IG-Metall-Bezirksleiter Meinhard Geiken fordert im Abendblatt-Interview verbindliche Bedingungen für die Offshore-Branche. Er verlangt, dass die Windkraft an Nord- und Ostsee weiter ausgebaut wird.
Hamburg. Die Diskussion um die Energiewende in Deutschland läuft auf vollen Touren. Bundeswirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel (SPD) will in den kommenden Wochen konkretisieren, wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) reformiert werden soll, die Grundlage für den Umbau der Energiewirtschaft. Die norddeutschen Bundesländer und die Gewerkschaft IG Metall streiten dafür, dass die Windkraft an Land und vor allem auch die Offshore-Windkraft auf der Nord- und Ostsee in den kommenden Jahren weiter ausgebaut werden. Die Windkraft an der Küste ist die ergiebigste Quelle der erneuerbaren Energien in Deutschland. Das Abendblatt sprach über die Perspektiven der Offshore-Windkraft mit Meinhard Geiken, 56, dem Bezirksleiter der IG Metall Küste.
Hamburger Abendblatt:
Herr Geiken, die neue Bundesregierung will die installierte Leistung in deutschen Offshore-Windparks bis zum Jahr 2020 auf 6500 Megawatt gegenüber heutzutage mehr als verzehnfachen lassen. Es kann also weitergehen in der deutschen Offshore-Industrie. Warum kritisieren Sie die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) für ein neues Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) trotzdem?
Meinhard Geiken:
Im November hat sich die Große Koalition mit der Windkraftindustrie darauf geeinigt, dass das Vergütungsmodell für die Offshore-Windkraft, das sogenannte Stauchungsmodell, über 2017 hinaus bis 2019 bestehen bleibt. Ebenso der Betrag von 19 Cent Einspeisevergütung je Kilowattstunde Offshore-Strom in den ersten acht Betriebsjahren jeder Anlage. Dieses Modell ist für die Finanzierung der Offshore-Windparks sehr wichtig, weil es den Investoren in den ersten Jahren höhere Rückläufe sichert. Ein Offshore-Windpark kann ja 1,5 Milliarden bis zwei Milliarden Euro kosten. Von der ersten Planung bis zur Errichtung vergehen leicht fünf Jahre. Das muss vorfinanziert werden. Nur acht Wochen nach der Zusage im Koalitionsvertrag wurde bereits wieder angekündigt, dass die Fördersätze 2017 und 2018 um jeweils einen Cent reduziert werden sollen. Das schafft erhebliche Unsicherheit, es stellt Investitionen in neue Windparks und damit Arbeitsplätze infrage. Die Offshore-Branche braucht stabile Rahmenbedingungen.
Minister Gabriel will das Erneuerbare-Energien-Gesetz schon bis zum Sommer novellieren und von Bundestag und Bundesrat billigen lassen. Das heißt: Nach längerer Stagnation geht es jetzt bei der Energiewende voran.
Geiken:
Wir begrüßen es sehr, dass der Minister so schnell an die Novelle des Gesetzes herangeht. 2013 war für die Energiewende und besonders für die Offshore-Windkraft ein verlorenes Jahr. Vor der Bundestagswahl war völlig unklar, wie es mit dieser Technologie vor den deutschen Küsten weitergeht. Und da liegt das Problem: Viele Unternehmen an der Nordsee und an der Ostsee zehren jetzt von der Substanz. Die erhofften Nachfolgeprojekte bleiben weiterhin aus, weil sich abzeichnet, dass während der Reform des EEG offenbar in so wichtigen Punkten wie dem Stauchungsmodell bei der Vergütung noch immer keine Rechtssicherheit besteht.
Was bedeutet das für die Branche?
Geiken:
Die Offshore-Windkraftbranche hat an den deutschen Küsten in den vergangenen Jahren allein in der metallverarbeitenden Wirtschaft rund 18.000 Arbeitsplätze geschaffen: bei Herstellern von Windturbinen für den Einsatz auf dem Meer, bei Stahlbauunternehmen oder Werften, die Türme und Fundamente für Offshore-Windkraftwerke herstellen. 2000 dieser Arbeitsplätze gingen 2013 verloren, weitere 1000 sehen wir derzeit akut bedroht. Nach einer neuen Umfrage bei unseren Betriebsräten gehen die Aufträge von Ende April an dramatisch zurück.
Warum ist die Entwicklung der Branche in Deutschland so schwierig?
Geiken:
Sichere Rahmenbedingungen für Investitionen sollten eigentlich selbstverständlich sein, sie sind es aber nicht. Ohne die Nutzung der Windkraft an Land und ohne Offshore-Windparks auf dem Meer kann die Energiewende in Deutschland nicht gelingen. Für die Küste wiederum bietet vor allem die Offshore-Windkraft eine große Chance, neue industrielle Arbeitsplätze aufzubauen und darum herum neue Beschäftigung bei Dienstleistungsunternehmen, Forschungsinstituten oder in der maritimen Wirtschaft.
Wie viele Arbeitsplätze bringt Norddeutschland die Offshore-Windkraft?
Geiken:
Wir gehen von insgesamt rund 30.000 Arbeitsplätzen in der Metallbranche und bei den Zulieferunternehmen aus, die an der Küste neu entstehen können, wenn die Offshore-Windparks so ausgebaut werden, wie es derzeit geplant ist – mit 6500 Megawatt installierter Leistung bis zum Jahr 2020 und 15.000 Megawatt bis 2030.
Was muss geschehen, damit die Offshore-Branche in Deutschland weiter investieren und wachsen kann?
Geiken:
Zunächst brauchen wir eine Überbrückung, um jenen Unternehmen zu helfen, deren Arbeitsplätze wegen Auftragsmangels unmittelbar bedroht sind. Dafür müsste die Kurzarbeitsregelung für die betroffenen Unternehmen von zwölf auf 24 Monate ausgeweitet werden. Bei Areva in Bremerhaven etwa rechnet man damit, dass 2015 wieder neue Aufträge für Offshore-Windparks hereinkommen. Bei Weserwind drohen Anfang nächsten Jahres wohl Entlassungen, wenn die jetzt schon bestehende Kurzarbeit nicht ausgeweitet wird. Es kann doch nicht sein, dass in einer Zukunftsbranche in Deutschland jetzt Mitarbeiter entlassen werden.
Man kann auch Offshore-Windparks in Deutschland errichten, ohne die Anlagen und Fundamente in Deutschland zu bauen, so wie es das dänische Unternehmen Dong Energy mit seinen Projekten „Gode Wind 1“ und „Gode Wind 2“ vorhat. Gefährdet das Arbeitsplätze an der Küste?
Geiken:
Bislang liegen wir in Deutschland bei der Offshore-Windkraftindustrie technologisch vorn. Wenn jetzt allerdings die Investitionen für die zweite Ausbaustufe der deutschen Offshore-Windparks in den heimischen Unternehmen ausbleiben, werden wir diese Position verlieren. Dann stoßen ausländische Hersteller verstärkt in diese Lücke hinein. Bislang haben wir die komplette Wertschöpfungskette bei der Errichtung von Offshore-Windparks in Deutschland. Das kann sich in den kommenden Jahren durchaus ändern. So wird die industrielle Zukunft der Küste gefährdet.
Wie viel Zeit bleibt der Branche?
Geiken:
Die Regierung muss jetzt klare Signale an die Wirtschaft senden.
Mittlerweile werden ja die Potenziale der Windkraft an Land und auf See zunehmend gegeneinander ausgespielt. Hinzu kommen regionale Konflikte zwischen Nord und Süd oder auch widerstrebende Interessen zwischen der Windkraftbranche und der Solarindustrie. Wie soll die Energiewende da gelingen?
Geiken:
Schleswig-Holstein betont eher seine Interessen beim Ausbau der Windkraft an Land, weil der Branche dort heute bereits rund 16.000 Arbeitsplätze zugerechnet werden. Aber alle Experten, nicht nur in Norddeutschland, wissen, dass die erneuerbaren Energien ohne die Offshore-Windkraft nicht die nötige Versorgungssicherheit bieten können. Windparks auf dem Meer erzeugen ganzjährig stabil Strom in sehr großen Dimensionen. Das kann weder die Windkraft an Land noch die Fotovoltaik leisten. Als IG Metall Küste sind uns die Windkraft an Land wie auch auf See gleichermaßen wichtig.
Wird es einen Nord-Süd-Konflikt um den Ausbau der Windkraft in Deutschland geben? Bayern und Baden-Württemberg setzen ja eher auf neue Erdgaskraftwerke, um die Leistung abgeschalteter Atomkraftwerke zu ersetzen.
Geiken:
Es gibt sicher unterschiedliche Interessen bei der Energiewende zwischen Nord- und Süddeutschland. Deshalb sind wir sehr froh, dass die Ministerpräsidenten der fünf Küstenländer diese Woche bei ihrem Treffen in Hamburg klargestellt haben, beim Ausbau der Windkraft – an Land und auf See – mit einer Stimme zu sprechen. Auch Gewerkschaften und Verbände werden bei diesem Thema in Berlin in den kommenden Wochen Wind machen.
Wird der Norden zum Energieexporteur für den Süden Deutschlands?
Geiken:
Strom aus erneuerbaren Energien muss bevorzugt da erzeugt werden, wo er am günstigsten gewonnen und sicher weitergeleitet werden kann. Die Gewichtung wird sich deshalb künftig mehr nach Norden hin verschieben, weil es hier deutschlandweit die größten Potenziale bei der Nutzung der Windkraft gibt. Auch die Stadtwerke München wollen ja mehrere Milliarden Euro in Offshore-Windparks investieren, beim Projekt „Dan Tysk“ vor Sylt sind sie bereits dabei. Der Ausbau der Windkraft und auch der anderen erneuerbaren Energien muss mit dem Bau neuer Übertragungsnetze und Energiespeicher einhergehen, um die Versorgungssicherheit für das ganze Land zu garantieren. Die Energiewende ist eine nationale Aufgabe. Die Bundesregierung muss die Aufgaben koordinieren.
Für viele Windkraftstandorte an Land sieht Minister Gabriel deutliche Kürzungen bei den Stromeinspeisevergütungen vor. Was bedeutet das für die Branche?
Geiken:
Wir werden die Windkraft als Stromverbraucher nicht ewig subventionieren können. Die Förderung muss zurückgehen, zunächst vor allem an den windreichen Landstandorten, durchaus auch im Norden. Dort ist die Nutzung der Windkraft wirtschaftlich und technologisch bereits weit fortgeschritten. Die Kosten der Ökostromumlage müssen gesenkt werden, um die Akzeptanz der Menschen für die Energiewende zu erhalten. Die Kürzungen, die das novellierte EEG vorsehen wird, dürfen aber nicht dazu führen, volkswirtschaftlich sinnvolle Investitionen in die Windkraft abzuwürgen. Die Energiewende ist kein Selbstzweck. Wir dürfen nicht vergessen: Wir wollen heraus aus der Atomkraft und perspektivisch auch aus dem Betrieb von Kohlekraftwerken.