Nach einer neuen Richtlinie des Bundes muss an 28 Brücken im Hafen die Statik nachgerechnet werden. Gleich bei der ersten entdecken die Ingenieure Mängel. Die Folge: Weitere Verkehrsbeschränkungen auf der Hauptroute.
Hamburg. Die Straßenbauer der Hamburg Port Authority (HPA) stehen offenbar vor einem größeren Problem: Die Argentinienbrücke auf Hamburgs Haupthafenroute leidet unter dem schweren Verkehr. Und zwar so stark, dass die Statik den Ingenieuren Sorgen bereitet. Um schwerere Schäden an der Querung über den Reiherstieg zu vermeiden, wird der Verkehr eingeschränkt. Für alle Laster gilt ab 1. März Tempo 30 und ein Überholverbot. Schwere Lkw mit einem Gewicht von mehr als 44 Tonnen dürfen nur in Ausnahmefällen über die Brücke fahren; und zwar nach vorheriger Anmeldung, mit Polizeibegleitung, im Schritttempo und in der Fahrbahnmitte.
Grund für die Einschränkungen ist die hohe Beanspruchung der 1983 gebauten Brücke, die für solche Lasten eigentlich gar nicht ausgelegt ist. Seit den 80er-Jahren ist der Straßenverkehr im Hafen um 30 Prozent gewachsen. Insbesondere der Schwerlastverkehr macht Hamburgs Straßen zu schaffen. Im Jahr 2010 wurden 4000 Transporte mit jeweils mehr als 100 Tonnen Gewicht beantragt, 2012 waren es 9000. Die Zahl hat sich also innerhalb von zwei Jahren mehr als verdoppelt.
Für den Hafenverkehr bedeutet das ein zweites, ernstes Hindernis. Denn schon die Köhlbrandbrücke am westlichen Ende der Haupthafenroute ist mit einem Überholverbot belegt, was aber bisher ohne Folgen für den Verkehrsfluss blieb. Der Übergang ist eine wichtige Verbindung im Hafen. 30.000 Fahrzeuge nutzen täglich die Hafenhauptroute, welche die Köhlbrandbrücke mit der Hamburger Innenstadt verbindet. Mit der Einschränkung bei einer weiteren Brücke steigt nun die Gefahr für Staus. Zumal drei- bis sechsmal pro Woche besonders schwere Großraumtransporte stattfinden, die künftig nur allein die Brücke in Schrittgeschwindigkeit passieren dürfen.
Das ist aber nicht das einzige Problem der Straßenexperten in der HPA. Die Ingenieure müssen befürchten, auf weitere marode Tragekonstruktionen zu stoßen. Die Argentinienbrücke ist nämlich nur das erste von mehreren Brückenbauwerken, bei der die Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit statisch nachgerechnet wird. Und gleich bei dem ersten wurden nun Probleme festgestellt. Weitere 17 Brücken des Hauptverkehrsnetzes im Hafen würden derzeit überprüft, sagt Christine Muruszach, Leiterin Straßennetz bei der HPA. „Was dabei rauskommt, können wir zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen“, fügt sie an.
Insgesamt sind es sogar 28 Brücken im Hafen, deren Statik nachgerechnet werden muss. Hintergrund dieser Sonderprüfung, die über die üblichen Brückenüberwachung hinausgeht, ist eine Richtlinie des Bundes aus dem Mai 2011. Im Fall der Argentinienbrücke hat dieser Prozess Monate gedauert – mit besorgniserregendem Ergebnis: Das Lager muss ausgetauscht werden, weitere Querbalken sind notwendig, um die Brücke zu verstärken. Mittelfristig, also in fünf Jahren, soll die Erneuerung stattfinden, so Muruszach. Damit während der Bauarbeiten der Verkehr nicht komplett zum Erliegen kommt, ist eine Umleitung geplant. Für die HPA bedeuten diese Maßnahmen Mehrarbeit und vor allem erhebliche finanzielle Risiken. Denn die Mittel zur Brückensanierung muss die Hamburger Hafenverwaltung selbst aufbringen. Bei 28 Brücken kann dies schnell dreistellige Millionenbeträge bedeuten.
„Das ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Vernachlässigung der Verkehrsinfrastruktur“, sagt Thomas Schröder vom Verein Hamburger Spediteure. Für den Lkw-Verkehr sei das natürlich „eine Katastrophe, wenn jetzt nach und nach die Brückenbauwerke der Haupthafenroute mit Verkehrsbeschränkungen belegt werden“. Jetzt räche sich, dass über Jahrzehnte nicht ausreichend in Straßen und Brücken invertiert worden sei, sagt Christian Schäfer, Verkehrsexperte des ADAC Hansa. „Dabei muss doch besonders die Infrastruktur im Hafen topfit sein, damit Hamburg im Wettbewerb der europäischen Häfen mithalten kann.“ Zudem sieht Schäfer weitere Auswirkungen: „Wenn der Schwerlastverkehr auf der Hafenhauptroute nicht mehr durchkommt, besteht die Gefahr, dass er auf den Innenstadtbereich ausweicht. Das können wir nicht gebrauchen.“
Christine Beine von der Handelskammer bezeichnete die Einschränkungen als „ärgerlich aber wohl unvermeidbar“. Drei von vier in Deutschland produzierten Maschinen gingen in den Export, da müsse der Zugang zu den Hauptverkehrswegen und dem Hamburger Hafen sichergestellt werden, so die Leiterin des Bereichs Verkehr, Hafen, Infrastruktur in der Kammer.
Blickt man auf marode Verkehrswege, ist Hamburg in Deutschland kein Einzelfall: Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik (Difu) weist knapp die Hälfte der kommunalen Brücken „problematische oder schlechte Zustände auf“. Die Studie hat durch Stichprobenuntersuchungen festgestellt, dass bei rund 15 Prozent der Brücken „Ersatzneubaubedarf“ bestehe. Sie sind also so marode, dass sie eigentlich abgerissen und sogar komplett erneuert werden müssen.
Der Hamburger Rechnungshof geht wiederum davon aus, dass 700 Millionen Euro für die dringende Reparatur von Straßen, Brücken und Tunnel in der Hansestadt benötigt werden. Die gesamte Überprüfung der Hafenbrücken sollte 2016 abgeschlossen werden.