulungen in Bremerhaven und Elsfleth.“

Die Nachfrage nach Servicetechnikern wachse inzwischen deutlich, sagt Gneiße, mit der Anzahl von Windturbinen an Land und zunehmend auch auf See. „Die Anforderungen sind hoch. Unsere Servicetechniker müssen nicht nur inhaltlich sehr gut qualifiziert sein, sondern auch körperlich topfit. Auf einer Anlage arbeitet man weitgehend eigenverantwortlich. Man trägt im Grunde Verantwortung für den Zustand eines kompletten Kraftwerks.“

Wer eine abgeschlossene technische Berufsausbildung mitbringt, vorzugsweise als Elektriker oder Mechatroniker, hat in der Branche beste Chancen. Erfahrung mit der Arbeit auf einem Windkraftwerk müssen Bewerber nicht zwingend besitzen: „Wir suchen sehr gezielt Servicetechniker für den Offshore-Bereich. Vor allem für den Einsatz in Deutschland steigt der Bedarf derzeit stark, in absehbarer Zeit auch in anderen europäischen Ländern.“ Speziell für den Einsatz in Windparks auf dem Meer brauchen Servicetechniker neben ihrer handwerklichen Qualifikation auch die Bereitschaft, in einem Rhythmus tätig zu sein, der an die Seefahrt erinnert: „Wer auf einem Offshore-Windpark arbeitet“, sagt Gneiße, „ist zwei Wochen im Einsatz und hat dann zwei Wochen frei.“