Steigende Mieten, weniger Kunden: Kaufleute beklagen die schwindende Individualität der Hamburger City und müssen ein Ausbleiben der Käufer verkraften. Zu viele Luxusläden machten die Stadt austauschbar.
Hamburg Wenn Wilko Schwitters in seine Nachbarschaft am Neuen Wall schaut, sieht er häufiger Schilder mit dem Schriftzug „Wir ziehen um“. Immer mehr alteingessene Kaufleute können die Mieten in der Edelmeile nicht mehr bezahlen, stellt der Inhaber des Einrichtungshauses Bornhold fest: „Familienbetriebe haben hier kaum noch eine Chance.“
Die neuen Namen sind auf der ganzen Welt bekannt, für Hamburg stehen sie jedoch nicht: Bally oder Chanel ziehen dort ein, wo bisher Geschäfte mit hanseatischen Wurzeln die Kunden lockten. Die Entwicklung, die in Fußgängerzonen wie der Mönckebergstraße schon lange zu einer Austauschbarkeit mit anderen Städten geführt haben, vollzieht sich derzeit immer stärker auch in der westlichen City.
Szenenwechsel: Seit Jahrzehnten sitzt Fritz Ahrens mit seinem Leder- und Schmuckgeschäft Pyrate Style in der Galleria. Seine in Hamburg designten Jacken und Ringe mit dem Totenkopflogo sind aus Modezeitschriften weit über die Grenzen der Stadt bekannt. Dennoch beklagt der Kaufmann, dass sich immer weniger Leute in seinen Laden und in die Einkaufspassage mit dem schwarz-weißen Boden verirren. „Die Laufkundschaft hat sich halbiert“, stellt der Hamburger fest und sieht einen der Gründe in der zunehmenden Monokultur in der Gegend. Zwar brächten Marken wie Hermes oder Gucci weltstädtisches Flair in die Innenstadt. „Leute, die etwas in der Welt herumkommen, brauchen in Hamburg aber nicht auch noch die gleichen Schaufenster wie in New York oder Hongkong“, kritisiert Ahrens.
So wie Schwitters und Ahrens blicken viele Hamburger Händler mit Sorge auf die City. Kapitalstarke Marken wie Chanel oder Louis Vuitton, die hier ihre glamourösen Einkaufspaläste eröffnen, treiben im Schulterschluss mit Finanzinvestoren die Preise für Immobilien am und rund um den Neuen Wall in immer höhere Sphären.
„Dabei ist es kurzsichtig, die Mieten immer weiter nach oben zu schrauben“, sagt Heiko Peters, der in der Region an den Großen Bleichen mehrere Immobilien besitzt und zu den wenigen Investoren gehört, die bei der gegenwärtigen Aufwärtsspirale in der Innenstadt nicht mitmachen. „Kürzlich wollte eine Versicherung eines meiner Häuser in der City kaufen“, sagt der Hamburger, „und dann waren sie entsetzt über meine niedrigen Mieten.“ Er wisse um den wirtschaftlichen Druck in der Finanzbranche, aber bei Kosten von gut 200 Euro für den Quadratmeter, wie sie manche Vermieter heute verlangten, könne kaum ein Kaufmann überleben. „Letztlich werden die hohen Mieten dann auf die Preise aufgeschlagen, und das verschreckt die Kunden“, sagt Peters und spricht damit einen Teufelskreis an, unter dem heute immer mehr Hamburger Händler leiden. Aus Marktstudien von Grossmann & Berger geht hervor, dass sich die erzielbare Spitzenmiete in den begehrten Innenstadtlagen sogar auf aktuell 280 Euro pro Quadratmeter im Monat gesteigert hat.
„Für die Läden an den Großen Bleichen sind 20.000 Euro im Monat keine Seltenheit“, weiß auch Thomas Rasehorn, Inhaber des Schreibwarengeschäfts Schacht & Westerich. Eine Grundregel im Einzelhandel besage, dass die Mietkosten nicht mehr als zwölf Prozent des Umsatzes ausmachen sollten, also müssten den Aufwendungen Erlöse von 180.000 Euro im Monat gegenüberstehen. „Doch welches Handelskonzept gibt das her?“, fragt der Unternehmer, der Schacht & Westerich vor rund zehn Jahren übernommen und wegen des Risikos eines eigenen Geschäfts aber auch schon so manche unruhige Nacht verbracht hat. Zumal in heutigen Zeiten, in denen die Erlöse im Einzelhandel stagnierten. „Wenn man den Online-Umsatz herausrechnet, sprechen wir sogar von einem Rückgang“, sagt der Familienvater. Mittelständler hätten bei den sehr renditeorientierten Vermietern damit keine Chance mehr.
Die aus den USA herüberschwappende Devise „hit and run“, nach der Käufer zuschlagen und sich dann schnell mit dem Gewinn verabschieden, dürfe sich hier nicht durchsetzen, warnt auch Immobilieneigentümer Peters, der lieber nach der eigenen hanseatischen Kaufmannsregel agiert: „Ich gebe mir und dem Mieter das Gehalt eines Hamburger Senators, damit können beide Seiten prima leben, und zwar langfristig“, sagt er scherzhaft, er könne schließlich auch nur ein Steak am Tag essen.
Allerdings: Die Nachfrage nach den Flächen in der City ist so groß, dass die Makler nur aus der Tür herauszufallen bräuchten, um neue Mieter zu finden, sagen die Kaufleute in der Innenstadt mit bitterem Witz. Schließlich seien die Flächenpreise in anderen Metropolen auf der Welt noch viel höher.
Eines der Geschäfte, die in den vergangenen Monaten angesichts steigender Mieten aufgegeben haben, ist die Krawatterie am Neuen Wall, in der Nachbarschaft hatten zuletzt auch das Modelabel Joop! und die Schuhkette Görtz ihre Läden geschlossen. Auch die Einrichtungshäuser Bornhold und Habitat hadern mit den Kosten an der Edelmeile. Bornhold-Inhaber Wilko Schwitters denkt angesichts der im Sommer anstehenden Mietverhandlungen daran, seine Fläche am Neuen Wall von 2000 Quadratmetern auf die Hälfte zu reduzieren. „Viele Geschäfte hatten in den letzten zehn Jahren am Neuen Wall Steigerungen von 600 bis 700 Prozent bei der Miete zu verkraften“, sagt Schwitters. Bei Nachbarn wie Louis Vuitton werde zudem ganz anders kalkuliert als bei den Hamburger Familienbetrieben: Die hinter den Marken stehenden Konzerne wie LVMH Moët Hennessy betrachteten die Markenstores als Imageträger und finanzierten sie zum Teil aus dem Marketingbudget.
Ahrens’ Nachbar in der Galleria, Pepe Liedloff, beobachtet parallel zum Ausbleiben der Käufer in der westlichen Innenstadt eine Aufwertung der Stadtteile. „Ich wohne selber in Eppendorf, und theoretisch könnte ich den ganzen Tag dort bleiben“, sagt der 55-Jährige. Mode von kleinen Läden, Lebensmittel von Familienbetrieben wie Lindtner – die Stadtteile lebten vor, wie individuelles Einkaufen funktionieren kann, lobt Liedloff, der in seinem gleichnamigen Geschäft mit Standorten in der City und in der Hegestraße Patrizia Pepe und andere italienische Designer anbietet.
Und beim Vergleich mit der Latte-macciato-Hochburg Eppendorf bleibt noch eine weitere Herausforderung für die Innenstadt: Das Ausruhen nach dem für einige Zeitgenossen anstrengenden Shoppen fällt im Zentrum schwer, am Neuen Wall lädt kein einziges Café zum Kaffeestopp ein, beklagen sogar Reiseführer beim Blick nach Hamburg.